Augsburger Allgemeine, 8.3.2016 Nach drei Jahren im Amt macht sich Papst Franziskus beim Thema Missbrauch angreifbar.

Am kommenden Sonntag ist Papst Franziskus drei Jahre im Amt. Jorge Bergoglio, der dieses Jahr 80 Jahre alt wird, hat mit seinem undiplomatischen Stil für Begeisterung ebenso wie für Kopfschütteln gesorgt. Franziskus hat sich in die Weltpolitik eingemischt, Umweltschutz ganz offiziell zum Teil des katholischen Lehramts erhoben und die zentrale Botschaft seines Pontifikats überdeutlich gemacht. Die Kirche soll weniger verurteilen, sondern vor allem die Wunden der Menschheit heilen.   Eine der größten Wunden der Gesellschaft ist bis heute der Missbrauch von Minderjährigen. Nach zahlreichen Skandalen in den vergangenen Jahren war die Kirche selbst gezwungen, sich des Themas intensiv anzunehmen. Einem Papst, der die Kirche als Feldlazarett sieht, müsste die kompromisslose Haltung beim Thema Kindesmissbrauch ganz besonders am Herzen liegen. Und tatsächlich verurteilt Franziskus die Täter wortmächtig und forderte vertuschende Bischöfe zum Rücktritt auf. Mehrmals hat der Papst Missbrauchs-Betroffene getroffen und ihnen versichert, ihre Sorgen ernst zu nehmen. Gegen inneren Widerstand im Vatikan setzte Franziskus zudem eine Kinderschutz-Kommission ein, die Praktiken zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch durch den Klerus entwickelt. Auf dem Papier

ist Franziskus' Bilanz überzeugend. Es wirkt so, als gehe die Kirche den nächsten Schritt.   Doch wie ernst ist es dem Papst, endgültig die Haltung des innerkirchlichen Schweigegebotes für eine nachhaltige und kompromisslose Aufklärung hinzugeben? Zuletzt kamen mehrfach Zweifel im Hinblick auf seine Personalpolitik auf. Da wirkt es so, als hätten die alten Kader das Heft weiterhin in der Hand. Sichtbar wurde das vergangene Woche bei der Aussage des 74 Jahre alten Kardinals George Pell vor einer australischen Untersuchungskommission. Franziskus hatte Pell in den Kardinalsrat seiner engsten Berater berufen und zum Präfekten des bedeutenden Wirtschaftssekretariats ernannt. Jetzt gab der Australier zu, als einflussreicher Priester und Weihbischof in den 70er und 80er Jahren in seiner Heimat nicht gegen notorische Missbrauchstäter aus dem Klerus vorgegangen zu sein und kein Interesse an Aufklärung gehabt zu haben.   Für Betroffene wirkt die Laufbahn Pells wie blanker Hohn. Denn sie zeigt, dass Wegschauen und Vertuschung…

Christ&Welt, 18.2.2016 Peter Saunders saß als Missbrauchsopfer in der Kinderschutzkommission des Vatikans. Jetzt wollen die Verantwortlichen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Hat er von der katholischen Kirche zu viel verlangt?

Die päpstliche Kinderschutzkommission, der Sie als Betroffener angehören und die im Zuge der Missbrauchsskandale in der Kirche eingerichtet wurde, hat Sie »freigestellt«. War das ein verkappter Rauswurf? Peter Saunders: Nein, ich bin weiterhin Mitglied der Kommission. Der Papst hat mich berufen, also kann mich auch nur der Papst aus der Kommission abberufen. Die Mitglieder sagten, sie fühlten sich von mir hintergangen, weil ich wiederholt mit der Presse gesprochen hatte. Ich hätte die Kommission in ein schlechtes Licht gerückt. Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie wiederholt öffentlich Kritik übten, obwohl die Kommission nur beratende Funktion hat. Saunders: Die Kirche hat nie irgendeine Initiative gezeigt, das Thema Missbrauch anzugehen, solange sie nicht dazu gezwungen war. Der Grund, warum die Kinderschutzkommission existiert, ist der Druck der Opferorganisationen, den diese mithilfe der Presse ausübten. Das sagte ich den Mitgliedern. Ich hatte von Anfang an klargemacht, dass ich nie auf mein Recht auf freie Rede verzichten würde. Die Einrichtung der Kommission durch den Papst im März 2014 wurde als gutes Zeichen im Kampf gegen den Missbrauch gewertet. Saunders: Es

gab im Vatikan großen Widerstand gegen die Berufung einer solchen Institution. Ich weiß, dass der Kommissionspräsident, Kardinal Sean O’Malley, maßgeblich daran beteiligt war, den Papst zu überzeugen, diese Kommission einzurichten. Jetzt sprach Ihnen die Kommission das Misstrauen aus. Waren Sie überrascht? Saunders: 14 oder 15 der anwesenden Mitglieder stimmten gegen mich, es gab eine Enthaltung. Zuvor fand ein beinahe inquisitorisches Verhör statt, eine Art Rufmord. Solange ich Katholik bin, wird meine Loyalität nicht der Institution Kirche gelten. Die Loyalität der meisten Kommissionsmitglieder hingegen gilt dieser Institution. Beim Thema Kinderschutz ist das ein enormer Interessenkonflikt. Ich musste mit eigenen Augen sehen, ob es dem Papst mit der Missbrauchsbekämpfung ernst ist. Ist es Franziskus ernst? Saunders: Mein Problem ist nicht die Arbeit der Kommission an sich. Ich habe nichts dagegen, wenn man kanonisches Recht verändert, um den Kinderschutz zu verbessern. Ich habe auch nichts gegen die Ausarbeitung von Leitlinien zur Ausbildung von Priestern oder…

Christ&Welt / Die Zeit, 4.2.2016 Zweifel am Zölibat waren in der katholischen Lehre lange verboten. Nun sucht Franziskus nach einer Lösung für eines der zentralen Probleme seiner Kirche.

