Und wenn Paul VI. doch recht hatte? 50 Jahre sind seit der Veröffentlichung des vielleicht umstrittensten Kirchendokumentes, der Enzyklika Humanae Vitae vergangen. „Pillen-Paul“, wie der damalige Papst alsbald genannt wurde, weil er in seinem lehramtlichen Schreiben das Verbot künstlicher Verhütung bekräftigte, bekam seinen definitiven Stempel ab. 1968 war das Jahr, in dem viele gesellschaftliche Tabus zu bröckeln begannen, gerade auch im Hinblick auf die Sexualität. Da kam das Oberhaupt der katholischen Kirche mit seiner Moralkeule natürlich zum absolut falschen Zeitpunkt – oder eben gerade recht. Humanae Vitae ist fast in Vergessenheit geraten, beschäftigt aber auch in diesen Tagen die katholische Kirche sehr. Papst Franziskus hat vor mehr als einem Jahr klammheimlich eine Kommission eingesetzt, die die Entstehung der Enzyklika erforschen sollte, mit exklusivem Zugang zu Material im vatikanischen Geheimarchiv. Der Frage, ob Eheleute, also Menschen, mit oder ohne Kondom, mit oder ohne Pille Sex haben sollen, wird heute in der Kirche einige Bedeutung zugemessen, während die Gesellschaft sich längst anderen Fragen widmet. Das dezente Einsetzen einer Kommission durch den Papst
persönlich deutet selbstverständlich bereits auf die Stoßrichtung hin. Wenn die Dinge so bleiben sollten, wie sie sind, dann lässt man sie ruhen. Andernfalls versucht man an Stellschrauben zu drehen und langsam einen Wandel einzuleiten. Papst Franziskus verfolgt seit Beginn seines Pontifikats diese Methode. Die Frage der (bislang verbotenen) Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion löste er mit der Stellschraube der Einzelfalllösung und der Aufwertung des Gewissens. Das jüngste, fruchtbare Chaos in der analogen Frage, ob protestantische Ehepartner die Kommunion erhalten dürfen, entwickelt sich im für ordnungsliebende Beobachter verwirrenden Zickzackkurs weiter. Jetzt haben die vom Papst beauftragten Forscher ebenfalls Interessantes herausgefunden: Paul VI. setzte sich damals zwar über die Empfehlungen zahlreicher kompetenter Glaubensbrüder hinweg, die Verhütungsmittel an sich nicht für verwerflich hielten. Er verhinderte aber offenbar den katholischen Super-GAU in Form einer noch viel strengeren Enzyklika, die von der Glaubenskongregation lanciert worden war und mit den Öffnungsbemühungen des damals gerade erst beendeten…