11 Freunde, 11.9.2014 Zwei Jahre führte José Mourinho als Trainer von Inter Mailand Krieg gegen die italienische Presse und jagte zugleich ihre Auflagen in die Höhe. Nun ist er weg – und die Reporter wissen nicht, ob sie lachen oder weinen sollen.

In der Woche danach hat sich Mirko Graziano von der »Gazzetta dello Sport« Urlaub genommen und sein Telefon ausgeschaltet. Stefano Pasquino von »Tuttosport« ist drei Tage ans Meer gefahren, um sich zu erholen. Am Schlimmsten hat es Andrea Ramazzotti vom »Corriere dello Sport« erwischt. Er ist unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Champions-League-Finale in Madrid ins Krankenhaus gegangen, weil es ihm »nicht so gut« gehe, wie er mit schwacher, fast versagender Stimme ins Handy haucht. Was genau es ist, weiß er auch nicht. Aber es wäre kein Wunder, wenn der Auslöser seiner Kreislaufprobleme José Mourinho hieße. »Bitte erst in ein paar Tagen wieder melden!« Das ist die Standard-Antwort, mit der die Reporter von Italiens großen Sporttageszeitungen Fragen nach dem Gespenst abwehren, auf das sie in den vergangenen zwei Jahren Jagd gemacht haben. Oder war es der Trainer von Inter Mailand, der die italienischen Journalisten bis in ihre Träume verfolgt hat? Jedenfalls haben die Beteiligten ziemlich viele blaue Flecken aus ihrer zweijährigen Chaosbeziehung davon getragen. Es ist ein

bisschen wie bei einem Wirbelsturm, der übers Land hinweg gezogen ist. Er hat alles durcheinandergebracht und war so schnell wieder vorbei, wie er aufgekommen ist. Jetzt rappeln sich die Geschundenen auf und begutachten den angerichteten Schaden. Am Ende haute es sogar José Mourinho selbst um. Nachdem er im ersten Jahr bereits italienischer Meister wurde, gelang ihm in der zweiten Saison das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League. Keiner in Italien hatte das bisher geschafft. Nach 45 Jahren brachte er Inter den Pokal der Landesmeister zurück. Bei der Siegerehrung im Madrider Bernabeu-Stadion am 22. Mai brach Mourinho an der Brust des Inter-Präsidenten Massimo Moratti in Tränen aus wie ein kleines Kind. Zärtlich strich der Präsident dem Trainer einige Male über den Kopf, um ihn zu trösten. Der stolze Mourinho wirkte auf einmal ganz klein und verletzlich. Verrat an Inter Mailand Der Moment bekam seine Dramatik vor allem aus dem Verrat, den Mourinho begangen hatte.…

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 8.4.2012 Zwei unbekannte Fußballprofis deckten den Wettskandal in Italien auf. Nun werden sie gefeiert - und müssen ihren alten Platz im Leben wiederfinden.

Es ist jetzt ein Jahr her, dass Fabio Pisacane ein Niemand war. Ein Niemand, dem im April 2011 der Sportdirektor seines früheren Vereins Ravenna Calcio 50 000 Euro anbot, wenn er mit dem AC Lumezzane, seinem damaligen Klub, absichtlich verlieren würde. Pisacane lehnte ab, zeigte Giorgio Buffone an und trug zur Aufdeckung des italienischen Wettskandals bei. Inzwischen kennt man den 26 Jahre alten Verteidiger im ganzen Land, auch auf den Plätzen der dritten Liga. Beim Auswärtsspiel in Pavia vor ein paar Wochen beschimpfte ihn ein gegnerischer Spieler von der Bank und rief: "Buscetta!" Pisacane hatte Mühe, ruhig zu bleiben, aber er sagte nichts. Tommaso Buscetta war der bekannteste Kronzeuge der sizilianischen Mafia, ein Massenmörder, der später das System der Cosa Nostra auffliegen ließ. Täglich gelangen neue Details über das faulige System des Calcio an die Öffentlichkeit. Andrea Masiello, der frühere Kapitän des AS Bari, hat zugegeben, in der vergangenen Saison im Spiel gegen US Lecce absichtlich ein Eigentor erzielt zu haben. Er und seine

Komplizen sollen dafür 250 000 Euro von der Wettmafia bekommen haben. Wieder ist die Rede von Serie-A-Vereinen, die in Manipulationen verwickelt sind, neben Bari und Lecce auch der AC Cesena, Udinese Calcio, Chievo Verona, CFC Genua und US Palermo. Spieler wie Masiello, Paolo Gervasoni, Cristiano Doni sind als reuige Betrüger in den Schlagzeilen. Fabio Pisacane wurde bekannt, weil er eine Straftat angezeigt hat. "Das ist doch etwas ganz Normales", sagt er. "Ich wundere mich, dass meine Anzeige so viel Aufregung verursacht hat." Die Aufregung kam allerdings mit Verspätung. Zunächst war alle Aufmerksamkeit auf Simone Farina gerichtet. Auch er ist ein Verteidiger, auch er hatte einen Bestechungsversuch angezeigt. Ein alter Bekannter aus der gemeinsamen Zeit in der Jugendmannschaft des AS Rom hatte ihm 250 000 Euro geboten, damit Farina dafür sorgt, dass sein Verein, der umbrische Zweitligaabsteiger AS Gubbio, im Pokalspiel gegen Cesena mit einer hohen Niederlage ausscheide. Während niemand von Pisacane sprach, der denselben Mut wie…

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.10.2011 Die Römer erwarten von Fußballstars, dass sie sich auch wie Fußballstars benehmen. Miroslav Klose ist für die Lazio-Fans deshalb eine Überraschung. Der Rummel prallt am Deutschen einfach ab.

