Generalanzeiger, 8.9.2016 Luigi Di Maio und das Führungspersonal der 5-Sterne-Bewegung müssen sich Dilettantismus vorwerfen lassen.

Luigi Di Maio, 30.

Luigi Di Maio, 30.

Wenn wie in diesen Tagen viel von der 5-Sterne-Bewegung in Italien die Rede ist, dann kommt den meisten das struppige Gesicht ihres Gründers Beppe Grillo in den Sinn. Grillo ist 68 Jahre alt und weiß, dass er nicht ewig die Zügel seiner Kreatur in den Händen halten kann. Also baute der Komiker eine Reihe von Nachfolgern auf, von denen Luigi Di Maio der bekannteste ist. Der 30 Jahre alte Informatiker und Jura-Student ist so etwas wie das brave, vertrauenswürdige Gesicht der 5-Sterne-Bewegung. War, muss es vielleicht nach den Chaostagen von Rom heißen. Dort hat die Bürgermeisterin Virginia Raggi alle Mühe, überhaupt mit dem Regieren in der von jahrelangem Missmanagement gezeichneten italienischen Hauptstadt zu beginnen. Zwei Monate nach der Kommunalwahl scheinen sich viele Vorsätze der 5-Sterne-Politikerin im Nichts aufzulösen. Mehrere Mitglieder der Stadtregierung sowie die Spitzen von Verkehrsbund und Müllabfuhr traten wegen Differenzen mit der Chefin zurück. Anfang dieser Woche schlitterte die 5-Sterne-Bewegung dann in ihre erste große Krise, hinter der sich die Frage auftut, wie dilettantisch das Personal der Partei eigentlich ist. Am Montag wurde bekannt, dass

die Staatsanwaltschaft bereits seit Monaten gegen Raggis Umweltreferentin Paola Muraro wegen Unregelmäßigkeiten bei der Müllentsorgung ermittelt und einige Partei-Spitzen diese Tatsache den gesamten Sommer über vertuschten. Dabei waren Ehrlichkeit und Transparenz die Pfunde, mit denen die 5-Sterne-Bewegung wuchern wollte. Auch die Karriere des Parlaments-Abgeordneten Di Maio ist von der Affäre bedroht. Der 30 Jahre alte Ferrari-Fan aus Pomigliano d'Arco bei Neapel galt bislang als wahrscheinlicher Herausforderer von Ministerpräsident Matteo Renzi. In Umfragen lag die 5-Sterne-Bewegung zuletzt mindestens gleichauf mit Renzis Sozialdemokraten. Eine Amtsübernahme durch Di Maioim Wahljahr 2018 schien also nicht unwahrscheinlich. Der stellvertretende Vorsitzende des italienischen Abgeordnetenhauses feilte in den vergangenen Monaten nicht zufällig an seinem Profil als Staatsmann und traf sich mit den Botschaftern zahlreicher EU-Länder in Rom zu einer Art Vorstellungsbesuch. In der Affäre um Bürgermeisterin Raggis Umweltreferentin machte der aufstrebende Di Maio eine schlechte Figur. Der ehemalige Studentensprecher wurde von den Ermittlungen gegen Muraro informiert, behielt diese Nachricht entgegen des…

Rheinische Post, 29.8.2016 Italiens Ministerpräsident Renzi nutzt die politischen Chancen eines tragischen Moments.

Italiens Premierminister Matteo Renzi.

Italiens Premierminister Matteo Renzi.