Don Giovanni Cereti ist 82 Jahre alt und steht einer Kirchengemeinde in Rom vor. Nicht mehr lange, dann ist er seit 60 Jahren katholischer Priester. Vor etwa einem Jahr war er mit dem römischen Klerus bei Papst Franziskus im Vatikan zur Audienz. Am Ende der Versammlung wollte der Papst wissen, ob noch einer der Priester etwas auf dem Herzen habe. Da erhob sich Don Giovanni, strich sein silbergraues Haar zurecht, trat ans Mikrofon und wollte wissen, wie es Franziskus mit den verheirateten Priestern hält. Er kennt viele verheiratete Priester, die von ihrem Dienst suspendiert wurden und den Wunsch hegen, wieder als Seelsorger aktiv sein zu dürfen. Auf der ganzen Welt gibt es etwa 100 000 solcher von der Kirche ausgeschlossenen Priester. Würde Franziskus also einen Weg der Annäherung finden, eine Art Willkommenskultur für verheiratete Priester etablieren? Weil Don Giovanni nicht mehr so gute Ohren hat, verstand er die Antwort des Papstes nicht genau, als er zu seinem Platz zurücklief. Aber auch die Kollegen trauten ihren Ohren kaum. Denn Franziskus sagte: »Das

Thema ist auf meiner Agenda.« Dann erzählte der Papst, er habe erst eine Woche zuvor zwölf altgediente Priester im vatikanischen Gästehaus Santa Marta empfangen. Fünf von ihnen waren verheiratet und deshalb suspendiert. Aber auch sie waren bei der Messfeier in der Hauskapelle zugegen. »Ich habe das Gefühl, das Problem der verheirateten Priester steht vor einer Lösung«, sagt Don Giovanni heute. Und tatsächlich gibt es verschiedene Anzeichen dafür, dass Papst Franziskus nach der quälenden Debatte um den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen als Nächstes die Frage des Zölibats angeht. Auf seiner knapp einwöchigen Mexiko-Reise Mitte Februar wird der Papst einen ganzen Tag im Bundesstaat Chiapas verbringen. Die Station ist aus verschiedenen Gründen brisant, hohe Kirchenfunktionäre versuchten dem Papst den Besuch in San Cristóbal de las Casas auszureden, ohne Erfolg. Denn der Abstecher in die Diözese und das Treffen mit den Vertretern der indigenen Gemeinden sind symbolisch aufgeladen. Franziskus will auch deshalb unbedingt…

Christ&Welt / Die Zeit, 28.1.2016 Hat Franziskus in der Zentralafrikanischen Republik im Vorbeigehen einen Krieg beendet?

Hat Papst Franziskus mit seinem Besuch in der Zentralafrikanischen Republik Frieden für das vom Bürgerkrieg verwüstete Land gebracht? Diesem Mann, der da im farblosen Tweed-Jackett, mit weißem Hemd, offenem Kragen, grau meliertem Haar und dem drolligen Blick eines Erdkunde-Lehrers sitzt, würde man sein Leben eher nicht anvertrauen. Schon gar nicht in der Peripherie von Bangui, der Hauptstadt der außer Kontrolle geratenen Zentralafrikanischen Republik. Unbedarft ist Mauro Garofalo gewiss nicht, aber er wirkt ein bisschen zu freundlich für Krisensituationen. Erst der Handschlag, dann macht Garofalo einen Witz über Fußball. Es war im vergangenen November, als der gelernte Kunsthistoriker mit einer Handvoll anderer Italiener in Bangui ein gewisses Risiko ging. Verabredet war die Gruppe aus Rom mit einem Rebellenführer der Anti-Balaka-Miliz, einem der Protagonisten des blutigen Bürgerkriegs, der das Land seit Jahren in einer Spirale von Armut und Gewalt gefangen hält. Das Treffen fand statt in einer Baracke am äußersten Stadtrand von Bangui. Schlechte Straßen, kaum Licht. Waffen? Garofalo hatte keine bei sich. „Ich habe mich auf die anderen verlassen“, sagt er. Zum Beispiel auf Luca Cintia,

den Kapitän der Vatikangendarmerie und dessen im Nahkampf ausgebildete Kollegen. Dann stand er da, der Unterhändler im Namen Gottes. Mitten in der Baracke. Zehn bis zwölf afrikanische Guerillas vor ihm, bis an die Zähne bewaffnet. In der Mitte der Chef der Bande, der Rebellenführer. Und im Angesicht des Schreckens sollte der eher schmächtige Römer mit seinem freundlichen Blick das Anliegen der Gäste vortragen. „Besonders angenehm war das nicht“, erzählt Garofalo. Eine genaue Berufsbezeichnung gibt es für ihn nicht, er ist Verantwortlicher der Auslandsabteilung der Laiengemeinschaft Sant' Egidio. Wobei Auslandsabteilung übertrieben klingt. Garofalos katholische Task-Force in Trastevere besteht aus fünf bis sieben Personen, je nach Bedarf. Der 39-Jährige, der einst als Jüngling zu Sant'Egidio stieß, ergriff das Wort. Er sagte den ihm gegenüberstehenden Ungeheuern, dass man sehr zufrieden sei, wie sich die Sicherheitslage in Bangui zuletzt entwickelt hätte, ohne Übergriffe, Lynchmorde und Schießereien. Dass es so…