Augsburger Allgemeine, 10.4.2017 - Francesco Verde lebt in Scampia, einem berüchtigten Viertel von Neapel. Er beging Raubüberfälle und Diebstähle. Dann ermordete die Camorra seine Schwester.

Die "Vele" von Scampia: Symbol des Verfalls. Foto: Max Intrisano

Die "Vele" von Scampia: Symbol des Verfalls. Foto: Max Intrisano

Man muss Francesco Verde genauer ansehen, um zu erkennen, dass er ein gezeichneter Mensch ist. Eine Narbe zieht sich von der Stirn bis auf seine Nase. Auf dem linken Arm trägt er die Spur eines anderen tiefen Schnitts. Das sind die sichtbaren Verletzungen aus seiner Vergangenheit als Dieb und Räuber. Dann ist da noch eine viel tiefere Wunde, sie hat mit Gelsomina zu tun. Es ist bald 13 Jahre her, dass Francesco Verdes Schwester von der Camorra gefoltert, erschossen und schließlich verbrannt wurde. Jetzt sitzt dieser Ex-Kriminelle vor einem, groß und muskulös. Verde, 36 Jahre alt, hat gelernt, seine Geschichte zu erzählen, es fällt ihm aber immer noch nicht leicht. Manchmal stockt er und holt Luft. Sieben Jahre saß er im Gefängnis. Er beging Raubüberfälle und schwere Diebstähle. Mitten im Verfall Er tat das, was nicht wenige Jugendliche in Scampia tun, dem trostlosen Viertel in der nördlichen Peripherie Neapels. Mitten im Verfall scheint es für sie nur eine Möglichkeit zu geben: sich schnelles, schmutziges, manchmal sogar blutiges Geld zu beschaffen in einem

Leben, das von Beginn an getränkt ist von Chancenlosigkeit. Die Frage ist, ob man nur mithilfe einer Tragödie aus diesem Kreislauf ausbrechen kann. „Wer in Scampia aufwächst“, sagt Verde, „der trägt sein ganzes Leben einen Stempel mit sich herum, den Stempel der Kriminalität.“ Das gilt zum einen für die vielen Jungs, die mangels Alternativen in den Fängen der Drogenclans hängen bleiben. Über 60 Prozent der Menschen hier sind arbeitslos. Die Stigmatisierung gilt aber auch für alle anderen, die hier leben. Die vier wie faule Zähne in den Himmel ragenden Hochhäuser mit dem poetischen Namen Le Vele, die Segel, sind in ganz Italien bekannt als Fanal für das Scheitern des Staates. Sie wurden vielfach beschrieben in Zeitungsartikeln und Bestsellern wie „Gomorrha“ von Roberto Saviano, der Vorlage für eine erfolgreiche Fernsehserie und einen Kinofilm wurde. Manchmal ist es schwieriger, das Etikett des kollektiven Versagens wieder abzustreifen, als die Wirklichkeit zu…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.4.2017 - Juventus fertigt den FC Barcelona 3:0 ab - der Star des Abends ist Paulo Dybala. Der Stürmer mit dem Bubengesicht trifft zweimal und lässt die Turiner vom großen Coup träumen.

Gigi Buffon hat in seinem Fußballerleben schon fast alles erlebt. Der Torwart von Juventus Turin ist 39 Jahre alt, er hat mehr als 1000 Spiele als Profi absolviert. Einer der wenigen Titel, die ihm noch fehlen, ist der Gewinn der Champions League. Als der Senior am späten Dienstagabend auffallend innig einen 16 Jahre jüngeren Mitspieler freudig umschlang, lag in dieser Geste mehr als Zuneigung. Der schon leicht graumelierte, bärtige Buffon drückte Paulo Dybala, diesen an diesem Abend besonders glücklichen Jungen mit Bubengesicht, an sich. Der 23-jährige Argentinier wirkte in diesem Moment für Buffon wie der wertvolle Schlüssel zum letzten noch nicht gehobenen Schatz. Dybala erzielte am Dienstagabend zwei Tore beim 3:0-Sieg des italienischen Rekordmeisters gegen den FC Barcelona. Es war zwar erst das Hinspiel im Viertelfinale der Champions League, bis zum Endspiel am 3. Juni in Cardiff sind noch einige Hürden zu nehmen. Aber die Art und Weise, wie Juventus Turin und sein Angreifer Dybala die erfolgreichste Klubmannschaft der vergangenen zehn Jahre dominierten, gab

der Partie ihre eigentliche Bedeutung. "Vor dieser Juve hat nun ganz Europa Angst", schrieb die "Gazzetta dello Sport".Das Publikum im mit 40 000 Zuschauern ausverkauften Juventus Stadium hatte dem Gefühl, dass es 19 Jahre nach dem letzten Gewinn der Champions League wieder einmal so weit sein könnte, schon vor dem Anpfiff Ausdruck gegeben. "It's time", es ist an der Zeit, war in überdimensionalen Lettern der Choreographie zu lesen. Auch aus italienischer Perspektive trifft diese Sicht zu. 2010 gewann mit Inter Mailand zuletzt ein Team der Serie A die Champions League. Juventus Turin hat sich stellvertretend für die Serie A Schritt für Schritt zur europäischen Spitze hochgearbeitet. 2015 stand das Team bereits im Finale des Wettbewerbs. Der FC Barcelona entschied das Match damals mit 3:1 Toren für sich. Paulo Dybala stand damals noch in Diensten von US Palermo und war Monate zuvor noch in der zweiten italienischen Liga aktiv. Nur Experten war der Name des Argentiniers ein…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.4.2017 - Juventus Turin ist der nationalen Liga längst entwachsen. Gegen den spanischen Klub will der italienische Serienmeister beweisen, dass er endlich wieder zur europäischen Spitze zählt.

