24. Juli 2018, Augsburger Allgemeine - Das Pillenverbot von Papst Paul VI. ist 50 Jahre alt.

Und wenn Paul VI. doch recht hatte? 50 Jahre sind seit der Veröffentlichung des vielleicht umstrittensten Kirchendokumentes, der Enzyklika Humanae Vitae vergangen. „Pillen-Paul“, wie der damalige Papst alsbald genannt wurde, weil er in seinem lehramtlichen Schreiben das Verbot künstlicher Verhütung bekräftigte, bekam seinen definitiven Stempel ab. 1968 war das Jahr, in dem viele gesellschaftliche Tabus zu bröckeln begannen, gerade auch im Hinblick auf die Sexualität. Da kam das Oberhaupt der katholischen Kirche mit seiner Moralkeule natürlich zum absolut falschen Zeitpunkt – oder eben gerade recht. Humanae Vitae ist fast in Vergessenheit geraten, beschäftigt aber auch in diesen Tagen die katholische Kirche sehr. Papst Franziskus hat vor mehr als einem Jahr klammheimlich eine Kommission eingesetzt, die die Entstehung der Enzyklika erforschen sollte, mit exklusivem Zugang zu Material im vatikanischen Geheimarchiv. Der Frage, ob Eheleute, also Menschen, mit oder ohne Kondom, mit oder ohne Pille Sex haben sollen, wird heute in der Kirche einige Bedeutung zugemessen, während die Gesellschaft sich längst anderen Fragen widmet. Das dezente Einsetzen einer Kommission durch den Papst

persönlich deutet selbstverständlich bereits auf die Stoßrichtung hin. Wenn die Dinge so bleiben sollten, wie sie sind, dann lässt man sie ruhen. Andernfalls versucht man an Stellschrauben zu drehen und langsam einen Wandel einzuleiten. Papst Franziskus verfolgt seit Beginn seines Pontifikats diese Methode. Die Frage der (bislang verbotenen) Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion löste er mit der Stellschraube der Einzelfalllösung und der Aufwertung des Gewissens. Das jüngste, fruchtbare Chaos in der analogen Frage, ob protestantische Ehepartner die Kommunion erhalten dürfen, entwickelt sich im für ordnungsliebende Beobachter verwirrenden Zickzackkurs weiter. Jetzt haben die vom Papst beauftragten Forscher ebenfalls Interessantes herausgefunden: Paul VI. setzte sich damals zwar über die Empfehlungen zahlreicher kompetenter Glaubensbrüder hinweg, die Verhütungsmittel an sich nicht für verwerflich hielten. Er verhinderte aber offenbar den katholischen Super-GAU in Form einer noch viel strengeren Enzyklika, die von der Glaubenskongregation lanciert worden war und mit den Öffnungsbemühungen des damals gerade erst beendeten…

15.Juli 2018 - Weniger Emotionen haben Cristiano Ronaldos Wechsel zu Juventus Turin gefördert, sondern geschäftliche Berechnungen.

Es war der 3. April im Allianz Stadium von Turin. Juventus Turin spielte im Viertelfinale der Champions League gegen Real Madrid. Beim Stand von 0:1 flog eine Flanke durch den Strafraum. Cristiano Ronaldo setzte zum Fallrückzieher an und wuchtete den Ball spektakulär an Torwart Gigi Buffon vorbei ins Netz. Die Stimmen der spanischen TV-Kommentatoren auf der Pressetribüne überschlugen sich, die Juve-Spieler verharrten ungläubig auf dem Rasen. Und von den Rängen brandete respektvoller Applaus auf, diesem Tor zollten sogar die italienischen Tifosi Respekt. Drei Monate später, wo Cristiano Ronaldo nun für rund 100 Millionen Euro von Real Madrid zu Juventus Turin wechselt, muss die Szene von damals zur Legendenbildung herhalten. Wie es heißt, habe der Applaus der Turiner auch das Herz von Ronaldo nicht ganz kalt gelassen. „Dschuve“, wie der 33 Jahre alte Portugiese den italienischen Rekordmeister nennt, sei sein Traumziel gewesen. Zumal der Wunderstürmer schon als Hänfling auf seiner Heimatinsel Madeira eine Schwäche für die Italiener gehabt haben soll. Man kann die blumige Geschichte glauben. Vieles deutet jedoch darauf

hin, dass Ronaldos Wechsel zu Juventus Turin viel eher ein kühles, kapitalorientiertes Vernunftprodukt ist. Ronaldos Fisimatenten in Madrid waren allgemein bekannt. Der Spieler, der in 438 Spielen für Real 451 Tore erzielte und maßgeblich dazu beitrug, dass das Team viermal innerhalb der vergangenen fünf Jahre die Champions League gewann, konnte nicht genug bekommen. Zuletzt 23 Millionen Euro Netto-Jahresgehalt genügten ihm nicht, angeblich weil Leo Messi beim FC Barcelona und Neymar bei Paris Saint-Germain fast das Doppelte verdienten. Ronaldo, der als 20-Jähriger seinen alkoholabhängigen Vater verlor, bemisst seinen Selbstwert nicht zuletzt mit Geld. Juventus Turin bot 31 Millionen Euro Nettojahresgehalt und stach damit die Konkurrenz aus. Italienischen Medien zufolge wäre Ronaldo lieber zurück in die Premier League gegangen. Das hört man aber in der gegenwärtigen Turiner „Ronaldo-Manie“ (Gazzetta dello Sport) nicht so gerne. Probleme mit der Justiz Als Fußnoten werden in Italien auch die Probleme des Fußballers mit der spanischen Justiz behandelt.…

4.Juli 2018, Badische Zeitung - Was das deutsche WM-Aus, die Politik, italienische Erfahrungen und der Weltfrieden miteinander zu tun haben.

