Augsburger Allgemeine, 12.8.2016 Weil sich manche Feriengäste schon im Morgengrauen einen Platz am Strand reservieren, sind die Einheimischen aufgebracht. Nun greift die Küstenwache durch.

Stress am Strand?

Stress am Strand?

Strand ist nicht einfach Strand in Italien. Es gibt die „spiaggia libera“, den freien Strand. Und es gibt die „stabilimenti“, die von einem Pächter betriebenen und mit Liegestühlen und Sonnenschirmen ausgerüsteten Strandanlagen. Das wahre Sommervergnügen empfindet der Italiener am freien Strand. Denn hier kommt er normalerweise nicht ölsardinenartig neben Seinesgleichen zu liegen. Die im Grunde anarchische und zivilisatorische Urtriebe weckende Okkupation des eigenen Stück Landes mit Handtuch, Sonnenschirm und neuerdings auch sogenannten Strandmuscheln gibt den Bewohnern des italienischen Stiefels im Sommer ein Stück der Freiheit zurück, die sie in den Mühen des Alltags aufgegeben haben. Der Strand ist außerdem des Italieners Eigentum. Die 7500 Kilometer Küste in Italien sind nämlich Staatsbesitz. Wer sich an der Küste breit macht, etwa mit der Konstruktion wahrhaftiger Immobilien oder auch nur mit vorübergehenden Konstruktionen, der legt sich im Prinzip mit dem ganzen Land an (oder hat beste Beziehungen zu den Behörden). Wenn es nun aber dazu kommt, dass der Italiener morgens am Strand bereits ganze Batterien von Sonnenschirmen, Handtüchern oder sonstigen Platzhaltern vorfindet, dann wird es ernst. Die Rede ist vom „Krieg der Sonnenschirme“. Einer der Schauplätze

dieser Auseinandersetzung ist die toskanische Provinz Livorno. Im Seebad Marina di Cecina machten Angehörige der italienischen Küstenwache zuletzt schon am frühen Morgen einen grausigen Fund: 37 Liegestühle, 30 Sonnenschirme, Handtücher und „sogar Badekleidung“, wie die Zeitung La Repubblica entsetzt festhielt, alles verteilt auf einer Länge von 100 Metern, in unmittelbarer Nähe des Wassers. Hier wollte eine ganze Armada von Badegästen ganz offenbar das Prinzip des freien Strandes konterkarieren, indem die Platzhalter bereits am Vorabend deponiert worden waren. Die Beamten der Küstenwache konfiszierten die Gegenstände. Die Rechtsgrundlagen für diesen eigentlich sehr unitalienischen Akt behördlicher Intoleranz sind mannigfaltig. Da wären zum Beispiel das Gebot des allgemeinen Anstands, die von der Küstenwache in diesem Jahr offenbar besonders eng ausgelegte „Operation sicheres Meer“ sowie ein Erlass der Gemeinde Marina di Cecina. Sinngemäß muss diesem zu Folge mit bis zu 200 Euro Bußgeld rechnen, wer sich der übereifrigen Reservierung…

Badische Zeitung, 2. August 2016 Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi ist noch nicht einmal zwei Monate im Amt. Sie stößt aber schon auf altbekannte Hindernisse.

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (38)

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (38)

Es ist bald sechs Wochen her, dass Virginia Raggi vorübergehend die Fassung verlor. Als sie sich den Fotografen beim Amtsantritt auf dem Rathausbalkon präsentierte, flossen Roms neuer Bürgermeisterin die Tränen über die Wangen. Man konnte es verstehen, die 37-jährige Anwältin war von sich selbst überwältigt. Raggi ist in knapp 3000 Jahren Stadtgeschichte die erste Frau im römischen Kapitol. Zudem schien jetzt Wirklichkeit zu werden, was die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo seit ihrer Gründung vor sieben Jahren als Programm ausgibt: Die Bürger bemächtigen sich endlich der von einer korrupten Politiker-Kaste besetzten italienischen Institutionen. Würde Raggi heute erneut mit Tränen in den Augen ertappt - niemand würde sich wundern. Denn viel komplizierter hätten die ersten Wochen ihrer Amtszeit kaum sein können. Zu Beginn hatte die Römerin große Schwierigkeiten, überhaupt ihr zehnköpfiges Referenten-Team zusammen zu stellen. Der Kandidat für Sport etwa, ein ehemaliger Rugby-Spieler, hatte mit rassistischen Bemerkungen von sich Reden gemacht und fiel deshalb durch. Anschließend verhinderten Grabenkämpfe innerhalb der 5-Sterne-Bewegung einen überzeugenden Start, die italienische Presse schrieb gar von einem „Bandenkrieg“. Nun droht ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen alle guten

