Christ&Welt/Die ZEIT 1.10.2015 Am Sonntag beginnt die Bischofssynode zum Thema Familie. Es geht nicht nur um die Ehe, es geht ums Ganze. Kardinal Robert Sarah aus Guinea hat sich an die Spitze der Konservativen gesetzt. Den europäischen Reformern wirft er »Neokolonialismus« vor. Was treibt ihn an?

Um zu verstehen, was diesen Mann antreibt, muss man mit ihm eine Zeitreise zurück in die Siebzigerjahre machen. Robert Sarah hat gerade sein Theologiestudium in Jerusalem beendet, als er zum Pfarrer einer Kleinstadt an der Atlantikküste seines afrikanischen Heimatlandes Guinea ernannt wird. Rom und der Vatikan sind eine Ewigkeit entfernt. Sarah ist noch nicht einmal 30 Jahre alt. Mit einem Koffer auf dem Kopf, in dem die Utensilien zum Feiern der Messe stecken, wandert er zu Fuß durch das Land. Christen sind in Guinea eine Minderheit, das kommunistische Regime hat den katholischen Erzbischof in ein Lager gesteckt. Zwischen Atheisten und Muslimen, verfolgt von den Schergen des Regimes, verkündet Sarah die Wahrheit. An diesem Sonntag beginnt im Vatikan die ordentliche Bischofssynode zum Thema Familie. Wieder einmal geht es um Wahrheit, wie eigentlich immer im Leben von Robert Sarah. Auch diesmal steht viel auf dem Spiel, vielleicht sogar die Richtung, in die sich die gesamte katholische Kirche bewegt. Der 70 Jahre alte Sarah ist längst zum

einflussreichen Kardinal aufgestiegen, seit 2001 wirkt er an der Kurie, im vergangenen Jahr ernannte ihn Franziskus zum Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst. Aber Sarahs Haltung ist immer noch die des barfuß durch die afrikanische Diaspora stakenden Missionars. Alle Sätze, die nun so aufsehenerregend klingen, erklären sich aus dieser Erfahrung. Sarah sagt: »Ich bin sicher, dass das Rot meiner Kardinalswürde tatsächlich der Widerschein des Blutes vom Leiden der Missionare ist, die bis ans Ende Afrikas kamen, um in meinem Dorf das Evangelium zu verkünden.« Blut und Wahrheit, das sind im Leben dieses Geistlichen entscheidende Parameter, mit denen man in Westeuropa heutzutage Schwierigkeiten hat. Robert Sarah entstammt dem Eingeborenenvolk der Coniagui, das im Niemandsland an der Grenze zum Senegal lebte. Seine Eltern wurden zum katholischen Glauben bekehrt und tauften ihren einzigen Sohn. Der geriet in jungen Jahren mehrmals in Lebensgefahr, weil er Christ ist. Mit 34 Jahren wurde er zum jüngsten katholischen Bischof überhaupt geweiht. Dieser gebildete…

Wirtschaftswoche, 17.9. 2015 Jedes Jahr veröffentlicht die Regierung in Rom ein Register nicht vollendeter Bauwerke. Ein Einblick in den Schlund, in dem öffentliche Gelder in Italien verschwinden. 

Friedlich liegt das Städtchen Sciacca an der Südküste Siziliens. Wie weiße Schachteln stapeln sich die Häuser der Altstadt über dem Fischer-Hafen. Johann Wolfgang von Goethe und Federico Fellini schwärmten von diesem Idyll. Auch auf heutigen Postkarten sieht es so aus, als könnte man es gut aushalten in dem 40 000-Seelen-Nest. Warum also nicht einen Anziehungspunkt für die ganze Welt schaffen, in diesem Paradies auf Erden?  So dachten es sich Anfang der 70er Jahre eine Handvoll Politiker und Funktionäre unter der Führung des damaligen sizilianischen Assessors Calogero Mannino. Noch heute hat der 76-Jährige einen klingenden Namen in Italien, weil er Statthalter der italienischen Christdemokraten auf Sizilien war und mehrfach Minister wurde. Inzwischen ist Mannino wegen eines angeblich in den 90er Jahren geschlossenen geheimen Pakts zwischen Mafia und italienischem Staat angeklagt. Jahre zuvor wirbelte er für die Unsterblichkeit seines Heimatortes.  Mannino ersann ein Milliardenprojekt, dessen Folgen noch heute unübersehbar sind. Elf Hotels sollten auf dem Gemeindegebiet entstehen, dazu ein Aquarium. Und dann war da noch die Idee, ein Theater mit 1000 Plätzen zu schaffen, das in einem Zug mit den Opernhäusern in den europäischen Metropolen genannt werden sollte. Im Teatro Popolare von Sciacca, das sich wie eine Mischung aus Beton-Ufo und Atom-Meiler in die sizilianische Erde gefräst hat, spielte neulich sogar das

