Christ&Welt/DIE ZEIT, 13.1.2017 - Gerhard Ludwig Müller, der oberste Glaubenshüter des Vatikans, gilt eigentlich als Antipode des Papstes. Nun jedoch springt er Franziskus in dessen gößter Bewährungsprobe bei.

Der Kardinal sitzt da in der schwarzen Soutane. Seine Hände ruhen unterhalb des goldenen Kreuzes auf der Brust. In entscheidenden Momenten seines Vortrags dreht sich Gerhard Ludwig Müller ein wenig auf seinem Bürostuhl, auch im Fernsehen sind diese flüchtigen Augenblicke des Unwohlseins zu erkennen. Es ist ein ziemlich unbeholfenes, rheinhessisch gefärbtes Italienisch mit spanischem Einschlag, das der Präfekt der Glaubenskongregation da zum Besten gibt. Ginge es bei diesem Fernsehinterview um Rhetorik oder Klarheit der Sprache und Überzeugungskraft, der Kardinal fiele glatt durch. Aber es ist der Inhalt seiner Worte, der die Verhältnisse im Vatikan auf den Kopf zu stellen scheint. Gerhard Ludwig Müller, der bislang nicht als theologischer Vasall des dogmatisch eher flexiblen Franziskus aufgefallen ist, hat den Papst gegen seine stärksten Kritiker verteidigt. "Amoris laetitia ist sehr klar in ihrer Doktrin", lautete der unglaublichste Satz des Deutschen über das im vergangenen April veröffentlichte und wegen seiner mangelnden Präzision umstrittene Papst-Schreiben über Ehe und Familie. Entweder, so folgerten die Vatikan-Exegeten in Rom, wurde der Präfekt der Glaubenskongregation von seinem Chef als eine Art Feuerwehrmann zum Löschen eines gefährlichen Brandes

vorgeschickt. Oder es handelt sich um einen gewagten Versuch zur Rettung der Einheit in der katholischen Kirche. Das war die Spanne der Interpretationen, die nach Müllers Fernsehinterview mit dem italienischen Sender TGcom24 vom vergangenen Sonntag die Runde machten. Seit Mitte November bahnt sich ein Schwelbrand seinen Weg durch das katholische Establishment. Vier Kardinäle, unter ihnen Joachim Kardinal Meisner, gingen damals mit einem an den Papst gerichteten Brief an die Öffentlichkeit, in dem sie in einer beispiellosen Aktion ganz offen die Lehrautorität von Franziskus in dessen Schreiben Amoris laetitia anzweifeln und eine "ernsthafte Orientierungslosigkeit und große Verwirrung" vieler Gläubiger feststellen. Amoris laetitia ist die Antwort des Papstes auf die Gespräche bei den beiden Synoden in den Jahren 2014 und 2015, als die katholischen Bischöfe hitzige Diskussionen über das rechte Verhältnis von Familie, Ehe, Moral und Tradition führten. Sex oder kein Sex Der springende Punkt bei den Debatten war die Zulassung…

Augsburger Allgemeine, 10.1.2017 - Papst Franziskus mag es lieber einfach. Seine Sommerresidenz in Castel Gandolfo ist deshalb als Museum zu besichtigen.

