Augsburger Allgemeine, 4.3.2017 - In der laufenden Legislaturperiode haben schon 373 Parlamentarier in Italien die Fraktion gewechselt.

Luigi Compagna ist keine echte Größe im italienischen Politikbetrieb. Der 68-Jährige Senator aus Neapel hält jedoch einen eindrucksvollen Primat. In der laufenden Legislaturperiode hat Compagna bereits sechs mal die Fraktion gewechselt. Das ist unerreichter Rekord unter den Volksvertretern in Abgeordnetenhaus und Senat, die ebenfalls nicht gerade zimperlich in ihren migratorischen Neigungen sind. Nach Angaben des Vereins Openpolis gab es seit den Parlamentswahlen vor vier Jahren bereits 447 Fraktionswechsel, so viele wie noch nie. Insgesamt haben 373 Parlamentarier in Rom die Fraktion gewechselt, einige von ihnen, wie Compagna, taten sich dabei mehrfach hervor. 39,3 Prozent aller Volksvertreter im italienischen Parlament sind nicht mehr in der Fraktion, der sie ursprünglich angehörten. Das hat nicht nur starke politische Auswirkungen, sondern verschlechtert zusätzlich das schon arg lädierte Bild, das die Italiener von ihren Politikern haben. Als „Wendehälse“ oder „Opportunisten“ sind die Fraktionswechsler in den Medien verschrien. An Aktualität hat das Phänomen, das landesweit als trasformismo bekannt ist, dieser Tage wieder gewonnen durch die Spaltung der größten an der Regierung beteiligten Partei im Land,

des Partito Democratico (PD). Weil sie schon lange im Dissens mit Stil und politischen Vorstellungen des ehemaligen Parteichefs und Ex-Premierministers Matteo Renzi waren, traten vor Tagen insgesamt 50 Abgeordnete und Senatoren aus dem PD aus und schlossen sich zum Movimento Democratici e Progressisti (MDP) zusammen. Zwölf Fraktionen und sieben Untergruppen gibt es heute im Abgeordnetenhaus, elf Fraktionen und mindestens vier Untergruppen im Senat. Bei der Wahl 2013 existierten gerade einmal vier respektive drei dieser Parteien. Heute blicken nur noch Experten durch. „Im Durchschnitt haben pro Monat neun Volksvertreter die Seiten gewechselt“, schreibt Openpolis. Die Pflicht, der Partei die Treue zu halten, mit der ein Abgeordneter ins Parlament gewählt wurde, ist nirgends festgeschrieben. Das seit 2005 geltende Wahlgesetz sieht die Bildung von Koalitionen vor der Wahl vor. Im Nachhinein brechen die Bündnisse dann oft auseinander, häufige Regierungswechsel sind die Folge. Viele Abgeordnete, die auf festen Listenplätzen einer Partei gewählt wurden, laufen in fremde Lager…

Main-Post, 3.3.2017 - Papst Franziskus versprach Null-Toleranz in der Missbrauchsbekämpfung. Jetzt hat die letzte Betroffene die Vatikan-Kommission zum Kinderschutz verlassen. 

Marie Collins hat das Grauen am eigenen Leib erlebt. Mit 13 Jahren wurde sie bei einem Krankenhausaufenthalt in Dublin von einem Kaplan missbraucht und vergewaltigt. Sie wurde depressiv, erst im Alter von 47 Jahren konnte die Irin über das Geschehene sprechen. Nicht nur unter den Misshandlungen habe sie gelitten, sondern auch darunter, dass die Kirche ihren Peiniger lange schützte. Bevor der Priester 1997 verurteilt wurde, hatte ihn sein Bischof in eine neue Pfarrei versetzt, wo er sich erneut strafbar machte. Diese Erfahrung brachte die Aktivistin mit, als Papst Franziskus sie vor drei Jahren in eine Kinderschutzkommission zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche berief. Am Mittwoch trat die heute 70 Jahre alte Irin als einzige verbliebene Betroffene in dem 17-köpfigen Gremium zurück. „Der Mangel an Kooperation, vor allem durch das Dikasterium, das am engsten mit Missbrauchsfällen befasst ist, war eine Schande“, schrieb Collins in einem Statement. Damit ist die vom Deutschen Gerhard Ludwig Müller geleitete Glaubenskongregation gemeint. Sie hat die Supervision über alle bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in der

Kirche. Collins bemängelte „stetige Rückschläge“ in der Arbeit der Kommission und den „Widerstand einiger Mitglieder der Kurie“. Die Weigerung von Seiten der Kongregation, sämtliche Briefe von Missbrauchs-Betroffenen trotz einer Anordnung des Papstes persönlich zu beantworten, habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Angesichts dieser Tatsachen sei es ihr „unmöglich, die öffentlichen Bekenntnisse über die tiefe Sorge in der Kirche für Missbrauchsopfer zu hören“, schrieb Collins in einem Beitrag für den National Catholic Reporter. Sie wirft der Kirche Doppelmoral vor. Unüberwindbare Hürden Auch von der Kommission erarbeitete Richtlinien für Diözesen zum Kinderschutz seien nicht weitergeleitet worden. Enttäuscht zeigte sich Collins zuvor bereits von der nie wahrgemachten Ankündigung eines Vatikangerichts im Juni 2015, vor dem sich vertuschende Bischöfe verantworten sollten. Die Kommission hatte die Einrichtung empfohlen, der Papst zugestimmt. Auch die neuesten von Franziskus verabschiedeten und seit September geltenden rechtlichen Normen zur Verurteilung vertuschender Bischöfe beruhigten Collins nicht. Es sei unmöglich zu erfahren,…

Augsburger Allgemeine, 20.2.2017 - Der italienische Chirurg Sergio Canavero will noch 2017 die weltweit erste Kopftransplantation realisieren.

Ärzte können heute so gut wie jeden Körperteil verpflanzen. Seit Jahrzehnten sind Herz-, Nieren-, Lungen-, und Knochenmarktransplantationen möglich. Eines der letzten Tabus der Medizin ist die Kopftransplantation. Technisch scheinbar unmöglich und ethisch fragwürdig. Wer fühlt sich bei einem aus zwei Körpern zusammengesetzten Wesen nicht an den Frankenstein-Mythos erinnert? Es gibt jedoch einen Mann, der dieses futuristische Szenario Wirklichkeit werden lassen will. Der italienische Neurochirurg Sergio Canavero will noch in diesem Jahr unbedingt den Beweis führen, dass eine Kopftransplantation technisch möglich ist. Der 51-Jährige hat bis vor zwei Jahren als Neurochirurg im Universitätsklinikum von Turin gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ausschließlich seinem aberwitzigen Plan. „Als die Brüder Wright das erste Flugzeug konstruierten, wurden sie auch als verrückt bezeichnet“, entgegnet Canavero seinen Kritikern. Medizinisches Himmelfahrtskommando Der medizinische Sinn seines Himmelfahrtskommandos leuchtet ein. Schwere Krankheiten, insbesondere Lähmungen, aber etwa auch Krebs oder Diabetes, könnten so besiegt werden. In Wirklichkeit ist die Kopftransplantation nämlich der Austausch eines kranken Körpers durch einen gesunden. Der funktionsfähige Kopf des Empfängers würde auf den gesunden Körper eines hirntoten Menschen gesetzt, des Spenders. Damit

hören die Gewissheiten aber auch schon auf. Es sei denn, man heißt Sergio Canavero. Zuletzt stellte der Arzt sein Projekt auf einem Kongress im November in Glasgow vor. Den „Rockstar der Neurochirurgie“, nennt ihn der italienische Wissenschaftsjournalist Edoardo Rosati, mit dem Canavero ein Buch über sein Projekt geschrieben hat. Canavero ist exzentrisch, bezeichnet sich selbst als Einzelgänger, betreibt japanischen Kampfsport, spricht angeblich acht Sprachen und soll eines seiner raren Interviews sogar auf Chinesisch gegeben haben. „Er ist ein hochgebildeter Nerd“, behauptet Rosati. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Canavero mit der Kopftransplantation, in renommierten Zeitschriften beschrieb der Italiener seinen verwegenen Plan. Danach würde in einem eigens einzurichtenden Operationszentrum mit bis zu 150, im Turnus arbeitenden Chirurgen, zunächst der zu versetzende Kopf auf bis zu zwölf Grad herunter gekühlt und dann vom gelähmten Körper abgeschnitten. Der entscheidende und medizinisch umstrittenste Schritt ist die notwendige Durchtrennung der…

Augsburger Allgemeine, 18.2.2017 - Matteo Renzi will erneut italienischer Ministerpräsident werden. Gegner aus seiner Partei kämpfen dagegen an.

Im italienischen Partito Democratico (PD) spielt sich ein Machtkampf ab. Man kennt solche Manöver aus der italienischen Politik zu Hauf. Aber diesmal ist es anders, ernster. Auf dem Spiel steht die Spaltung der größten italienischen Mitte-Links-Partei, die die tragende Säule der derzeit amtierenden Regierung von Ministerpräsident Paolo Gentiloni ist. Für Europa war der linksbürgerliche PD zudem so etwas wie die Garantie oder die Hoffnung, dass populistische, dezidiert anti-europäische Kräfte wie die 5-Sterne-Bewegung, die rechte Lega Nord oder Silvio Berlusconi es nicht (wieder) an die Macht schaffen würden. An diesem Sonntag tagt die Generalversammlung der Partei in Rom. Das Treffen hat High-Noon-Charakter, denn der Streit zwischen Parteichef Matteo Renzi und der linken Minderheit wird dann seinen Höhepunkt erreichen. Am Samstag bereits trifft sich das linke Lager in einem Theatersaal in Rom, um sich von Renzi abzusetzen und vielleicht sogar die Spaltung der Partei offiziell zu machen. Italienischen Medien zufolge ist der Bruch kaum noch zu verhindern. Ex-Parteichef Pierluigi Bersani behauptete, unter den Wählern des Mitte-Links-Lagers sei die Spaltung bereits eine Tatsache. Schwindende

Gewissheiten Der Kern der Auseinandersetzung ist Renzi höchstpersönlich. Der ehemalige Ministerpräsident galt in Berlin und Brüssel zwar als Nervensäge, aber letztendlich doch als verlässlicher Partner, als eine Art kleinstes Übel unter lauter schwindenden Gewissheiten. In seiner Partei ist der 42-Jährige aber seit seinem Aufstieg zum Vorsitzenden umstritten. Renzi war 2013 angetreten mit dem Versprechen, die alte Politikergarde zu „verschrotten“, das kam beim PD-Establishment nicht gut an. Seine Regierung startete im Februar 2014 zudem mit dem Geburtsfehler, dass er mit Enrico Letta einem Ministerpräsident aus der eigenen Partei in den Rücken fiel, um selbst die Macht zu übernehmen. Seine Respektlosigkeit gegenüber den Gewerkschaften besorgte den Rest. Im Grunde hat sich an der parteiinternen Kritik durch alte Sozialisten und frühere Kommunisten seither nichts geändert. Sie halten Renzi für einen selbstgerechten, im Grunde konservativen Rambo, dem vor allem am eigenen Aufstieg gelegen sei. Mit dem entscheidenden Unterschied: Renzi ist heute politisch angeschlagen.…