Matteo Renzi gibt in diesen Tagen den Krisenmanager. Der italienische Ministerpräsident und Chef der italienischen Sozialdemokraten ist bekannt für seine burschikose Art. Jetzt, nach dem schweren Erdbeben in Mittelitalien mit bislang 291 Toten, wirkt der 41-Jährige Politiker wie in seinem Element. Er trifft den richtigen Ton, er ruft die Bürgermeister der zerstörten Bergdörfer an und meldet sich bei ihnen mit Vornamen. Mit „ich bin's, Matteo“ habe sich der Premier bei ihm am Telefon vorgestellt, erzählte der Bürgermeister einer der zerstörten Orte. Renzi versprach den originalgetreuen Wiederaufbau, nachhaltige Prävention, aber er sagte auch, dass erst einmal die Tränen getrocknet werden müssen. Ein Foto zeigt den Ministerpräsidenten, wie er einen Feuerwehrmann, der Erdbebenopfer geborgen hat, innig umarmt. Man muss Renzis Aufrichtigkeit nicht anzweifeln. Doch bekanntlich sind Politiker auch Verkäufer von Gefühlen und Stimmungen. Italien, insbesondere die vom Erdbeben betroffenen Regionen Latium und Marken, sehnt sich derzeit nach Garantien. Renzi bedient diese Sehnsucht auf formidable Weise und könnte vom Ausnahmezustand profitieren. „Leadership in Gummistiefeln“ wurde dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder einst attestiert, als er nach der Elbeflut

im Jahr 2002 Tatkräftigkeit vermittelte und so die verloren geglaubte Bundestagswahl noch knapp gewann. Alles deutet darauf hin, dass auch Renzi die politische Chance eines tragischen Moments erfasst hat. In gut zwei Monaten steht mit einem Verfassungs-Referendum der bislang kritischste Moment in der Karriere des jungen Ministerpräsidenten bevor. Jahrzehntelang ächzte die italienische Republik unter der Inneffizienz seiner politischen Mechanismen und unter instabilen Verhältnissen. Die mehrfach von beiden Parlamentskammern gebilligte Umwandlung des Senats in eine zweitrangige Kammer soll nun stabile Verhältnisse bringen. Kritiker bemängeln, Regierung und Premierminister verfügten künftig über eine gefährliche Machtfülle. Der Widerstand gegen die Verfassungsreform wirkte zunächst überschaubar, Renzi zettelte die Volksabstimmung zur nachträglichen Legitimation seiner Reform selbst an. Inzwischen ist der Protest gegen seine Politik nicht zuletzt wegen der anhaltenden Wirtschaftsflaute so groß geworden, dass das Ergebnis der Volksabstimmung keineswegs mehr eindeutig ist. Renzi hatte den Ausgang des Referendums außerdem mit seiner eigenen…

Augsburger Allgemeine, 12.8.2016 Weil sich manche Feriengäste schon im Morgengrauen einen Platz am Strand reservieren, sind die Einheimischen aufgebracht. Nun greift die Küstenwache durch.

Stress am Strand?

Stress am Strand?

Strand ist nicht einfach Strand in Italien. Es gibt die „spiaggia libera“, den freien Strand. Und es gibt die „stabilimenti“, die von einem Pächter betriebenen und mit Liegestühlen und Sonnenschirmen ausgerüsteten Strandanlagen. Das wahre Sommervergnügen empfindet der Italiener am freien Strand. Denn hier kommt er normalerweise nicht ölsardinenartig neben Seinesgleichen zu liegen. Die im Grunde anarchische und zivilisatorische Urtriebe weckende Okkupation des eigenen Stück Landes mit Handtuch, Sonnenschirm und neuerdings auch sogenannten Strandmuscheln gibt den Bewohnern des italienischen Stiefels im Sommer ein Stück der Freiheit zurück, die sie in den Mühen des Alltags aufgegeben haben. Der Strand ist außerdem des Italieners Eigentum. Die 7500 Kilometer Küste in Italien sind nämlich Staatsbesitz. Wer sich an der Küste breit macht, etwa mit der Konstruktion wahrhaftiger Immobilien oder auch nur mit vorübergehenden Konstruktionen, der legt sich im Prinzip mit dem ganzen Land an (oder hat beste Beziehungen zu den Behörden). Wenn es nun aber dazu kommt, dass der Italiener morgens am Strand bereits ganze Batterien von Sonnenschirmen, Handtüchern oder sonstigen Platzhaltern vorfindet, dann wird es ernst. Die Rede ist vom „Krieg der Sonnenschirme“. Einer der Schauplätze

