Christ&Welt / Die Zeit, 4.2.2016 Zweifel am Zölibat waren in der katholischen Lehre lange verboten. Nun sucht Franziskus nach einer Lösung für eines der zentralen Probleme seiner Kirche.

Don Giovanni Cereti ist 82 Jahre alt und steht einer Kirchengemeinde in Rom vor. Nicht mehr lange, dann ist er seit 60 Jahren katholischer Priester. Vor etwa einem Jahr war er mit dem römischen Klerus bei Papst Franziskus im Vatikan zur Audienz. Am Ende der Versammlung wollte der Papst wissen, ob noch einer der Priester etwas auf dem Herzen habe. Da erhob sich Don Giovanni, strich sein silbergraues Haar zurecht, trat ans Mikrofon und wollte wissen, wie es Franziskus mit den verheirateten Priestern hält. Er kennt viele verheiratete Priester, die von ihrem Dienst suspendiert wurden und den Wunsch hegen, wieder als Seelsorger aktiv sein zu dürfen. Auf der ganzen Welt gibt es etwa 100 000 solcher von der Kirche ausgeschlossenen Priester. Würde Franziskus also einen Weg der Annäherung finden, eine Art Willkommenskultur für verheiratete Priester etablieren? Weil Don Giovanni nicht mehr so gute Ohren hat, verstand er die Antwort des Papstes nicht genau, als er zu seinem Platz zurücklief. Aber auch die Kollegen trauten ihren Ohren kaum. Denn Franziskus sagte: »Das

Thema ist auf meiner Agenda.« Dann erzählte der Papst, er habe erst eine Woche zuvor zwölf altgediente Priester im vatikanischen Gästehaus Santa Marta empfangen. Fünf von ihnen waren verheiratet und deshalb suspendiert. Aber auch sie waren bei der Messfeier in der Hauskapelle zugegen. »Ich habe das Gefühl, das Problem der verheirateten Priester steht vor einer Lösung«, sagt Don Giovanni heute. Und tatsächlich gibt es verschiedene Anzeichen dafür, dass Papst Franziskus nach der quälenden Debatte um den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen als Nächstes die Frage des Zölibats angeht. Auf seiner knapp einwöchigen Mexiko-Reise Mitte Februar wird der Papst einen ganzen Tag im Bundesstaat Chiapas verbringen. Die Station ist aus verschiedenen Gründen brisant, hohe Kirchenfunktionäre versuchten dem Papst den Besuch in San Cristóbal de las Casas auszureden, ohne Erfolg. Denn der Abstecher in die Diözese und das Treffen mit den Vertretern der indigenen Gemeinden sind symbolisch aufgeladen. Franziskus will auch deshalb unbedingt…

Christ&Welt / Die Zeit, 28.1.2016 Hat Franziskus in der Zentralafrikanischen Republik im Vorbeigehen einen Krieg beendet?

Hat Papst Franziskus mit seinem Besuch in der Zentralafrikanischen Republik Frieden für das vom Bürgerkrieg verwüstete Land gebracht? Diesem Mann, der da im farblosen Tweed-Jackett, mit weißem Hemd, offenem Kragen, grau meliertem Haar und dem drolligen Blick eines Erdkunde-Lehrers sitzt, würde man sein Leben eher nicht anvertrauen. Schon gar nicht in der Peripherie von Bangui, der Hauptstadt der außer Kontrolle geratenen Zentralafrikanischen Republik. Unbedarft ist Mauro Garofalo gewiss nicht, aber er wirkt ein bisschen zu freundlich für Krisensituationen. Erst der Handschlag, dann macht Garofalo einen Witz über Fußball. Es war im vergangenen November, als der gelernte Kunsthistoriker mit einer Handvoll anderer Italiener in Bangui ein gewisses Risiko ging. Verabredet war die Gruppe aus Rom mit einem Rebellenführer der Anti-Balaka-Miliz, einem der Protagonisten des blutigen Bürgerkriegs, der das Land seit Jahren in einer Spirale von Armut und Gewalt gefangen hält. Das Treffen fand statt in einer Baracke am äußersten Stadtrand von Bangui. Schlechte Straßen, kaum Licht. Waffen? Garofalo hatte keine bei sich. „Ich habe mich auf die anderen verlassen“, sagt er. Zum Beispiel auf Luca Cintia,

den Kapitän der Vatikangendarmerie und dessen im Nahkampf ausgebildete Kollegen. Dann stand er da, der Unterhändler im Namen Gottes. Mitten in der Baracke. Zehn bis zwölf afrikanische Guerillas vor ihm, bis an die Zähne bewaffnet. In der Mitte der Chef der Bande, der Rebellenführer. Und im Angesicht des Schreckens sollte der eher schmächtige Römer mit seinem freundlichen Blick das Anliegen der Gäste vortragen. „Besonders angenehm war das nicht“, erzählt Garofalo. Eine genaue Berufsbezeichnung gibt es für ihn nicht, er ist Verantwortlicher der Auslandsabteilung der Laiengemeinschaft Sant' Egidio. Wobei Auslandsabteilung übertrieben klingt. Garofalos katholische Task-Force in Trastevere besteht aus fünf bis sieben Personen, je nach Bedarf. Der 39-Jährige, der einst als Jüngling zu Sant'Egidio stieß, ergriff das Wort. Er sagte den ihm gegenüberstehenden Ungeheuern, dass man sehr zufrieden sei, wie sich die Sicherheitslage in Bangui zuletzt entwickelt hätte, ohne Übergriffe, Lynchmorde und Schießereien. Dass es so…

