August 2020, Cicero. Seit Jahren kann sich die EU nicht auf ein neues Asylrecht einigen. Innenminister Horst Seehofer nimmt nun noch einmal einen neuen Anlauf. Ein Kompromiss scheint in Reichweite.

Damian Boeselager ist seit vergangenem Sommer Mitglied des EU-Parlaments. Der 32-Jährige ist einer der jüngsten Politiker in Straßburg, man könnte ihn als Idealisten bezeichnen. Er war einer der Gründer der jungen transnationalen Bürgerbewegung Volt, deren Ziel es ist, über Ländergrenzen hinweg europäische Politik zu machen. Europa, das ist für Boeselager so etwas wie eine Lebenseinstellung. Boeselager ist der einzige deutsche Volt-Abgeordnete, er versteht sich als konservativ, seine Bewegung hat sich der Grünenfraktion in Straßburg angeschlossen. Ein Sohn Europas, der eine ganze Generation von jungen Bürgern vertreten möchte, für die das grenzenlose Europa eine selbstverständliche Grundbedingung ihrer Existenz ist. Vor Monaten war Boeselager auf der griechischen Insel Lesbos zu Besuch, im Flüchtlingslager Moria. „Das war surreal“, erzählt Boeselager. Auf der einen Seite die griechisch-europäische Normalität auf Lesbos, Eisdielen, Ferienstimmung. „Und dann zwei Schritte weiter im Flüchtlingslager Menschen, die auf dem Boden hungern.“ Mehr als 20 000 Menschen sind in Moria unter menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht, sie leben in Staub oder Schlamm, je nach Wetter und in notdürftigen Hütten wie in einem Slum. Wie kann man in so einer Situation

stolz sein, ein Europäer zu sein oder noch schlimmer, ein europäischer Volksvertreter, fragte sich der 32-Jährige? Banden sind in Moria aktiv, laut „Ärzte ohne Grenzen“ begehen Flüchtlinge immer wieder Suizidversuche, darunter auch Kinder. „Der Kontinent, der Weltmarktführer in Digitaltechnik werden will, lässt gerade einmal fünf Stunden von Brüssel entfernt Menschen verhungern und sterben“, so hat der Jung-Politiker in einem Bericht für die Zeitung The Guardian über seinen Besuch geschrieben. Er habe sich hilflos gefühlt, als die Lagerinsassen ihn danach fragten, was Europa mit ihnen vorhat. „Sie fragten mich im Namen des Jungen, der eine Woche zuvor an Fieber gestorben war, sie fragten mich im Namen der 1200 unbegleiteten Minderjährigen, die unter den Olivenbäumen im Freien schlafen.“ Boeselager begann ein Referat über das Funktionieren der europäischen Institutionen, wie die EU-Kommission funktioniert, das Parlament, die Mitgliedsstaaten. Es war der hilflose Versuch, denen Europa zu erklären,…

Augsburger Allgemeine, 11. April 2020 - Der italienische Neurobiologe Stefano Mancuso über menschliche Dummheit, die Intelligenz der Pflanzen und warum wir die Corona-Pandemie als freundlichen Hinweis annehmen sollten.

Stefano Mancuso

Stefano Mancuso

Die Welt steckt mitten in einer Virus-Pandemie. Warum hat es Sinn, sich jetzt an den Pflanzen zu orientieren? Stefano Mancuso: Schauen wir doch erst einmal, was wir angerichtet haben. Eine der Konsequenzen unseres katastrophalen Fingerabdrucks, den wir auf der Erde hinterlassen, ist die Verbreitung vieler Krankheiten, vieler Viren, die vom Tier auf den Menschen übergehen. Wir wissen das seit Jahren. 2009 wurde in der Zeitschrift Nature eine Untersuchung vorgestellt, die zeigt, dass sich der Übergang von epidemischen Krankheiten vom Tier auf den Menschen in den vergangenen 40 Jahren verdreifacht hat. Und dafür sind wir selbst verantwortlich? Mancuso: Ohne Zweifel. Der Hauptgrund ist, dass wir die natürlichen Rückzugsräume der Tiere zerstören. Wir zerstören die Lebensräume etwa der Fledermäuse, die Coronaviren in sich tragen, wir zerstören die Urwälder, wir bauen neue Städte, dort, wo vorher keine waren. Der Übertritt solcher Viren auf den Menschen wird damit unvermeidbar. Schauen wir uns die Pflanzen an. Sie sind seit Millionen von Jahren auf der Erde und wissen, wie sie hier überleben. Der Mensch hinge-

gen denkt nur an sich selbst, wir haben eine komplett anthropozentrische Sicht auf alles. Doch wenn wir die Welt nur aus unserer Perspektive betrachten, werden wir als Art nicht überleben. Ich meine das nicht moralisch, mir geht es wirklich nur um eine Frage des Überlebens. Warum soll die anthropozentrische Sicht gefährlich sein? Mancuso: Uns ist nicht wirklich bewusst, dass wir ein Teil der Natur sind. Wir sind keine Wesen, die außerhalb dieses Zusammenhangs existieren. Unser Überleben als Spezies ist nur garantiert, wenn das Überleben der anderen Arten sicher ist. Für uns als Menschen ist es notwendig, dass diese Gemeinschaft der Arten auf der Erde erhalten bleibt. Was also können wir von den Pflanzen lernen? Mancuso: Eine Pflanze würde niemals mehr Ressourcen verbrauchen als ihr zur Verfügung stehen. Pflanzen können nur die Ressourcen nutzen, die sich in dem Stück Erde befinden, auf dem sie leben. Das ist bei uns nicht wesentlich anders.…