Der Kardinal sitzt da in der schwarzen Soutane. Seine Hände ruhen unterhalb des goldenen Kreuzes auf der Brust. In entscheidenden Momenten seines Vortrags dreht sich Gerhard Ludwig Müller ein wenig auf seinem Bürostuhl, auch im Fernsehen sind diese flüchtigen Augenblicke des Unwohlseins zu erkennen. Es ist ein ziemlich unbeholfenes, rheinhessisch gefärbtes Italienisch mit spanischem Einschlag, das der Präfekt der Glaubenskongregation da zum Besten gibt. Ginge es bei diesem Fernsehinterview um Rhetorik oder Klarheit der Sprache und Überzeugungskraft, der Kardinal fiele glatt durch. Aber es ist der Inhalt seiner Worte, der die Verhältnisse im Vatikan auf den Kopf zu stellen scheint. Gerhard Ludwig Müller, der bislang nicht als theologischer Vasall des dogmatisch eher flexiblen Franziskus aufgefallen ist, hat den Papst gegen seine stärksten Kritiker verteidigt. "Amoris laetitia ist sehr klar in ihrer Doktrin", lautete der unglaublichste Satz des Deutschen über das im vergangenen April veröffentlichte und wegen seiner mangelnden Präzision umstrittene Papst-Schreiben über Ehe und Familie. Entweder, so folgerten die Vatikan-Exegeten in Rom, wurde der Präfekt der Glaubenskongregation von seinem Chef als eine Art Feuerwehrmann zum Löschen eines gefährlichen Brandes
vorgeschickt. Oder es handelt sich um einen gewagten Versuch zur Rettung der Einheit in der katholischen Kirche. Das war die Spanne der Interpretationen, die nach Müllers Fernsehinterview mit dem italienischen Sender TGcom24 vom vergangenen Sonntag die Runde machten. Seit Mitte November bahnt sich ein Schwelbrand seinen Weg durch das katholische Establishment. Vier Kardinäle, unter ihnen Joachim Kardinal Meisner, gingen damals mit einem an den Papst gerichteten Brief an die Öffentlichkeit, in dem sie in einer beispiellosen Aktion ganz offen die Lehrautorität von Franziskus in dessen Schreiben Amoris laetitia anzweifeln und eine "ernsthafte Orientierungslosigkeit und große Verwirrung" vieler Gläubiger feststellen. Amoris laetitia ist die Antwort des Papstes auf die Gespräche bei den beiden Synoden in den Jahren 2014 und 2015, als die katholischen Bischöfe hitzige Diskussionen über das rechte Verhältnis von Familie, Ehe, Moral und Tradition führten. Sex oder kein Sex Der springende Punkt bei den Debatten war die Zulassung…