Das Arbeitszimmer wirkt so, als habe es der Papst gerade erst verlassen. Das „Lexikon für Theologie und Kirche“ steht noch parat. Ein scharf gespitzter Bleistift sowie ein Staedtler-Radiergummi warten auf dem Schreibtisch darauf, an den Entwürfen für eine Enzyklika fortzuschreiben. Der bronzene Mohr von Freising, ein Geschenk des gleichnamigen Landkreises, stützt ein paar Standardwerke. Im Zimmer des Privatsekretärs hält ein bayerisches Fähnchen die Stellung. Das Konterfei Benedikt XVI., das hier noch bis vor ein paar Wochen an der Wand prangte, wurde inzwischen abgenommen. Um Missverständnisse zu vermeiden. Kaum ein Papst fühlte sich in der Sommerresidenz von Castel Gandolfo so wohl wie der im Februar 2013 zurück getretene Benedikt XVI, der auch die zwei Monate nach seinem Rücktritt hier zubrachte. Seit bald vier Jahren amtiert Ratzingers Nachfolger Franziskus, der mit vielen Traditionen gebrochen hat. Eine davon ist, dass er vom Päpstlichen Palazzo in Castel Gandolfo ebenso wenig hält wie vom Apostolischen Palast in Rom. Franziskus wohnt im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, in die 20 Kilometer von Rom entfernte Sommerfrische kommt er auch nicht mehr. Papst macht keine

Ferien Dieser Papst macht keine Ferien, Jorge Bergoglio hat nach eigenem Bekunden auch kein Bedürfnis nach Erholung oder einem gelegentlichen Tapetenwechsel. Seit zwei Monaten ist der Papst-Sitz in den Albaner Bergen deshalb als Museum zugänglich. Die Geste scheint Bergoglios fast schon sprichwörtlicher Volksnähe geschuldet. Eine nachhaltige Allergie gegen alles Höfische dürfte der tatsächliche Auslöser für die Öffnung gewesen sein. Der Palast von Castel Gandolfo ist ein Hof im Kleinformat. Im Inneren bekommen Besucher die ausrangierten päpstlichen Luxuskarossen deutschen Fabrikats zu sehen. Franziskus lässt sich bekanntlich im Kleinwagen chauffieren. Die Ausstellung im Erdgeschoss ist eine Reminiszenz an Zeiten, denen nicht wenige Geistliche im Vatikan gerade sehr hinterhertrauern. Traditionalisten dürfte angesichts der goldbestickten Pantoffeln früherer Päpste, der Uniformen des päpstlichen Hofstaates, tragbarer Throne und befederter Fächer warm ums Herz werden. Derzeit haben sie es mit einem für zeitlose Äußerlichkeiten eher unsensiblen Pontifex in klobigen Orthopädie-Stiefeln zu…

Badische Zeitung, 22.12.2016 - Der Berlin-Attentäters Anis Amri saß jahrelang auf Sizilien im Gefängnis.

In Belpasso am Fuß des Vulkans Etna erinnern sie sich bis heute an Anis Amri, den mutmaßlichen Attentäter von Berlin. „Anis?“, sagt eine Mitarbeiterin des Instituts Giovanna Romeo Sava am Telefon. „Natürlich, der Tunesier. Er war groß, ganz hübsch, aber auch ziemlich verschlossen.“ Auch an den Brand, den der junge Nordafrikaner im Herbst 2011 in der sizilianischen Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge gelegt haben soll, erinnert sich die Angestellte der katholischen Stiftung. Aber man solle doch bitte nicht ihren Namen nennen. Die Sache ist lange her, ganz genau erinnere sie sich nicht mehr. Komplikationen welcher Art auch immer wolle sie vermeiden. Die Kleinstadt Belpasso bei Catania war nur eine der zahllosen Stationen von Anis Amri auf dem Weg von seiner Heimat Tunesien bis nach Berlin, wo er vergangenen Montag zwölf Menschen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz getötet haben soll. 64 261 Immigranten erreichten im Jahr 2011 Italien über das Mittelmeer, einer von ihnen war Amri. Der arabische Frühling hatte das Ende des Regimes von Zine el-Abidine Ben Ali besiegelt, Tausende Tunesier verließen ihre Heimat. Doch offenbar hatte Amri ganz andere Gründe zur Flucht. Wie der

