Badische Zeitung, 2. August 2016 Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi ist noch nicht einmal zwei Monate im Amt. Sie stößt aber schon auf altbekannte Hindernisse.

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (38)

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (38)

Es ist bald sechs Wochen her, dass Virginia Raggi vorübergehend die Fassung verlor. Als sie sich den Fotografen beim Amtsantritt auf dem Rathausbalkon präsentierte, flossen Roms neuer Bürgermeisterin die Tränen über die Wangen. Man konnte es verstehen, die 37-jährige Anwältin war von sich selbst überwältigt. Raggi ist in knapp 3000 Jahren Stadtgeschichte die erste Frau im römischen Kapitol. Zudem schien jetzt Wirklichkeit zu werden, was die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo seit ihrer Gründung vor sieben Jahren als Programm ausgibt: Die Bürger bemächtigen sich endlich der von einer korrupten Politiker-Kaste besetzten italienischen Institutionen. Würde Raggi heute erneut mit Tränen in den Augen ertappt - niemand würde sich wundern. Denn viel komplizierter hätten die ersten Wochen ihrer Amtszeit kaum sein können. Zu Beginn hatte die Römerin große Schwierigkeiten, überhaupt ihr zehnköpfiges Referenten-Team zusammen zu stellen. Der Kandidat für Sport etwa, ein ehemaliger Rugby-Spieler, hatte mit rassistischen Bemerkungen von sich Reden gemacht und fiel deshalb durch. Anschließend verhinderten Grabenkämpfe innerhalb der 5-Sterne-Bewegung einen überzeugenden Start, die italienische Presse schrieb gar von einem „Bandenkrieg“. Nun droht ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen alle guten

Vorsätze Raggis wie Seifenblasen zerplatzen zu lassen: der Müll. Wieder einmal sind etliche Straßen und Viertel mit stinkenden Müllsäcken übersät, 300 000 Tonnen sollen es sein. Roms Ratten (bis zu neun Millionen) feiern. Da wirkt es so, als verwirklichte sich die finstere Prophezeiung des Komikers Beppe Grillo, Gründer der 5-Sterne-Bewegung. Noch in der Nacht des Wahlsieges hatte er vorhergesagt, dass nun dunkle Mächte ans Werk gehen würden, um Raggi Steine, respektive Müllsäcke zwischen die Beine zu legen. Dabei gelangt in diesen Tagen nur ein chronisches, weil nie gelöstes Problem an die Oberfläche. Beinahe jeden Sommer kommt es in Rom zum Müll-Chaos. Seit Raggis Vorgänger Ignazio Marino im Jahr 2013 endlich die von der EU als illegal eingestufte Deponie Malagrotta schließen ließ, müssen vier Mülltrennungsanlagen den gesamten Abfall (1,8 Millionen Tonnen) der Drei-Millionen-Stadt sortieren. Fällt wie jetzt eine Anlage wegen Wartungsarbeiten oder…

Kleine Zeitung, 30. Juli 2016 Papst Franziskus besucht das Konzentrationslager Auschwitz. Er feiert keine Messe, hält keine Predigt oder Rede, sondern schweigt.

"Arbeit macht frei" - Das Tor zum KZ Auschwitz

"Arbeit macht frei" - Das Tor zum KZ Auschwitz

Er sitzt einfach da. Ganz in Weiß, auf einem unscheinbaren Stuhl, mitten an diesem Ort des Grauens. Sein Kopf ist geneigt, die Augen hat der Papst geschlossen. Ab und zu bewegen sich die Blätter der Schwarzbirken im Wind. Franziskus sitzt gegenüber einer der Häftlingsbaracken, vor der ein eisernes Gerüst steht, an dem die Nazis Gefangene aufhängten. 13 Minuten lang, so notieren Mitreisende akribisch, passiert nichts. Der Papst sitzt einfach da. Als dritter Papst überhaupt hat Franziskus am Freitag das KZ Auschwitz besucht, in dem die Nazis bis 1945 mehr als eine Million Menschen töteten, vor allem Juden. Das KZ liegt etwa 70 Kilometer von der polnischen Stadt Krakau entfernt. Dort findet noch bis Sonntag der Weltjugendtag statt, der Papst ist zu diesem Anlass aus Rom angereist. Dass er bei dieser Gelegenheit auch Auschwitz als Ort des Bösen schlechthin besuchen wollte, hatte Franziskus angekündigt. Und, dass er schweigen werde. „Keine Reden, keine Leute, nur die wenigen Notwendigen“, hatte Franziskus auf seiner Rückreise aus Armenien Ende Juni gesagt.

Und, dass Gott ihm die Gnade geben möge, zu weinen. Tränen übertragen die Fernsehkameras des Vatikans an diesem Vormittag zwar nicht. Aber die live in alle Welt übertragene Stille ist eindrucksvoll. Johannes Paul II. hatte Auschwitz als erster Papst im Jahr 1979 besucht, Benedikt XVI. kam 2006. Die Besuche der beiden Vorgänger waren symbolträchtig, auch weil hier erst ein Pole und später ein Deutscher als Vertreter im Weltkrieg verfeindeter Nationen an den Holocaust erinnerten. Benedikt wurde kritisiert, weil er die Deutschen bei seinem Besuch als von den Nazischergen verführte Opfer darstellte und die Frage der Schuld überging. Auch sagte er kein Wort zum katholischen Antisemitismus. Aber der deutsche Papst formulierte damals auch: „An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen?“ Franziskus setzt diesen Gedanken in Auschwitz in die Tat um. Er hält keine Ansprache, feiert keinen Gottesdienst,…

TagesWoche, 25. Juli 2016 Hexerei, böser Blick oder einfach Pech: Ein kleines Dorf in Süditalien scheint verflucht zu sein. Jetzt versucht die Gemeinde, ihren Ruf als Hort des Unglücks abzustreifen.

Hort des Aberglaubens: das Dorf Colopbraro in Kalabrien. Foto: Gaetano Virgallito

Hort des Aberglaubens: das Dorf Colopbraro in Kalabrien. Foto: Gaetano Virgallito

Andrea Bernardo hat den miserablen Ruf seines Dorfes am eigenen Leib erlebt. Als Jugendlicher brauchte er einst ein amtliches Dokument und nahm zu diesem Zweck die stundenlange Reise in die Provinzhauptstadt Matera auf sich. Die Beamten nahmen den Antrag entgegen und gaben zu verstehen, dass Bernardo das Schreiben in den nächsten Tagen oder Wochen abholen könne. «Ich komme aus Colobraro», sagte Bernardo, der heute 52 Jahre alt und Bürgermeister des angeblich unglückseligsten Dorfes in Italien ist. Da erfasste die Beamten ein mysteriöser Eifer. Nach zwei Stunden war das Schreiben bereit. Es ist für Menschen, bei denen die Aufklärung Spuren hinterlassen hat, nur schwer zu verstehen. Doch der Aberglaube ist auch in Europa weit verbreitet, nicht zuletzt in Süditalien. Colobraro in der Region Basilikata, 80 Kilometer von Matera entfernt, der europäischen Kulturhauptstadt 2019, scheint das Epizentrum für den Glauben an allerlei Übernatürliches zu sein. Um einem möglichen Fluch zu entgehen, beeilten sich damals die Beamten bei der Beschaffung des Dokuments für Bernardo ganz besonders. Bis heute nehmen die Menschen in der Umgebung den Namen des Dorfes gar nicht erst in