Symphonieorchester Siziliens. Mannino, den sie zuhause nur Lillo nennen, saß in der ersten Reihe. Nach dem Konzert sperrte das Theater wieder zu.  "Öko-Monster" an einem sizilianischen Strand Seit drei Jahren veröffentlicht das italienische Infrastruktur-Ministerium eine Liste der unvollendeten, leerstehenden und öffentlich finanzierten Gebäude. In der jüngsten Version des Katalogs sind 649 über das italienische Territorium verteilte, sündteure, aber nie fertig gestellte Objekte aufgelistet, darunter Straßen, Brücken, Altenheime, Sporthallen, Schwimmbäder und Bahnhöfe. Allein die 35 in der Zuständigkeit des Ministeriums liegenden Objekte haben bisher 1,2 Milliarden Euro verschlungen, 511 Millionen Euro fehlten zur Vervollständigung. Doch bei vielen Werken hat die Vollendung gar keinen Sinn. Weil auch der Abriss zu teuer ist, verunstalten sie bis auf Weiteres die Landschaft. Register der Bausünden Das Bausünden-Register ist der Inbegriff italienischen Planungsversagens und ein Indiz für die tiefgreifenden finanziellen Schwierigkeiten des mit über 2200 Milliarden Euro verschuldeten Staates. Der zuständige Minister…

Tageswoche, 2.8.2015 Rom, sagen manche, ist heute gefährlicher als Palermo. Der sizilianische Anti-Mafia-Staatsanwalt Alfonso Sabella soll deshalb die von Korruption und Verbrechen zersetzte italienische Hauptstadt auf Vordermann bringen. Eine unmögliche Aufgabe?

Mit Pistole aufs Kapitol: Ex-Staatsanwalt Alfonso Sabella (Foto: Max Intrisano)

Mit Pistole aufs Kapitol: Ex-Staatsanwalt Alfonso Sabella (Foto: Max Intrisano)

Man weiß nicht, ob das nun ein beruhigendes oder ein beunruhigendes Zeichen ist, dass im römischen Kapitol jetzt auch Waffen zum Alltag gehören. Alfonso Sabella wurde neulich dabei ertappt, wie er mit wehendem Jackett und einer Pistole im Gurt in sein Büro eilte. „Wenn ich das Gefühl habe, heute ist kein guter Tag, dann nehme ich meine Waffe mit“, sagt der sizilianische Ex-Staatsanwalt. Auch darüber kann man streiten: Was hat es zu bedeuten, dass in der Verwaltung der italienischen Hauptstadt inzwischen Mafia-Jäger unabdinglich sind? Seit Dezember 2014 ist Sabella Assesor für Legalität der Stadt Rom. Er sitzt in seinem Büro im Palast der Senatoren und raucht Kette. Neben der Zigarettenschachtel liegt eine Maxi-Packung mit Kopfwehtabletten. Es ist drückend heiß in der Stadt und Sabellas Aufgabe herkulisch. Der 52-Jährige soll die korrupte und insgesamt 50 000 Mitarbeiter umfassende Verwaltung der Stadt Rom zu einer nach rechtsstaatlichen Maßstäben funktionierenden Verwaltung umbauen. Davon kann heute nicht die Rede sein. „Die Verwaltung Roms ist seit Jahrzehnten von Korruption geprägt“, sagt Sabella. Von seiner Vergangenheit als Antimafia-Staatsanwalt