Giorgio Chiellini hat eine eher ruhige Fußballwoche hinter sich. Der Abwehrspieler von Juventus Turin sah von der Ersatzbank aus zu, wie seine Mannschaft das italienische Pokalfinale erreichte. Auch am Sonntag, als seine Kollegen die Tabellenführung in der Serie A verteidigten, saß Chiellini am Spielfeldrand. Richtig gefordert war der 32-Jährige ein paar Tage zuvor. Im blauen Anzug und mit Krawatte musste er vor den Professoren der Wirtschaftsfakultät der Universität Turin seine Masterarbeit verteidigen. Die Juroren gaben dem Kicker die Höchstnote für ein Werk mit dem Titel: "Das Business-Modell von Juventus Turin im internationalen Vergleich".An diesem Dienstag erfahren die theoretischen Überlegungen des Innenverteidigers so etwas wie ihre praktische Überprüfung. Juventus Turin trifft im Viertelfinale der Champions League auf den FC Barcelona, einen Verein, der lange Zeit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sportlich das Nonplusultra des europäischen Vereinsfußballs war. Die 0:2-Niederlage der Katalanen am Sonntag in Malaga sowie das 0:4 im Achtelfinal-Hinspiel gegen Paris Saint-Germain wertet man in Turin als Anzeichen dafür, dass die Champions-League-Sieger von 2006, 2009, 2011 und 2015 nicht

mehr so unbesiegbar sind wie noch vor ein paar Jahren. Juventus Turin hat sich systematisch auf Duelle wie das am Dienstagabend im heimischen Stadion vorbereitet. Der lebendige Nachweis für diesen Versuch, endlich wieder auf Augenhöhe mit den besten Klubs Europas zu spielen, trägt den Namen Gonzalo Higuaín. 90 Millionen Euro gab Juventus im Sommer für den 29 Jahre alten Stürmer aus, der noch im vergangenen Jahr 38 Saisontore für den SSC Neapel erzielte, für die weiterhin eher defensiv denkenden Vereine der Serie A ein beeindruckender Rekord. In Turin macht Higuaín dort weiter, wo er in Neapel aufgehört hatte. Schon 27 Treffer erzielte der Argentinier in dieser Spielzeit, für die letzten vier Tore seines Teams, zwei davon beim 2:0-Sieg am Sonntag gegen Chievo Verona, war er persönlich verantwortlich. Die Rekord-Ablöse gilt in Turin bisher als gelungenes Investment. Noch besser verrechnen ließe sich der teuerste Serie-A-Transfer überhaupt mit einem Erfolg gegen Barcelona. Schon…

Tageswoche, 4.3.2017 - Was ist eigentlich mit der Mafia los? Die Clans haben sich in der Gesellschaft eingenistet und sind unsichtbarer geworden.

Die Liste der meist gesuchten Verbrecher Italiens ist alles andere als lang. Sechs Männer listet das Innenministerium auf. Der einzige klingende Name ist der von Matteo Messina Denaro, dem seit 1993 flüchtigen Mafiaboss aus Castelvetrano auf Sizilien. Messina Denaro ist so etwas wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, als die italienische Polizei noch einen Superboss nach dem anderen jagte und verhaftete. Superboss, gibt es so etwas heute überhaupt noch in Italien? Und warum ist es in den vergangenen Jahren so ruhig um die Mafia geworden? „Es ist heute schwierig die Mafia zu sehen, weil sie dem Rest so ähnlich geworden ist“, schrieb kürzlich der italienische Bestseller-Autor Roberto Saviano in einem Beitrag für die Tageszeitung La Repubblica. Der 37-jährige Neapolitaner lebt seit der Veröffentlichung seines Buches „Gomorrha“ im Jahr 2006 unter Polizeischutz. Saviano berichtete damals über die Hintergründe zu einem Großprozess gegen die Camorra im Hinterland Neapels, die aber längst in ganz Italien Geschäfte machte. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Mafia war enorm. Im Wirtschaftsleben eingenistet Staatsanwälte

verhafteten in den folgenden Jahren zahlreiche Camorra-Bosse. Mit Bernardo Provenzano (2006) und Salvatore Lo Piccolo (2007) hatte der Staat zuvor auch die letzten berüchtigten Verbrecher der Cosa Nostra auf Sizilien festgesetzt. „Früher war die Mafia Synonym für Armut und Zerfall“, schreibt Saviano. Das ist in einigen Gegenden Italiens immer noch so. Aber längst haben sich die Clans im Wirtschaftsleben, in der öffentlichen Verwaltung und in den Finanzmärkten eingenistet. Die Mafia macht nicht mehr mit eklatanten Gewalttaten von sich Reden. Zu denken ist etwa an die Serie von Attentaten der Cosa Nostra in den 1990er Jahren oder dem sechsfachen 'Ndrangheta-Mord 2007 in Duisburg. Heute ist es ihre Fähigkeit zur Anpassung, die die Mafia nicht nur unsichtbar, sondern auch so gefährlich macht. „Die Unsichtbarkeit der Mafia ist ihr natürlicher Zustand“, behauptet der Journalist Giacomo Di Girolamo. Die sizilianischen Mafiakriege des vergangenen Jahrhunderts, die ganze Hollywood-Produktionen inspirierten, hätten einen falschen Eindruck erweckt. „Es ist ein…