dieser Auseinandersetzung ist die toskanische Provinz Livorno. Im Seebad Marina di Cecina machten Angehörige der italienischen Küstenwache zuletzt schon am frühen Morgen einen grausigen Fund: 37 Liegestühle, 30 Sonnenschirme, Handtücher und „sogar Badekleidung“, wie die Zeitung La Repubblica entsetzt festhielt, alles verteilt auf einer Länge von 100 Metern, in unmittelbarer Nähe des Wassers. Hier wollte eine ganze Armada von Badegästen ganz offenbar das Prinzip des freien Strandes konterkarieren, indem die Platzhalter bereits am Vorabend deponiert worden waren. Die Beamten der Küstenwache konfiszierten die Gegenstände. Die Rechtsgrundlagen für diesen eigentlich sehr unitalienischen Akt behördlicher Intoleranz sind mannigfaltig. Da wären zum Beispiel das Gebot des allgemeinen Anstands, die von der Küstenwache in diesem Jahr offenbar besonders eng ausgelegte „Operation sicheres Meer“ sowie ein Erlass der Gemeinde Marina di Cecina. Sinngemäß muss diesem zu Folge mit bis zu 200 Euro Bußgeld rechnen, wer sich der übereifrigen Reservierung…

ZEIT online/Christ&Welt 12. August 2016 Seit drei Jahren steht der Präfekt der Glaubenskongregation im Schatten von Papst Franziskus. Wird der 68-Jährige Deutsche bald abgelöst?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, 68.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, 68.

Auch Riesen haben es manchmal nicht leicht. Gerhard Ludwig Müller ist zwei Meter groß, er überragt seine Gesprächspartner um mindestens einen Kopf. Dass er sein Gegenüber von oben herab behandeln würde, kann man allerdings nicht behaupten. Im Gegenteil, derzeit kommt es häufiger vor, dass der Präfekt der Glaubenskongregation lächelt, obwohl ihm gar nicht danach zu Mute ist. Menschen, die täglich mit ihm zu tun haben, behaupten, Müller habe es in Rom gerade ausgesprochen schwer. Der Grund ist eine tiefe Kluft zwischen der Agenda des Papstes und den Überzeugungen eines Mannes, der dieses Programm eigentlich gestalten sollte. Wenn man so will, führt der 68-Jährige unter Franziskus das Dasein eines Tropfen Wassers in einer Teflon-Pfanne, er wird ständig abgestoßen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass im Vatikan über Müllers Ablösung spekuliert wird. Der Papst aus Argentinien und der Kardinal aus Mainz-Finthen passen einfach nicht zusammen. Zu Beginn der Amtszeit von Franziskus hätte Müllers Abberufung noch wie ein Affront gegen Benedikt XVI. gewirkt. Ratzinger hatte den ehemaligen Bischof von Regensburg sieben Monate vor seinem Rücktritt noch rasch als Präfekt der Glaubenskongregation installiert, als Garantie für theologische Kontinuität.

Inzwischen sind mehr als drei Jahre vergangen. Die Stimmen, die eine Wachablösung an einer der wichtigsten Schaltstellen in der Kurie für überfällig und folgerichtig halten, mehren sich. Streit um Amoris Laetitia Der Moment, in dem auch den Kritikern des Papstes bewusst wurde, dass es Zeit ist für den Wechsel, war die Präsentation des nachsynodalen Schreibens Amoris Laetitia im April. Die Exhortation ist die Antwort von Franziskus auf die Diskussionen bei den beiden Bischofssynoden in den vergangenen Jahren zum Thema Ehe, Sex und Familie. Bergoglio schlägt darin einen neuen, versöhnlichen Ton an, insbesondere im Hinblick auf das umstrittenste katholische Thema der vergangenen Jahre, die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Seit Amoris Laetitia ist der Zugang für die Wiederverheirateten zur Kommunion de facto geebnet. Für Traditionalisten kommt das einem Super-Gau gleich, weil in ihren Augen damit das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe…