Antonio Conte ist ein religiöser Mensch. Vor den Spielen seiner Mannschaft befolgt der italienische Nationaltrainer feste Rituale, er telefoniert mit seiner Familie im süditalienischen Lecce und betet. Während der Fastenzeit verzichtet der Katholik auf Kaffee, Süßigkeiten und Alkohol. Als Trainer von Juventus Turin hat er schon Heiligenbildchen geküsst und wie einst Giovanni Trapattoni Weihwasser verspritzt, am Handgelenk trägt er einen Rosenkranz aus dem Wallfahrtsort Medjugorje. Auf höhere Mächte will sich der 46 Jahre alte Trainer dennoch nicht ganz verlassen. Conte hat die strategische Tradition seiner Vorgänger perfektioniert. Die deutsche Nationalmannschaft wurde in der Vergangenheit schon mehrmals Opfer der taktischen Finessen der Italiener. Als Meisterwerk gilt in Italien der Schachzug im WM-Halbfinale von 2006, als Spielmacher Francesco Totti gegen sein Naturell angewiesen wurde, auf die Flügel auszuweichen und seinen Bewacher Sebastian Kehl mit sich zu ziehen. Totti nahm sich so de facto selbst aus der Partie, in der Spielmitte taten sich dadurch aber Räume auf. Die Italiener nutzten sie, gewannen 2:0 und wurden anschließend Weltmeister. Einen ähnlichen Spielzug zeigte Italien auch bei dieser
EM, er könnte die bevorzugte Waffe im Viertelfinale gegen Deutschland sein. Zwar hat Italien derzeit keinen überragenden Aufbauspieler. Conte hat deshalb seinen Stürmer Graziano Pellè als primäre Anspielstation in der Spitze bestimmt. Um Pellè direkt zu bedienen räumen die italienischen Mittelfeldspieler regelmäßig das Zentrum des Feldes frei, indem sie sich bei Ballbesitz weit vorne und oft am Rand der Außenlinie positionieren. Die gegnerische Verteidigung wird so zu Lücken gezwungen. Pellè kommt dem langen Ball aus der eigenen Abwehr entgegen, die Ballannahme ist seine Spezialität. Planmäßig legt er den Ball direkt auf seinen Sturmpartner Éder oder einen nachrückenden Spieler wie Emanuele Giaccherini ab, die in die Lücken stoßen. Éder hatte im Achtelfinale gegen Spanien auf diese Weise mehrmals freien Weg zum Tor. Diesen vertikalen Automatismus hat Conte trainiert. Italien pflegt den koordinierten Spielaufbau aus der Abwehr. Dabei ist auch Torwart Gigi Buffon entgegen anderslautender Vorurteile stark an der Zirkulation beteiligt. Weil…