zeugen zehn an die Wand genagelte Ehrenplaketten. Unter anderem bedankt sich hier die Antimafia-Einheit von Palermo für die Zusammenarbeit. Über Hundert Mafiosi hat Sabella als Staatsanwalt gejagt und einsperren lassen, darunter Bosse wie Giovanni Brusca und Leoluca Bagarella. Jetzt soll der Sizilianer die Hauptstadt säubern, sie hat es nötig. Die Mafia, sagen Leute, die sich mit der Materie auskennen, sei heute in Rom mehr zu fürchten als in Palermo. Der Anruf von Bürgermeister Ignazio Marino kam nicht zufällig kurz vor Weihnachten. In Rom war Tage zuvor ein Mafia-Netzwerk aufgeflogen, bei dem die Fäden der Organisierten Kriminalität in der Stadt zusammen liefen und das Unternehmer, Funktionäre der Verwaltung und Politiker auf seiner Gehaltsliste hatte. „Mafia Capitale“, wie die Staatsanwaltschaft das römische Netzwerk bezeichnete, bestätigte, was viele längst ahnten. Die öffentliche Verwaltung und weite Teile des Geschäftslebens der Hauptstadt sind von Korruption und Verbrechen zersetzt. Das eine war die Arbeit…

fluter, 26.6.2015 Der italienische Kriminologe Andrea Di Nicola über das schmutzige Geschäft der Schleuser

Die Autoren Andrea Di Nicola (links) und Giampaolo Musumeci.

Die Autoren Andrea Di Nicola (links) und Giampaolo Musumeci.

Die EU will die Schleuserkriminalität bekämpfen. Aber wie? Der italienische Kriminologe Andrea Di Nicola hat jahrelang über die Mechanismen und die Hintermänner des Geschäfts mit den Migranten recherchiert. fluter: Angenommen, ich lebe in einem Dorf in Somalia und will nach Hamburg fliehen. Wie gehe ich vor?  Di Nicola: Du hörst dich bei Bekannten um und bekommst eine Telefonnummer von einem Agenten, der für deine Gegend zuständig ist. Er sagt dir: „Ich bringe dich für 1.000 Dollar in den Niger, dann musst du selbst weitersehen.“ So arbeitest du dich Schritt für Schritt weiter. Irgendwann hast du mit den Männern zu tun, die dich über die Grenze nach Libyen bringen. Dort wirst du in eine der Hütten irgendwo an der Küste gepfercht. Wenn du Pech hast, wirst du Opfer von Gewalt. Die Schlepper wollen die Kontrolle über die Menschen haben. Schließlich geht es irgendwann nachts los, ihr werdet auf einen Kahn gedrängt. Tage später greift euch die italienische Marine auf. Die Italiener können euch nicht zwingen, Fingerabdrücke abzugeben. An Land hörst du dich um,

suchst Kontakte zu Schleppern, die dich bis nach Deutschland bringen, im Auto zum Beispiel. Oder du versuchst allein dein Glück. In Ihrem Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ schreiben Sie: „Es wird Zeit, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass es sich bei Schleusern um kleine Gauner handelt, die sich auf die Schnelle ein paar Dollar verdienen wollen.“ Wer steckt hinter den kriminellen Organisationen, die die Flüchtlinge nach Europa schleusen? Man muss sich das wie in der freien Wirtschaft vorstellen. Da gibt es kleine und große, mittlere und multinationale Unternehmen. So ist das auch im Business der illegalen Einwanderung. Das sind knallharte Geschäftsmänner, die in einem gigantischen Netzwerk zusammenarbeiten und ihre Vertreter selbst in den abgelegensten Gegenden der Welt haben. Muss man sich das wie eine Art Mafia vorstellen? Nein. Das sind organisierte Kriminelle, aber keine Mafiosi. Es sind auch sehr kleine Gruppen darunter. Jeder arbeitet auf seinem Reiseabschnitt,…