Stellen wir uns mal vor, ein Marsmensch schlüge in diesen Tagen die Zeitungen auf. Er würde sich die grünen Augen reiben und die gerunzelte Stirn noch weiter runzeln. Von einer „Katastrophe“ ist die Rede, von „tiefschwarzer Nacht“. Aber nicht wegen eines Lawinenunglücks oder eines Sommersturms mit vielen Todesopfern. Deutschland fällt wegen des Ausscheidens seiner wichtigsten Sportmannschaft aus einem der bedeutendsten sportlichen Turniere in Apathie. Die Frage, ob der Bundestrainer weiter machen soll, wird als Staatsangelegenheit behandelt. Sie sind doch sehr eigenartig, diese Menschen, würde der Marsmensch folgern. Blättert er dann weiter, würde er entdecken, dass es in der deutschen Politik nicht besser aussieht. Die manchmal schon statuenhaft wirkende und vom grünen Flecken Erde eigentlich gar nicht mehr wegzudenkende Figur der Bundeskanzlerin steckt in ihrer schwersten politischen Krise. Und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, zu dem auch diese als so bedeutend angesehene und gerade von der Bundeskanzlerin so verehrte Sportmannschaft auch am Boden liegt. Ja, um Deutschland steht es nicht gut, würde der Marsmensch folgern. Zumindest sind sich die Menschen, die

die Zeitungen vollschreiben und die Stimmungen im Land einfangen sollen, da ziemlich sicher. Ein Gefühl der Leichtigkeit Ein Blick nach Italien, das liebste Ferienland der Deutschen, hilft weiter. Nach Italien fahren die Deutschen übrigens nicht nur wegen des guten Wetters und des guten Essens und den schönen Palazzi und Hügeln, sondern vor allem wegen eines Gefühls der Leichtigkeit, das den Italienern selbst schon länger abhanden gekommen ist und das die Deutschen nie besaßen. Italien wurde 2006 Fußballweltmeister, bei den zwei folgenden Turnieren scheiterte das Team, wie jetzt Deutschland, in der Vorrunde. Für die WM in Russland qualifizierte sich die Squadra Azzurra erst gar nicht. Klar, dass in Italien nun Bastian Schweinsteiger durch den Kakao gezogen wird, der als pensionierter Weltmeister ohne Verantwortung über Italiens Scheitern spottete. In der italienischen Politik sieht es nicht anders aus. Figuren, die für einen Marsmenschen auch nur im Entferntesten an Angela Merkel erinnern könnten, gibt…

25. Juni 2018, Mainpost - Eine Migrationsgeschichte: Hunderttausende afrikanische Immigranten wollen nach Europa. Karounga Camara ging den entgegengesetzten Weg.

Die Wende im Leben von Karounga Camara begann in der Mailänder U-Bahn. Camara fuhr zur Arbeit, er war damals Nachtwächter in einem Studentenwohnheim. Ein Italiener sprach ihn an, die beiden gerieten ins Gespräch. Der Satz des Mannes, der in Camaras Kopf hängen geblieben ist, lautete: „Passen Sie auf, dass Sie nicht auch in Ihrer Heimat zum Einwanderer werden." Die Worte, die keineswegs unfreundlich gemeint waren, ließen Camara nicht mehr los. Sie waren der Anstoß für seine Rückkehr aus Italien in den Senegal. Es sind keine einfachen Zeiten für Einwanderer in Europa, schon gar nicht in Italien. Dort hat gerade eine Regierung ihre Arbeit aufgenommen, die ein gnadenloses Durchgreifen gegen Migranten zu ihrem Markenzeichen machen will. Erst vor Tagen versagte Innenminister Matteo Salvini einem mit Flüchtlingen vollgestopften Schiff die Landung. Auch Deutschland will Immigranten schon an der Grenze zurückschicken. Das vermeintliche Paradies Europa zeigt sich seit Jahren immer abweisender. Auch diese bittere Einsicht hat Camara zum Nachdenken gebracht. Die Rückkehr wagen Camara hat sich für die Rückkehr entschieden. Es war eine Lebensentscheidung, aber

auch eine strategische Überlegung. „Wo ist mein Platz in der Welt?", fragte sich der Senegalese. Im reichen, aber sehr mit sich selbst beschäftigten Europa? Oder im Senegal. Dort ist der Wettlauf ausländischer Investoren wie auf dem gesamten Kontinent in vollem Gange. China, Indien, aber auch europäische Länder und Firmen investieren. Deshalb machte der Satz des Italieners in der U-Bahn solchen Eindruck auf Camara. Ein zweites Mal fremd sein und zu spät kommen, das wollte Camara nicht. Über seine Rückkehr hat er ein Buch geschrieben. „Die Rückkehr wagen", heißt seine Biografie, die gerade auf Italienisch erschienen ist. Sechs Jahre lebte Camara in Mailand. Seit 2015 ist er zurück in seiner Heimat. „Zurückzukehren ist schwieriger, als aufzubrechen", sagt Camara. Wer es nach Europa geschafft hat, der gilt trotz aller Widrigkeiten in der Heimat als Held und ist eine finanzielle Garantie für die Angehörigen. Wer diesen Status aufgibt, wird schnell als…