Wiener Zeitung, 15.11.2016 - Nach der US-Wahl rückt das Referendum in Italien in den Fokus. Der Regierung Renzi droht das Aus.

Ob Matteo Renzi sich wirklich den richtigen Berater gesucht hat? Immer wieder tauchte der amerikanische Kampagnen-Guru Jim Messina in den vergangenen Wochen im Palazzo Chigi auf, dem Sitz des italienischen Ministerpräsidenten in Rom. Für Premier Renzi geht es um alles beim Referendum am 4. Dezember, bei dem die Italiener eigentlich nur über eine Verfassungsreform abstimmen sollen, aber auch ein Urteil über die Regierung insgesamt fällen werden. Messina bewerkstelligte die Wiederwahl von US-Präsident Obama, beriet aber auch den ehemaligen britischen Premierminister David Cameron bei seiner im Desaster geendeten Anti-Brexit-Kampagne. Und zuletzt unterstützte er die misslungene Wahl von Hillary Clinton zur US-Präsidentin. Jetzt arbeitet er für Renzi. Keine exzellenten Aussichten für den Italiener, in den Umfragen liegen die Gegner der Reform vorne. Die Bedeutung der Volksabstimmung geht längst über die eigentliche Frage des Referendums hinaus. Ein „Nein“ der Italiener zur Verfassungsreform, die Renzi zum Kernprojekt seiner politischen Bemühungen erklärt hat, käme einem Misstrauensvotum gegen den 41-jährigen Premierminister gleich. Die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen sind kaum abzuschätzen. Renzis Rücktritt wäre wahrscheinlich. Monate der Unsicherheit lägen dann vor Italien und der EU. Ein

Zeichen für die angespannte Situation auf den Finanzmärkten sind der starke Anstieg der Zinsen für zehnjährige italienische Staatsanleihen sowie der Anstieg des sogenannten Spread, der den Zinsaufschlag auf italienische Papiere im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen misst. Von einem Tiefstand im August bei 112 Punkten schnellte er zuletzt auf über 180 Zähler nach oben. Anlegern zufolge ist die Wahrscheinlichkeit eines Euro-Austritts Italiens inzwischen höher als der Griechenlands. Lange war man sich in Italien einig, dass das aktuelle parlamentarische System die Entwicklung des Landes bremst. Um autoritäres Regieren wie zu Zeiten des Faschismus zu vermeiden, pendeln Gesetzte seit der Nachkriegszeit lange zwischen zwei gleichberechtigten, aber mit verschiedenen Mechanismen gewählten Kammern hin und her. Unterschiedliche Mehrheiten waren die Folge, ein Kreuz für die Exekutive. Die nach Renzis Reform-Ministerin Maria Elena Boschi benannte und bereits von beiden Kammern verabschiedete Verfassungsreform sieht vor, den Senat zu einer untergeordneten Kammer zu degradieren und…

Augsburger Allgemeine, 20.10.2016 - Don Luigi Ciotti ist Italiens bekanntester Straßenpriester. Er kämpft für die Schutzlosen, gegen Ungerechtigkeiten, die Mafia und ist selbst in Lebensgefahr. Doch es gibt zunehmend Kritik an seinem Stil.

Es gibt Menschen, die füllen einen ganzen Saal mit ihrer Persönlichkeit aus. Luigi Ciotti gehört zu ihnen. Wenn er auf dem Podium sitzt, dann warten die Zuhörer meistens nur darauf, dass er endlich das Wort ergreift, der Straßenpriester, der Antimafia-Held, der Furchtlose, Don Ciotti. Er spricht gerne und oft, mit ausladenden Gesten und gewichtigen Worten, die er manchmal mantraartig wiederholt. Ein solcher Satz vom ihm lautet: „Nur das Wir kann Veränderungen und soziale Gerechtigkeit erzeugen.“ Wer Don Ciotti noch nie sprechen gehört hat, der wundert sich über die Verve, mit der dieser Mann seinen Einsatz für eine bessere Welt untermalt. Ciotti ist 71 Jahre alt, fast immer erscheint er im hellblauen Hemd, darüber trägt er einen dunklen Pullover. Im Priesterkragen haben ihn die wenigsten zu Gesicht bekommen. Dieser so gar nicht abgehobene Geistliche stammt aus Turin, ist fast nie zuhause und zweifellos ein Unikat, eine Art Irrwisch im Dienste der Gerechtigkeit. Die Universität Augsburg verleiht Ciotti an diesem Donnerstag den mit 10 000 Euro dotierten Mietek-Pemper-Preis für seine Verdienste um Versöhnung und Völkerverständigung. Es gibt zwei Schlüsselmomente in seinem Leben. Zum Einen ist da das Zweite Vatikanische Konzil, das 1965