Sie wollen irgendetwas Griffiges, aber Miroslav Klose entzieht sich den Fragen der Hauptstadtreporter wie ein glitschiger Fisch. Wie hat sich der Schütze des entscheidenden Tores gefühlt nach seinem Siegtreffer vor einer Woche im Derby in allerletzter Minute, will ein italienischer Journalist bei der ersten Pressekonferenz wissen, die Klose nach vier Monaten in Rom gibt. Und Miroslav Klose schiebt seinen Kopf vorsichtig in Richtung der Mikrofone, die vor ihm wie ein bedrohliches Bündel Neugierde auf einem großen Tisch aufgebaut sind. Kloses Vorteil ist, dass die Sprache noch wie ein Schutzschild zwischen ihm und der Presse steht, er spricht fast kein Italienisch. Es gibt nichts zu entschärfen in Kloses Worten, aber der Dolmetscher macht sie noch einmal harmloser, als sie es sowieso schon sind. Miroslav Klose sagt, er habe sich vorher bereits mit dem Stadtduell zwischen seinem Klub Lazio Rom und dem AS Rom beschäftigt. "Es waren immer sehr emotionale Spiele, und deshalb bin ich mir schon bewusst, was wir da als Mannschaft geschafft haben." Der Fisch flutscht zurück ins

Wasser. Die Reporter haben sich das anders vorgestellt. Sie hatten einige Tage zuvor ja gesehen, wie alle Ersatzspieler von Lazio Rom aufgesprungen und zur Werbebande vor der Fankurve gestürmt waren, wo die Mitspieler den Stürmer aus Deutschland schon zum Zentrum eines hüpfenden Menschenknäuels gemacht hatten. Ob er wollte oder nicht. Kein Klose-Salto, kein mit Zeigefinger und Daumen geformter Ring als Jubelgeste. Es war einfach keine Zeit. Klose waren nur ein paar Augenblicke für einen Schrei geblieben, der in der tosenden Begeisterung der Zuschauer unterging. Fünf Derbys hatte Lazio gegen den AS Rom nicht gewonnen. Eine Ewigkeit in Rom. Und auf einmal ist der 33 Jahre alte Nationalspieler aus Deutschland Auslöser eines fußballerischen Umsturzes in der italienischen Hauptstadt. Aber man merkt es Klose nicht an. Es scheint so, als habe Rom auf ihn dieselbe Wirkung wie eine steife Brise an der Weser oder ein kühles Bad im Tegernsee. In Bremen wurde der Stürmer…

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.10.2011 Chaos, Arbeitslosigkeit, Kriminalität: Im Fußball sucht Neapel das, was es im Alltagsleben nicht hat.

Die lauteste Stimme Neapels klingt leise und erschöpft. Man muss sich sehr nahe zu Raffaele Auriemma setzen, um seine Worte zu verstehen, während hupende Motorräder, Roller, Kleinwagen und Busse am Tisch des Cafés an der Uferpromenade vorbeibrausen. Neapel ist laut, und der TV-Reporter ist einer der lautesten in dieser Stadt, aber nur während der Partien des SSC Neapel. Den Rest der Woche muss er seine Stimme schonen. Auriemma ist das berühmteste Exemplar einer seltenen Spezies, die entweder Kopfschütteln oder Ekstase hervorruft. Er ist "commentatore tifoso" - Fan-Kommentator des SSC Neapel. Alle paar Minuten muss der dunkelblonde Schlaks mit Halstuch und Hornbrille fremde Hände schütteln und Komplimente entgegennehmen. Er ist die Stimme einer Stadt, die sonst kaum Gehör findet. Aber wenn der legendäre Reporter beim ersten Sieg des SSC Neapel gegen Juventus Turin seit über 20 Jahren den zweimaligen Torschützen Marek Hamsik brüllend zum "Unesco-Weltkulturerbe" erhebt und kreischend darum bittet, sofort in Turin beerdigt zu werden, weil mehr von diesem Leben nicht zu erwarten sei, dann sind das die Worte, die Neapels Glück am besten Ausdruck

geben. Erstmals seit den glorreichen Zeiten Ende der 80er Jahre spielt der SSC Neapel wieder in der Champions League. Am Dienstagabend tritt der FC Bayern München im Gruppenspiel im Stadio San Paolo an, einer riesigen Betonschüssel, die wie vieles in Neapel ein Anachronismus ist. Auf dieser baufälligen Bühne wollen die Neapolitaner endlich wieder international von sich reden machen, aber diesmal eben nicht mit negativen Schlagzeilen über das neueste Attentat der Camorra oder stinkende Müllberge auf den Straßen. "Im Fußball suchen wir das, was wir im Leben nicht haben", flüstert Auriemma. Die Neapolitaner sind täglich mit unzähligen Schwierigkeiten konfrontiert, mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 30 Prozent, mit niedrigen Löhnen, Kriminalität, dem chaotischen Verkehr und dem immer noch nicht endgültig gelösten Müllproblem. Der vor kurzem neu gewählte Bürgermeister der Bewegung Italia dei valori (Italien der Werte) hat zwar frischen Wind gebracht, aber dass er die riesigen…