den Mund, aus Angst vor fürchterlichen Folgen. «Quel paese», sagen sie nur. «Dieses Dorf.» Auch die Carabinieri fürchten sich Wer so viel Irrationalität für unmöglich hält, der ruft am besten beim Bürgermeister der 1300-Seelen-Gemeinde höchstpersönlich an. «Es stimmt, der Aberglaube ist bei uns sehr weit verbreitet», bestätigt Bernardo. Er selbst halte allerdings eher wenig davon. Doch die Legende vom miserablen Colobraro hat sich längst verselbstständigt. Da ist die Dorfbewohnerin, die erzählt, dass ihre Mitschüler aus den umliegenden Dörfern Eisen berührten, wenn sie vorbei kam. Eisen gilt bei abergläubischen Italienern als Ableiter für den bösen Blick oder ähnliches Unglück. Eine andere Frau berichtet, dass Leute aus der Umgebung nicht mit ihr in den Lift steigen wollen, weil sie als Colabrese Pech bringe. Wer darin bloss reinen Wahnsinn erkennt, der kann sich auch andere Episoden zum Besten geben lassen, etwa von auffällig vielen geplatzten Autoreifen…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2016 Warum hat Italien die wichtigen Duelle mit Deutschland immer gewonnen? Gianni Rivera, 1970 Siegtorschütze im Jahrhundertspiel und später Europa-Parlamentarier, erklärt es im Interview.

Gianni Rivera. Hier auf einer alten Briefmarke im Dress des AC Mailand.

Gianni Rivera. Hier auf einer alten Briefmarke im Dress des AC Mailand.

Es war ein eher unspektakulärer Flachschuss, mit dem Gianni Rivera die deutsch-italienische Rivalität im Fußball begründete. Am 17. Juni 1970 erzielte der damalige Angreifer des AC Mailand in der Verlängerung des WM-Halbfinales das Tor zum 4:3-Sieg für Italien. Seither gilt Rivera als (natürlich parteiischer) Experte für deutsch-italienische Duelle. Rivera ist heute 72 Jahre alt und Funktionär beim italienischen Fußballverband. Zuvor war er als Christdemokrat EU-Parlamentarier, italienischer Abgeordneter und Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Ihr legendärer Treffer zum 4:3 im WM-Halbfinale 1970 gegen Deutschland liegt jetzt 46 Jahre zurück und ist doch immer wieder ein Thema. Warum? Richtig verstanden habe ich das nie. Fernsehen gab es damals erst seit kurzer Zeit. Es war Sommer, viele Leute, die gar nicht so viel übrig hatten für Fußball, sahen die Partie. Das war ein kollektives Erlebnis. Außerdem ist das Spiel ständig gekippt. Erst lagen wir vorne, dann hat Karl-Heinz Schnellinger in der 90. Minute ausgeglichen. In der Verlängerung ist Deutschland mit Gerd Müller in Führung gegangen, wir haben ausgeglichen, dann hat uns Gigi Riva in Führung gebracht. Wieder

der Ausgleich durch Müller. Und dann kam ich, 111. Minute. Stimmen Sie zu, dass Ihr Treffer der Beginn der deutsch-italienischen Rivalität im Fußball war? Das kann man so sagen. Es war schon verrückt. Ihr wart damals bekannt für Kraft, Körperlichkeit und Ausdauer. Wir galten in dieser Hinsicht als unterlegen. Dass wir uns in der Verlängerung durchsetzten, war also ein doppelter Erfolg. Das Spiel wurde zum „Spiel des Jahrhunderts“, weil es immer auf und ab ging, beide Mannschaften standen kurz vor dem Sieg, dann kam das andere Team wieder zurück. Danach waren alle irgendwie aufgewühlt, nicht nur Italiener und Deutsche. Welche besonderen Erinnerungen haben Sie an damals? Das war ein ganz besonderer, emotionaler Moment. Die Leute in Italien liefen auf die Plätze und hatten erstmals seit langer Zeit wieder Grund in aller Öffentlichkeit zu feiern. Der Krieg war noch nicht lange vorbei. Auch politisch war die Zeit in Italien…