zu Ende ging. Ciotti war damals 20 Jahre alt und fasziniert von einer Kirche, die ihre Gläubigen nicht mehr nur mit strengen Vorschriften konfrontierte, sondern ihnen das Streben nach Erneuerung gestattete. Viele geistliche Bewegungen entstanden in Folge des Konzils, auch der junge Ciotti gründete eine Gruppe, die sich später den Namen „Abel“ gab, nach dem von seinem Bruder Kain aus Neid erschlagenen Sohn Adams und Evas aus dem Alten Testament. In Abel erkannten Ciotti und seine Mitstreiter das Sinnbild des hilflosen Menschen. Im „Gruppo Abele“ kümmerten sich die jungen Katholiken deshalb um die Resozialisierung von Gefangenen und erstmals in Italien um HIV-Kranke. Als der wenig linientreue Turiner Kardinal Michele Pellegrino den 27-jährigen Ciotti 1972 zum Priester weihte, vertraute er ihm nicht etwa eine gewöhnliche Pfarrei irgendwo im Piemont an. Ciottis Pfarrei sei die Straße, sagte der Kardinal. Ciotti und seine Mitstreiter kümmerten sich um verzweifelte Existenzen, um Drogensüchtige, später…

Rheinische Post - 17.10.2016 Der Vatikan vermietet künftig an McDonalds. Einigen Kardinälen passt das gar nicht.

Papst Franziskus hat sich bislang nicht als wirtschaftsliberaler Befürworter der selbstregulierenden Kräfte des Marktes geoutet. Im Gegenteil, „diese Wirtschaft tötet“, postulierte der Argentinier zu Beginn seines Pontifikats. In diesem Zusammenhang ist ein Mietvertrag von nicht geringem Interesse, den die vatikanische Güterverwaltung Apsa vor Wochen unterschrieben hat. In ein seit Jahren leerstehendes Geschäft in einer Vatikan-Immobilie zu Füßen des Apostolischen Palastes im Borgo Pio zieht im kommenden Frühjahr die Fast-Food-Kette McDonald's ein.  Künftig werden sich im Schatten des Petersplatzes also Weihrauch und der unwiderstehliche Geruch von Frittieröl zu einer höllischen Note vermischen. Ganz abgesehen von der Frage, wie die Geschäftspraktiken des US-Konzerns mit der katholischen Soziallehre und der jüngst veröffentlichten Umwelt-Enzyklika des Papstes in Einklang zu bringen sind, hat die Vermietung auch Unbehagen in der Nachbarschaft ausgelöst. Die Bewohner des Borgo Pio befürchten das Ende des autochthonen Idylls aus überteuerten Trattorien, Klerikerbedarf und Souvenirläden. Sie wollen es der Stadt Florenz gleichtun, die im Sommer die Niederlassung einer McDonalds-Filiale auf dem Domplatz verhinderte. Jetzt herrscht Kulturkampf in Rom. Besonders ungehalten sind insbesondere eine Handvoll Kardinäle, die in demselben Palazzo wohnen und ihre fürstlichen,

