„Ohne Schatten gibt es kein Licht; man muss auch die Nacht kennen lernen“, hat Albert Camus geschrieben. Auf wenige Sportler trifft diese Weisheit so zu wie auf den italienischen Fußballer Paolo Rossi, der in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag im Alter von 64 Jahren gestorben ist. Rossi ist in Italien das, was man eine Fußball-Legende nennt, entsprechend dramatisch waren auch die Reaktionen am Donnerstag. „Der Fußball und Italien weinen um das Symbol der Nationalmannschaft von 1982“, schrieb die Gazzetta dello Sport, der Corriere dello Sport wähnte gar „den ganzen Fußball in Trauer“. Das italienische Staatsradio brachte den auffällig unaufgeregten Original-Kommentar des Endspiels der WM 1982 in Spanien, als Italien mit Rossi zum dritten Mal Weltmeister wurde. Selbst die Abgeordneten im römischen Parlament widmeten dem Idol nach der Todesnachricht stehenden Applaus und eine Gedenkminute.
Rossi, der italienische Allerweltsnachname, Paolo einer der weit verbreiteten Vornamen im Land. Der Mann aus Prato in der Toskana war ein Durchschnittsbürger, aber eben auch ein begnadeter, wendiger Stürmer. Eher schmächtig, weshalb ihm seit seinen Auftritten bei der WM 1978 in Argentinien der hispanisierte Kosename Pablito angedichtet wurde. Viele Italiener verehrten den sechsfachen Torschützen aber vor allem nach der WM 1982. Bei der erzielte er drei sagenhafte Tore gegen den Turnierfavoriten Brasilien, zwei gegen Polen und eines beim 3:1 im Finale gegen Deutschland, Rossi wurde Torschützenkönig und schließlich sogar zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Das 3:2 in der Zwischenrunde gegen Brasilien war so etwas wie Rossis Spiel des Lebens. „Für mich war das der Moment meiner Wiedergeburt, als ob mich jemand da oben wirklich gesehen hätte“, erzählte er einmal mit typisch toskanischem Akzent und Sinn fürs Jenseits. „Ich galt als Flasche und war auf einmal der Allergrößte und das innerhalb von nicht einmal 90 Minuten.“
In Spanien machte sich Rossi für seine Landsleute unsterblich. Der Sport, aber auch nachsichtige Wankelmütigkeit hatten gezeigt, wie schnell ein Phönix aus der Asche steigen kann, wenn man ihm die Gelegenheit dazu bietet. Rossis Leben veränderte sich nach der WM schlagartig. Dabei hatte Nationaltrainer Enzo Bearzot, Rossis großer Fürsprecher, den Stürmer für das Turnier im Sommer nominiert, obwohl der bis April noch eine Sperre wegen eines Wettskandals in der Serie A absitzen musste. Rossi bekam drei Jahre Sperre, die schließlich auf zwei reduziert wurde. Bearzot hatte wohl ein Näschen für das Schicksal, ohne Rossi, der sich trotz allem bei Juventus Turin fit hielt, wäre die WM 1982 anders ausgegangen. Dass der Stürmer eine nie ganz geklärte, aber zumindest zwielichtige Rolle bei einer illegalen Ergebnisverabredung im Spiel zwischen Avellino und Perugia spielte, hinderte ihn nicht. Rossi, der damals für Perugia spielte, stritt seine vorsätzliche Beteiligung an dem Betrug stets ab. Gesperrt wurde er trotzdem. So kam er zur WM als Büßer, und ging als Messias.
Die EM 1980 hatte Rossi wegen der Sperre verpasst. Bei der WM 1978 in Argentinien hingegen war er dank Bearzot bereits mit von der Partie und erzielte drei Treffer, Pablitos Stern war aufgestiegen. Die weniger glamouröse Vereinskarriere hatte Rossi von Vicenza über Perugia, Turin schließlich zum AC Mailand und am Karriereende 1987 zu Hellas Verona geführt. Drei Meniskusoperationen hatten ihm den Karrierestart erschwert, sein Körper blieb anfällig. Rossi war für Vicenza 1978 Toschützenkönig der Serie A, mit Juventus Turin gewann er mit Michel Platini im Team und unter Trainer Giovanni Trapattoni zweimal den Scudetto sowie alle drei damaligen europäischen Wettbewerbe, darunter das tragische Finale des Wettbewerbs der Landesmeister 1985. Rossi stand für Juventus auf dem Platz, als in der Folge von Fan-Krawallen 39 Menschen im Brüsseler Heysel-Stadion starben. Nach seiner aktiven Karriere betätigte sich Rossi als TV-Experte, 1999 kandidierte er als EU-Abgeordneter in den Reihen der Rechtsaußen-Partei Alleanza Nazionale, allerdings ohne Erfolg. „Es wird niemals jemanden wie dich geben, einzigartig, besonders, nach dir ist das absolute Nichts“, mit diesen Worten verkündete Rossis Ehefrau seinen Tod. Wie es heißt, erlag Rossi in einem Krankenhaus in Siena den Folgen eines Lungentumors.