ZEIT online/Christ&Welt 12. August 2016 Seit drei Jahren steht der Präfekt der Glaubenskongregation im Schatten von Papst Franziskus. Wird der 68-Jährige Deutsche bald abgelöst?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, 68.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, 68.

Auch Riesen haben es manchmal nicht leicht. Gerhard Ludwig Müller ist zwei Meter groß, er überragt seine Gesprächspartner um mindestens einen Kopf. Dass er sein Gegenüber von oben herab behandeln würde, kann man allerdings nicht behaupten. Im Gegenteil, derzeit kommt es häufiger vor, dass der Präfekt der Glaubenskongregation lächelt, obwohl ihm gar nicht danach zu Mute ist. Menschen, die täglich mit ihm zu tun haben, behaupten, Müller habe es in Rom gerade ausgesprochen schwer. Der Grund ist eine tiefe Kluft zwischen der Agenda des Papstes und den Überzeugungen eines Mannes, der dieses Programm eigentlich gestalten sollte. Wenn man so will, führt der 68-Jährige unter Franziskus das Dasein eines Tropfen Wassers in einer Teflon-Pfanne, er wird ständig abgestoßen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass im Vatikan über Müllers Ablösung spekuliert wird. Der Papst aus Argentinien und der Kardinal aus Mainz-Finthen passen einfach nicht zusammen. Zu Beginn der Amtszeit von Franziskus hätte Müllers Abberufung noch wie ein Affront gegen Benedikt XVI. gewirkt. Ratzinger hatte den ehemaligen Bischof von Regensburg sieben Monate vor seinem Rücktritt noch rasch als Präfekt der Glaubenskongregation installiert, als Garantie für theologische Kontinuität.

Inzwischen sind mehr als drei Jahre vergangen. Die Stimmen, die eine Wachablösung an einer der wichtigsten Schaltstellen in der Kurie für überfällig und folgerichtig halten, mehren sich. Streit um Amoris Laetitia Der Moment, in dem auch den Kritikern des Papstes bewusst wurde, dass es Zeit ist für den Wechsel, war die Präsentation des nachsynodalen Schreibens Amoris Laetitia im April. Die Exhortation ist die Antwort von Franziskus auf die Diskussionen bei den beiden Bischofssynoden in den vergangenen Jahren zum Thema Ehe, Sex und Familie. Bergoglio schlägt darin einen neuen, versöhnlichen Ton an, insbesondere im Hinblick auf das umstrittenste katholische Thema der vergangenen Jahre, die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Seit Amoris Laetitia ist der Zugang für die Wiederverheirateten zur Kommunion de facto geebnet. Für Traditionalisten kommt das einem Super-Gau gleich, weil in ihren Augen damit das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe…

Kleine Zeitung, 30. Juli 2016 Papst Franziskus besucht das Konzentrationslager Auschwitz. Er feiert keine Messe, hält keine Predigt oder Rede, sondern schweigt.

"Arbeit macht frei" - Das Tor zum KZ Auschwitz

"Arbeit macht frei" - Das Tor zum KZ Auschwitz

Er sitzt einfach da. Ganz in Weiß, auf einem unscheinbaren Stuhl, mitten an diesem Ort des Grauens. Sein Kopf ist geneigt, die Augen hat der Papst geschlossen. Ab und zu bewegen sich die Blätter der Schwarzbirken im Wind. Franziskus sitzt gegenüber einer der Häftlingsbaracken, vor der ein eisernes Gerüst steht, an dem die Nazis Gefangene aufhängten. 13 Minuten lang, so notieren Mitreisende akribisch, passiert nichts. Der Papst sitzt einfach da. Als dritter Papst überhaupt hat Franziskus am Freitag das KZ Auschwitz besucht, in dem die Nazis bis 1945 mehr als eine Million Menschen töteten, vor allem Juden. Das KZ liegt etwa 70 Kilometer von der polnischen Stadt Krakau entfernt. Dort findet noch bis Sonntag der Weltjugendtag statt, der Papst ist zu diesem Anlass aus Rom angereist. Dass er bei dieser Gelegenheit auch Auschwitz als Ort des Bösen schlechthin besuchen wollte, hatte Franziskus angekündigt. Und, dass er schweigen werde. „Keine Reden, keine Leute, nur die wenigen Notwendigen“, hatte Franziskus auf seiner Rückreise aus Armenien Ende Juni gesagt.

Und, dass Gott ihm die Gnade geben möge, zu weinen. Tränen übertragen die Fernsehkameras des Vatikans an diesem Vormittag zwar nicht. Aber die live in alle Welt übertragene Stille ist eindrucksvoll. Johannes Paul II. hatte Auschwitz als erster Papst im Jahr 1979 besucht, Benedikt XVI. kam 2006. Die Besuche der beiden Vorgänger waren symbolträchtig, auch weil hier erst ein Pole und später ein Deutscher als Vertreter im Weltkrieg verfeindeter Nationen an den Holocaust erinnerten. Benedikt wurde kritisiert, weil er die Deutschen bei seinem Besuch als von den Nazischergen verführte Opfer darstellte und die Frage der Schuld überging. Auch sagte er kein Wort zum katholischen Antisemitismus. Aber der deutsche Papst formulierte damals auch: „An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen?“ Franziskus setzt diesen Gedanken in Auschwitz in die Tat um. Er hält keine Ansprache, feiert keinen Gottesdienst,…

ZEIT Online, 17.4.2016 Wiens Erzbischof Christoph Schönborn ist der Kardinal der Stunde in der katholischen Kirche. Tritt er das Erbe von Franziskus an?