bis zu 500 Quadratmeter großen Gemächer zu Schleuderpreisen bewohnen. Bislang waren vor allem Nachbarschafts-Streitigkeiten im Zusammenhang mit stundenlangem Klavierüben eines hochrangigen Prälaten bekannt geworden. Nun fürchten die Eminenzen, unter ihnen vor allem Italiener und zwei Lateinamerikaner, ganz und gar irdischen Krach, Schmutz und vielleicht sogar Mehrkosten durch den notwendig gewordenen Umbau. Beim Papst sei Beschwerde eingereicht worden. Als 1986 die erste italienische McDonalds-Filiale an der römischen Piazza di Spagna eröffnet wurde, protestierten hunderte Italiener gegen den Fast-Food-Koloss. Die Demonstrationen waren der Startschuss für die Gründung der alternativen Slow-Food-Bewegung, die nachhaltige Ernährung fördern will. Ob auch die erbosten Kardinäle öffentliche Protestveranstaltungen initiieren wollen, ist nicht bekannt. Die Vorstellung einer alternativen Volksküche vor dem betreffenden Palazzo mit einer Spaghetti-Speisung aus Prälaten-Hand ist allerdings allzu verlockend. Wahrscheinlich ist hingegen eine interne Klärung der Vorgänge, schließlich hat die vatikanische Güterverwaltung selbst den neuen Mieter ins Haus…

Tageswoche 16.10.2016 - In den Hügeln Umbriens hat die Frucht-Archäologin Isabella Dalla Ragione ein einzigartiges Biotop geschaffen. Sie sucht in Vergessenheit geratene Obstsorten, um die ökologische Vielfalt zu bewahren und lässt sich dabei von Renaissance-Gemälden und Hollywood-Stars helfen.

Der Feldweg schlängelt sich bergauf in den Wald. Nach ein paar Metern mahnt ein selbst gemaltes Schild den Ankömmling zur Umsicht mit herumlaufenden Hühnern. „Jagdverbot“, liest man gleich danach auf einem anderen. Zeichen natürlicher Vorherrschaft. Dann lichtet sich der Wald, ein weiter Blick tut sich auf: Ein kleines Tal in den grünen Hügeln Umbriens, ein mit unzähligen Obstbäumen und Weinreben gefüllter Hang. Links die verwunschene Einsiedelei San Lorenzo dei Lerchi und wo das Auge hinreicht duftende Äpfel. Es ist still, der Wind weht in den herbstlich gefärbten Blättern. Dann rauscht die silberhaarige Patronin über diesen paradiesischen, zwischen Florenz und Perugia gelegenen Flecken im Auto heran. Hier im oberen Tibertal regiert die Langsamkeit. Und doch ist Tempo für Isabella Dalla Ragione ein entscheidender Faktor. „Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, sagt sie und meint damit weniger den anstrengenden Alltag zwischen Bäumen, Früchten, Ernte und allerlei Anfragen, sondern ihr Lebenswerk, die Suche nach verlorenen Früchten. „Obst-Jägerin“ wurde die 59-Jährige schon genannt, im 2013 auf der Berlinale präsentierten Dokumentar-Film „The Fruit Hunters“ ist

sie eine der Protagonistinnen. Die gelernte Agrarwissenschaftlerin empfindet sich jedoch weniger als Jägerin, das kriegerische Element des Terminus behagt ihr nicht, genauso wenig wie das Etikett der Sammlerin. „Mit Panini-Album hat das hier gar nichts zu tun“, sagt Dalla Ragione. Sie bezeichnet sich als Archäologin, als jemanden, der nach den Ursprüngen forscht, um die Gegenwart zu verstehen. „Archeologia arborea“, Baum-Archäologie, hat sie das hier von ihrem Vater Livio in den 1960er Jahren gegründete Reservat von verloren geglaubten Obstbäumen in den umbrischen Hügeln genannt. Es geht ihr darum, das vergessene Obst aus der Versenkung zu holen, solange es noch möglich ist. 500 Bäume und 160 verschiedene Arten sind in San Lorenzo inzwischen versammelt und damit vorerst gerettet. 40 Apfelsorten, 30 Birnensorten, dazu ein Dutzend Kirschsorten, verschiedene Feigen, Mandeln, Pflaumen, Quitten und Mispeln. Alle waren einst in der Umgebung verbreitet, einer alten Pilgergegend zwischen Florenz, Rimini, Assisi und Rom, einer Umgebung…