Christ&Welt/Die ZEIT, 26.11.2015 Subversiv hebt Papst Franziskus das Gewissen der Gläubigen zur katholischen Maxime. Das hat Folgen für das gemeinsame Abendmahl gemischtkonfessioneller Paare.

Anke de Bernardinis ist 74 Jahre alt und hat ein bewegtes Leben hinter sich. Die Protestantin engagiert sich in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Rom, sie ist Witwe und seit 22 Jahren wieder verheiratet, mit einem Italiener, ihrem 90 Jahre alten Ehemann Enrico. Enrico de Bernardinis ist überzeugter Katholik, bereits einmal geschieden und einer derjenigen, die sich von der katholischen Kirche an den Rand gedrängt fühlen. Zwei Bischofssynoden im Vatikan widmeten sich zuletzt solchen »pastoral schwierigen Situationen«. Aber am Sonntag vor einer Woche, da war es Papst Franziskus persönlich, der sich dieser für die Kirche explosiven Mischung gegenübersah. Der Papst hatte der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom einen Besuch abgestattet und erlebte einen so begeisterten Empfang, als sei er selbst der verantwortliche Bischof dieser Gemeinde. Aber weil vor 500 Jahren ein gewisser Martin Luther für die Abspaltung eines Teils der Gemeinschaft sorgte, sind Treffen zwischen hohen Repräsentanten der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche immer auch ein diplomatischer Spießrutenlauf. Einen offiziellen ökumenischen Dialog gibt es zwischen beiden Kirchen erst seit

50 Jahren. Die Protagonisten der Ökumene müssen den richtigen Ton treffen, dürfen die Unterschiede nicht zu sehr hervorheben, sie aber auch nicht ignorieren. Stets gibt es hohe Erwartungen, und die Gefahr ist groß, in tiefste Abgründe zu stürzen. Eigentlich ein Grund, den exzellentesten Diplomaten auf Erden für diesen komplizierten Dialog abzustellen. Aber dann saß da Franziskus in der Christuskirche. Der neun Jahre alte semmelblonde Julius hatte bei einer offiziellen Fragerunde dem Papst bereits die nicht unwesentliche Aussage entlockt, dass ihm am Papstsein am meisten gefällt, Pfarrer zu sein. Dieses Statement war durchaus als programmatischer Hinweis zu verstehen. Dann wollte Anke de Bernardinis vom Papst, der am liebsten Pfarrer ist, wissen, was sie und ihr katholischer Ehemann tun können, um endlich gemeinsam die Kommunion zu erhalten. Der Katechismus der katholischen Kirche verbietet diese sogenannte Interkommunion zwischen Katholiken und aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen mit dem Hinweis, dass diese Kirchen »die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen…

ZEIT online, 12.11.2015 Mehrere Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester klagen Franziskus an. Dem Papst seien alte Seilschaften wichtiger als die versprochene rückhaltlose Aufklärung.

Als Papst Franziskus auf seiner USA-Reise Ende September nach Philadelphia fuhr, suchte Juan Carlos Cruz lieber das Weite. Cruz, 51, stammt aus Santiago de Chile, er arbeitet in Philadelphia als Leiter der Kommunikationsabteilung eines großen Chemiekonzerns. Cruz flog zu einer Familienfeier in die Heimat, er war nicht traurig, dass er deshalb den Papst verpasste, im Gegenteil: Franziskus, der in der ganzen Welt als mutiger Reformer gefeiert wird, steht in den Augen von Juan Carlos Cruz für Stillstand und Vertuschung. Am 10. Januar dieses Jahres nominierte der Papst den neuen Bischof von Osorno in Chile, Juan Barros, 59, einen Zögling von Fernando Karadima. 26 Jahre lang leitete der heute 85-jährige Karadima die Pfarrgemeinde im Nobelviertel El Bosque von Santiago und belobigte in seinen Predigten Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet. Aber vor allem missbrauchte er nachweislich Minderjährige und errichtete eine Schreckensherrschaft aus Selbstverherrlichung, Psychodruck und Vergewaltigung. Aus seinem Umfeld kommen nicht nur Dutzende Priester, sondern auch vier in Chile amtierende Bischöfe, darunter der jüngst von Franziskus berufene Barros. "Er

war dabei, als Karadima mich berührte", sagt Juan Carlos Cruz, der nach seiner Aussage als 17-Jähriger eines von Karadimas Opfern im Priesterseminar war. "Er küsste Karadima. Ich sah, wie er abscheuliche Dinge tat." Erst 2011 wurde Karadima vom Vatikan als Priester suspendiert, strafrechtliche Ermittlungen verliefen im Sand, weil die Taten aus den 1980er Jahren verjährt waren. Der frühere Pfarrer lebt nun in aller Abgeschiedenheit. Juan Carlos Cruz sagt, er leide bis heute unter dessen Taten und sei noch immer in Therapie. "Ich habe Freunde, die sich umgebracht haben." Das größere Problem für die Kirche aber ist heute Barros, dem die Bischofskongregation im Vatikan am 31. März bescheinigte, keine "objektiven Gründe" gegen seine Nominierung gefunden zu haben. Cruz hingegen empfand es als "Schock", dass der Reform-Papst einen Mann als Bischof einsetzt, der angeblich bei Gewaltakten dabei war und Karadimas Taten bis heute vertuscht. Auch in Osorno regt sich heftiger Widerstand gegen Barros. Bei seiner Amtseinführung…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.11.2015 Der AC Mailand und sein 16 Jahre alter Stammtorwart Gianluigi Donnarumma