Vorsätze Raggis wie Seifenblasen zerplatzen zu lassen: der Müll. Wieder einmal sind etliche Straßen und Viertel mit stinkenden Müllsäcken übersät, 300 000 Tonnen sollen es sein. Roms Ratten (bis zu neun Millionen) feiern. Da wirkt es so, als verwirklichte sich die finstere Prophezeiung des Komikers Beppe Grillo, Gründer der 5-Sterne-Bewegung. Noch in der Nacht des Wahlsieges hatte er vorhergesagt, dass nun dunkle Mächte ans Werk gehen würden, um Raggi Steine, respektive Müllsäcke zwischen die Beine zu legen. Dabei gelangt in diesen Tagen nur ein chronisches, weil nie gelöstes Problem an die Oberfläche. Beinahe jeden Sommer kommt es in Rom zum Müll-Chaos. Seit Raggis Vorgänger Ignazio Marino im Jahr 2013 endlich die von der EU als illegal eingestufte Deponie Malagrotta schließen ließ, müssen vier Mülltrennungsanlagen den gesamten Abfall (1,8 Millionen Tonnen) der Drei-Millionen-Stadt sortieren. Fällt wie jetzt eine Anlage wegen Wartungsarbeiten oder…

TagesWoche, 25. Juli 2016 Hexerei, böser Blick oder einfach Pech: Ein kleines Dorf in Süditalien scheint verflucht zu sein. Jetzt versucht die Gemeinde, ihren Ruf als Hort des Unglücks abzustreifen.

Hort des Aberglaubens: das Dorf Colopbraro in Kalabrien. Foto: Gaetano Virgallito

Hort des Aberglaubens: das Dorf Colopbraro in Kalabrien. Foto: Gaetano Virgallito

Andrea Bernardo hat den miserablen Ruf seines Dorfes am eigenen Leib erlebt. Als Jugendlicher brauchte er einst ein amtliches Dokument und nahm zu diesem Zweck die stundenlange Reise in die Provinzhauptstadt Matera auf sich. Die Beamten nahmen den Antrag entgegen und gaben zu verstehen, dass Bernardo das Schreiben in den nächsten Tagen oder Wochen abholen könne. «Ich komme aus Colobraro», sagte Bernardo, der heute 52 Jahre alt und Bürgermeister des angeblich unglückseligsten Dorfes in Italien ist. Da erfasste die Beamten ein mysteriöser Eifer. Nach zwei Stunden war das Schreiben bereit. Es ist für Menschen, bei denen die Aufklärung Spuren hinterlassen hat, nur schwer zu verstehen. Doch der Aberglaube ist auch in Europa weit verbreitet, nicht zuletzt in Süditalien. Colobraro in der Region Basilikata, 80 Kilometer von Matera entfernt, der europäischen Kulturhauptstadt 2019, scheint das Epizentrum für den Glauben an allerlei Übernatürliches zu sein. Um einem möglichen Fluch zu entgehen, beeilten sich damals die Beamten bei der Beschaffung des Dokuments für Bernardo ganz besonders. Bis heute nehmen die Menschen in der Umgebung den Namen des Dorfes gar nicht erst in