Augsburger Allgemeine, 28.1.2016

Nach der Verhüllungs-Affäre um nackte Statuen hat Italien die Schuldige in der Protokollchefin von Premier Renzi ausgemacht Fast wäre die Karriere von Ilva Sapora im Schatten der internationalen Politik ohne großes Aufsehen zu Ende gegangen. Die Protokollchefin von Ministerpräsident Matteo Renzi geht im kommenden Jahr in Pension. Dann kam zu Beginn der Woche der iranische Präsident Hassan Rouhani nach Rom. Anlässlich seines Treffens mit Renzi im römischen Kapitol und der Unterzeichnung milliardenschwerer Wirtschaftsverträge hatten eifrige Funktionäre die nackten Marmorstatuen in den kapitolinischen Museen hinter Sperrholzplatten verstecken lassen, angeblich um die religiösen Gefühle des Schiiten nicht zu verletzen. Und seither hat die 64 Jahre alte Signora Sapora keine Ruhe mehr. Die Protokollchefin ist nun Sündenbock Nummer eins in Italien. Zu verdanken hat sie das nicht nur einem „Übereifer“, den Premier Renzi bei den Verantwortlichen der Maßnahme feststellte. Sapora ist auch Opfer einer Reihe von beinahe als todesmutig zu bezeichnenden Politikern, die sich nun einer nach dem andern von der Prüderie distanzieren. Angesichts des Shitstorms internationaler Medien, die die Verleugnung der klassischen Kultur beklagen, brachte sich als erster Kulturminister Dario Franceschini in Sicherheit indem

er sagte, er habe nichts mit der Sache zu tun. Nicht nur Renzi und Außenminister Paolo Gentiloni distanzierten sich ebenfalls, sondern auch die für die Museen zuständige Kulturbehörde sowie die Stadtverwaltung. Der italienische Verbraucherverband erstattete sogar eine Anzeige wegen „schwerer Schäden an Ehre und Image der Stadt Rom und ganz Italiens“. Auch das kann man durchaus als Übereifer bezeichnen. Arme Signora Sapora. Denn nach einhelliger Meinung der Beschützer der klassisch-okzidentalen Kultur war der Fauxpas und die liederliche Verhüllung der halbnackten kapitolinischen Venus allein ihre Schuld. Die Protokollchefin versteckt sich seither hinter überdimensionalen Sonnenbrillengläsern und geht nicht ans Telefon. Jetzt wird in ihrer Vergangenheit gewühlt. Ihre Neider im Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten in Rom, behaupten, die Dame, die seit 2001 im Dienste der Republik ist, habe nie die notwendigen Qualifikationen für den Job gehabt. Sie sei eine „raccomandata“, eine von einflussreichen Männern Empfohlene. In…

Bonner Generalanzeiger, 21.1.2016

Mit martialischen Maßnahmen will sich die Toskana gegen die dramatische Ausbreitung der Wildschweine wehren Eigentlich ist das Wildschwein schon lange nicht mehr richtig wild. Aus der Jungsteinzeit gibt es Hinweise auf seine Domestizierung, in China und der Türkei etwa. Auch im beliebten Asterix-Comic gehört das Wildschwein mehr oder weniger zum Inventar. Jedes überstandene Abenteuer feiern die beiden gallischen Widerständler Asterix und Obelix mit einem ausgelassenen Wildschweingelage für das ganze Dorf. Gut möglich, dass diese Tradition bald auch in Italien Wirklichkeit wird. Das Wildschwein ist auf dem Vormarsch, und deshalb in höchster Gefahr. Auf dem italienischen Stiefel, aber vor allem in der Toskana können sie ein davon Lied singen. Noch in den 90er Jahren lagen die toskanischen Laubwälder wie verwaist da. Heute tummeln sich in der bei Touristen so beliebten Region hunderttausende Bachen, Keiler und Frischlinge. Von einer halben Million toskanischer Wildschweine ist die Rede. Im ganzen Land sollen es inzwischen über eine Million sein. Ihre Zahl hat sich seit der Jahrtausendwende fast verdreifacht. Gute Aussichten für einen baldigen Wildschweinschmaus, etwa schon in

den Osterferien? Der richtige Umgang mit dem Wildschwein, lateinisch sus scrofa, hat sich über die Toskana hinaus zu einem umstrittenen Debattenthema entwickelt. Unversöhnlich stehen sich gegenüber: Landwirte und Jäger auf der einen Seite, Tier- und Umweltschützer auf der anderen. Die einen beklagen die Zerstörung ihrer Anbauflächen, Wiesen und Felder. Nicht nur sei etwa das Weinanbaugebiet des Chianti classico in Gefahr, gab jüngst der Direktor des Konsortiums zu Bedenken, die gesamte toskanische Kulturlandschaft drohe durch unaufhaltsam den Boden umpflügende Schweineschnauzen zu verkommen. Mit unvorhersehbaren Folgen, auch für den Tourismus. Die Toskana, eine Kraterlandschaft. Dass es sich um ein ernstes Problem handelt, dafür sprechen etwa die 2,5 Millionen Euro Ausgleichszahlungen, die die Region im vergangenen Jahr für durch Wildschweine verursachte Agrarschäden leistete. Italienweit dürfte die Summe im zweistelligen Millionen-Bereich liegen. Die Säue sind teilweise sogar lebensgefährlich. Im vergangenen Jahr wurden bis zu 1000 von verirrten Wildschweinen verursachte Verkehrsunfälle auf toskanischen…