ROM. Er trägt der Vornamen Gianluigi, reicht mit dem Kopf beinahe bis zur Querlatte und hütet das Tor einer der berühmtesten Mannschaften in der italienischen Serie A. Nein, die Rede ist nicht von Supergigi, Gigi Nazionale, alias Gianluigi Buffon, der Torhüterlegende von Juventus Turin und dem italienischen Nationalteam. Italiens Fußball freundet sich gerade mit einem neuen Nachnamen an, der wie eine Mischung aus Frauenheld und Donnerhall klingt: Donnarumma, Gianluigi, 16 Jahre alt, neuer Stammtorwart des AC Mailand. Nicht Gigi, sondern Gigio rufen ihn die Kumpel, mit denen weniger begabte Fußballer in diesem Alter noch kicken würden. Seit Saisonbeginn steht der frühreife Donnarumma im Kader von Milan; schon in der vergangenen Spielzeit holte der frühere Trainer Filippo Inzaghi den 1,97 Meter großen Jüngling ins Aufgebot, der Keeper blieb aber ohne Einsatz. Drei Spiele nacheinander hat nun Milans neuer Coach Sinisa Mihajlovic dem Milchbart aus Catellamare di Stabia den Platz zwischen den Pfosten anvertraut. Castellamare di Stabia im Golf von Neapel ist einer der Orte in Italien, die das Zeug zum Paradies

hätten, aber von Arbeitslosigkeit und Kriminalität geprägt sind. Aus seiner unbequemen Heimat ist der Torwart aber schon eine ganze Weile weg. Vor zwei Jahren lotsten ihn die Verantwortlichen des AC Mailand in die Lombardei, Donnarumma begann als 14-Jähriger im Milan-Jugendsektor, in dem auch schon sein 25 Jahre alter Bruder Antonio reüssierte. Dessen Empfehlungen sowie das persönliche Engagement von Sportdirektor Adriano Galliani sollen den Ausschlag für den AC Mailand gegeben haben. Auch Inter Mailand und Juventus Turin bemühten sich um das Talent, vergeblich. Dass Donnarumma ausgerechnet in der jetzigen Phase Stammtorwart Diego López abgelöst hat, verwundert einerseits. Acht Spieltage nach Saisonbeginn fand sich der 18-malige italienische Meister auf Platz 13 der Serie-A-Tabelle wieder, Trainer Mihajlovic musste seinen Rauswurf befürchten - und setzte im nächsten Match auf einen 16 Jahre alten Keeper ohne jegliche Erfahrung im Profibereich. Andererseits stellte sich erst jetzt heraus, dass der mehr als doppelt so alte Stammkeeper López…

ZEIT online, 7.10.2015 Gibt es eine liberale Verschwörung? Bischöfe, die sich mehr Einfluss der Ortskirchen wünschten, trafen sich in den 1990er-Jahren regelmäßig in der Schweiz. Bei der Familiensynode könnten sich ihre Pläne endlich erfüllen.

Die Kontroverse bei der Familiensynode im Vatikan hat eine idyllische Vorgeschichte. Auf halbem Weg zwischen Ulm und Konstanz liegt das malerische Zisterzienserkloster Heiligkreuztal. In den ersten Januartagen des Jahres 1996 versammelten sich hier sieben bedeutende Vertreter der katholischen Kirche. Sie waren unzufrieden mit dem Kurs der Kirche. Eingeladen hatte der damalige Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper. Organisiert wurde das Treffen, das anschließend über zehn Jahre hinweg Anfang Januar in der nordöstlichen Schweiz stattfand, von Ivo Fürer. Der damalige Bischof von Sankt Gallen war zugleich Sekretär des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). Fürer wollte ein informelles Forum schaffen, in dem sich gleichgesinnte katholische Vordenker frei über ihre Vorstellung von Kirche austauschen konnten. Sie ahnten zwar noch nichts davon, aber diese Männer bereiteten den Boden für das Pontifikat von Jorge Mario Bergoglio. Und sie nahmen die Grundfragen der aktuellen Bischofssynode vorweg. Zum ersten Treffen in Heiligkreuztal kam neben Fürer und Kasper auch der damalige Erzbischof von Mailand, Carlo Maria Kardinal Martini. Der streitbare Jesuit wurde zum spirituellen Vater der Tafelrunde, außerdem waren der niederländische

Bischof von Helsinki, Paul Verschuren, dabei, Bischof Jean Vilnet aus Lille, der Bischof von Graz-Seckau, Johann Weber, sowie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, Bischof von Mainz. »Wir redeten damals wie Freunde untereinander«, erzählt der heute 85 Jahre alte Fürer. »Jeder konnte frei sagen, was er denkt. Wir hatten kein Protokoll und keine Tagesordnung.« Die Themen der vertraulichen Gespräche lagen auf der Hand. Papst Johannes Paul II. war stets auf Reisen und überließ die Kirchenführung weitgehend Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano sowie dem Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger. Die autoritäre und zentralistische Kirchenführung wurde aus der Sicht der reformorientierten Prälaten vom Duo Ratzinger-Sodano personifiziert. Was Fürer, Martini, Kasper, Lehmann und die anderen forderten, war eine Gemeinschaft, die den Ortskirchen mehr Freiheit lässt, echte Kollegialität ermöglicht und den als arrogant und maßregelnd empfundenen römischen Zentralismus in die Schranken weist. Um diesen Dualismus dreht sich auch die Kernfrage der Familiensynode:…