Die Gabe der katholischen Kirche zur großen Inszenierung blitzt sogar bei Pressekonferenzen im Vatikan auf. Der Lichtkegel im Saal fällt auf das überdimensionale päpstliche Wappen mit Krone und Schlüsseln. Die mausgraue Wand im Hintergrund wirkt plötzlich samten und erhaben. Dann steht Christoph Schönborn da, groß und nicht zu übersehen, Kardinal, Erzbischof von Wien und der Mann der Stunde im Vatikan. Es ist kein Zufall, dass hier alles auf ihn zuläuft, dass er in der Mitte zu sitzen kommt, das Wappen des Papstes genau über seinem Haupt. Die Weltpresse ist zur Vorstellung des päpstlichen Schreibens Amoris Laetitia versammelt. Der Pressesprecher seiner Heiligkeit ist auf die Bühne getreten, hinter ihm der Generalsekretär der Bischofssynode, dann noch ein Bischof mit fahlem Gesicht und zwei brave Eheleute. Als Letzter hat der Kardinal die Bühne betreten, im vollen Ornat. Alle Augen richten sich auf ihn. "Buongiorno", sagt er leise und nickt den ungeduldigen Gesichtern im Plenum zu. Wie die Orgelpfeifen sammeln sich die Herrschaften links und rechts um Schönborn, den mild lächelnden Erzbischof von Wien. Eigentlich hat er gar kein offizielles Mandat, um das bahnbrechende

Dokument von Papst Franziskus zu Ehe, Familie und Sexualität vorzustellen. Aber die Leute im Presseamt haben gewusst, dass sie keinen geeigneteren Mann für diesen Anlass finden konnten. Der Österreicher steht im Zentrum, er ist der Kern dieser Veranstaltung, unübersehbar selbst dann, als er sitzt. Die Kette seines Brustkreuzes wird die Journalisten zwei Stunden lang anglitzern. Und seit Franziskus am Abend des 13. März 2013 vom Konklave zum Papst gewählt wurde, erscheint auch Schönborn vielen in einem ganz neuen Licht. Nach seinem Vortrag werden die Spindoktoren von Franziskus im Plenum Beifall klatschen, aber auch eigentlich zur Nüchternheit verpflichtete Agenturjournalisten. Herkunft aus zerrütteten Verhältnissen "Bellissimo", wunderschön, sei dieser Text, sagt der Kardinal mehrmals über Amoris Laetitia, und man glaubt ihm diese Begeisterung aufs Wort. Hat der Papst die Lehre der Kirche im Hinblick auf Ehe und Sexualität verändert? "Das sehe ich nicht", sagt Schönborn. "Aber gewiss gibt…

ZEIT Online, 8.4.2016 Papst Franziskus schlägt beim Thema Sex ein neues Kapitel für die katholische Kirche auf. Dem konservativen Flügel ist sein Schreiben Amoris Laetitia ein Dorn im Auge.

Drei Jahre lang hat es gedauert, bis der Papst sein Machtwort zum Thema Ehe und Sexualität vorgelegt hat. Das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie ist ein lehramtlicher, 300 Seiten langer Text, der vordergründig wenig konkret ist und in dieser Beliebigkeit Enttäuschungen hervorrufen wird. Keine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, die aber auch nicht ausgeschlossen wird. Die Frage, die die Grundfesten der katholischen Morallehre trifft, war unter den Bischöfen auf den beiden Synoden der vergangenen Jahre die umstrittenste. Schon gar nicht skizziert der Papst eine Willkommenskultur für Homosexuelle in der Kirche, sondern wiederholt nur bequem das, was der Katechismus zum Thema Homosexualität zu sagen hat. Doch Amoris Laetitia hat es in sich – und das nicht nur wegen der Absätze zu Sexualerziehung, zu "sicherem Sex" oder zu den fast schon erfrischenden Passagen zur Erotik in der Ehe. Es gibt Priester in Rom, die behaupten, sich erstmals nicht mehr zu schämen, wenn der Chef auf dem Stuhl Petri beim Thema Sexualität in die Details geht. Hat sich die katholische Kirche unter Franziskus entkrampft? Nein, aber der Papst

schlägt beim Thema Sex ein neues Kapitel auf. Das Schreiben ist der vorläufige Schlusspunkt eines drei Jahre dauernden Prozesses, in dem sich die katholische Kirche mit Franziskus mühsam auf die Menschen zuzubewegen versucht. Zuerst machte der Papst die Kluft zwischen Lehre und Wirklichkeit mit einer Umfrage unter den Gläubigen in der ganzen Welt sichtbar. Anschließend ließ Franziskus die Bischöfe auf zwei Synoden zum Thema diskutieren, dann forderten die überforderten Hirten ein definitives Wort vom Papst, das dieser nie liefern wollte. Vielfalt statt Einheit Auch im nachsynodalen Schreiben legt sich Franziskus nicht fest. Stattdessen öffnet er seiner Kirche bisher nicht dagewesene Räume. Wenn der Papst feststellt, dass nicht jede Diskussion über die Doktrin einer lehramtlichen Klärung bedarf, bedeutet das eine nur schwer wieder rückgängig zu machende Wende in der Haltung Roms. Galt dem Vatikan bislang die Einheit von Lehre und Seelsorge als höchstes Gut, so hat Franziskus nun…