Radiosender Tunisie Mosaique berichtete, sei der damals 19-Jährige in seiner Heimat wegen eines bewaffneten Raubüberfalls zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Der Strafe entzog sich Amri anscheinend mit der Flucht nach Italien im Februar 2011. Wie der Großteil der Bootsflüchtlinge landete auch der Tunesier auf der Insel Lampedusa. Dokumente trug er nicht bei sich. Obwohl längst volljährig, gab sich Amri als Minderjähriger aus und wurde deshalb zwei Monate später in eine entsprechende Einrichtung gebracht. Im Institut Sava von Belpasso besuchte Amri nach Angaben der italienischen Tageszeitung La Stampa die Schule, soll sich aber bereits als gewalttätiger Hitzkopf hervorgetan haben. „In der Schule sorgt er für ein Klima des Schreckens“, schreibt La Stampa. Polizeilich bekannt ist der junge Mann in Italien zu diesem Zeitpunkt bereits wegen Delikten wie Unterschlagung oder Nötigung. Am 23. Oktober 2011 nehmen ihn die Carabinieri fest. In der Nacht zuvor hatte Amri zusammen mit vier Landsleuten einen der…

Rheinische Post, 17.12.2016 - Franziskus wird am Samstag 80 Jahre alt. Der Papst hat neue Freiheiten in der katholischen Kirche geschaffen. Weniger klar ist, ob seine Kirche diese Freiheiten auch nutzen will.

Nicht einmal an seinem 80. Geburtstag wird Franziskus sich den Luxus erlauben, ein bisschen länger unter der warmen Decke zu liegen. Auch am Samstag wird sich Jorge Bergoglio noch vor fünf Uhr Früh aus seinem massiven Holzbett schälen und beten. Er wird später an seinem Tisch in der Mensa des vatikanischen Gästehauses Santa Marta frühstücken. Der Papst trinkt morgens Kaffee mit Magermilch, er isst Marmeladebrot und seit seiner Zeit in Buenos Aires auch Ricotta-Frischkäse. Was er weniger mag, sind die unterwürfigen Ehrerweisungen, die sein Hofstaat ihm zu seinem runden Geburtstag zukommen lassen wird. Um 8 Uhr versammeln sich die in Rom ansässigen Kardinäle in der Paulinischen Kappelle im Apostolischen Palast, um mit dem Papst an dessen Ehrentag die Messe zu feiern. Wer Franziskus kennt, der weiß, dass ihm die informelle Routine bei den Morgenmessen in der Kapelle von Santa Marta lieber wäre. Aber auch ein Papst hat nicht immer die Wahl. Zugänglicher Dorfpfarrer Nach bald vier Jahren im Amt wirkt Franziskus immer noch wie der zugängliche Dorfpfarrer, der die Ehrfurcht vor der Macht und das schwerfällige Protokoll mit kleinen Gesten oder sogar Witzen durchbricht.

Vielleicht wird am Samstag auch die Staatspräsidentin Maltas in den Genuss dieser unpäpstlichen Leichtigkeit kommen, wenn sie am Geburtstag um zehn Uhr zur Audienz im Apostolischen Palast erscheint. Einer von Bergoglios neuesten Kalauern geht so: „Was ist der Unterschied zwischen Terrorismus und dem Protokoll? Mit Terroristen kann man verhandeln!“ Dass der ernsthafte Protokollchef des Papstes, Erzbischof Georg Gänswein, das auch komisch findet, ist zu bezweifeln. Franziskus gibt sich bei seinen Auftritten weiter leutselig, aber auch nachdenklich. In einem kurz vor seinem 80. Geburtstag veröffentlichten Video, das einer seiner engsten Berater, der Jesuitenpater Antonio Spadaro mit seinem Smartphone aufgenommen hat, gesteht Franziskus zum wiederholten Mal, seine Amtszeit könnte bald zu Ende gehen. „Ich habe das Gefühl, mein Pontifikat wird kurz sein, vielleicht vier, fünf Jahre. Vielleicht täusche ich mich auch“, erzählt der Papst. Am 13. März 2013 wurde Bergoglio von den Kardinälen gewählt. Bricht also nun sein…