den Mund, aus Angst vor fürchterlichen Folgen. «Quel paese», sagen sie nur. «Dieses Dorf.» Auch die Carabinieri fürchten sich Wer so viel Irrationalität für unmöglich hält, der ruft am besten beim Bürgermeister der 1300-Seelen-Gemeinde höchstpersönlich an. «Es stimmt, der Aberglaube ist bei uns sehr weit verbreitet», bestätigt Bernardo. Er selbst halte allerdings eher wenig davon. Doch die Legende vom miserablen Colobraro hat sich längst verselbstständigt. Da ist die Dorfbewohnerin, die erzählt, dass ihre Mitschüler aus den umliegenden Dörfern Eisen berührten, wenn sie vorbei kam. Eisen gilt bei abergläubischen Italienern als Ableiter für den bösen Blick oder ähnliches Unglück. Eine andere Frau berichtet, dass Leute aus der Umgebung nicht mit ihr in den Lift steigen wollen, weil sie als Colabrese Pech bringe. Wer darin bloss reinen Wahnsinn erkennt, der kann sich auch andere Episoden zum Besten geben lassen, etwa von auffällig vielen geplatzten Autoreifen…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2016 Warum hat Italien die wichtigen Duelle mit Deutschland immer gewonnen? Gianni Rivera, 1970 Siegtorschütze im Jahrhundertspiel und später Europa-Parlamentarier, erklärt es im Interview.

Gianni Rivera. Hier auf einer alten Briefmarke im Dress des AC Mailand.

Gianni Rivera. Hier auf einer alten Briefmarke im Dress des AC Mailand.

Es war ein eher unspektakulärer Flachschuss, mit dem Gianni Rivera die deutsch-italienische Rivalität im Fußball begründete. Am 17. Juni 1970 erzielte der damalige Angreifer des AC Mailand in der Verlängerung des WM-Halbfinales das Tor zum 4:3-Sieg für Italien. Seither gilt Rivera als (natürlich parteiischer) Experte für deutsch-italienische Duelle. Rivera ist heute 72 Jahre alt und Funktionär beim italienischen Fußballverband. Zuvor war er als Christdemokrat EU-Parlamentarier, italienischer Abgeordneter und Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Ihr legendärer Treffer zum 4:3 im WM-Halbfinale 1970 gegen Deutschland liegt jetzt 46 Jahre zurück und ist doch immer wieder ein Thema. Warum? Richtig verstanden habe ich das nie. Fernsehen gab es damals erst seit kurzer Zeit. Es war Sommer, viele Leute, die gar nicht so viel übrig hatten für Fußball, sahen die Partie. Das war ein kollektives Erlebnis. Außerdem ist das Spiel ständig gekippt. Erst lagen wir vorne, dann hat Karl-Heinz Schnellinger in der 90. Minute ausgeglichen. In der Verlängerung ist Deutschland mit Gerd Müller in Führung gegangen, wir haben ausgeglichen, dann hat uns Gigi Riva in Führung gebracht. Wieder

der Ausgleich durch Müller. Und dann kam ich, 111. Minute. Stimmen Sie zu, dass Ihr Treffer der Beginn der deutsch-italienischen Rivalität im Fußball war? Das kann man so sagen. Es war schon verrückt. Ihr wart damals bekannt für Kraft, Körperlichkeit und Ausdauer. Wir galten in dieser Hinsicht als unterlegen. Dass wir uns in der Verlängerung durchsetzten, war also ein doppelter Erfolg. Das Spiel wurde zum „Spiel des Jahrhunderts“, weil es immer auf und ab ging, beide Mannschaften standen kurz vor dem Sieg, dann kam das andere Team wieder zurück. Danach waren alle irgendwie aufgewühlt, nicht nur Italiener und Deutsche. Welche besonderen Erinnerungen haben Sie an damals? Das war ein ganz besonderer, emotionaler Moment. Die Leute in Italien liefen auf die Plätze und hatten erstmals seit langer Zeit wieder Grund in aller Öffentlichkeit zu feiern. Der Krieg war noch nicht lange vorbei. Auch politisch war die Zeit in Italien…