28. Juni 2018, Die Zeit/Christ&Welt - Annette Schavan war vier Jahre lang Botschafterin am Heiligen Stuhl. Nun kehrt sie nach Deutschland zurück. Was hat sie verändert?

Annette Schavan ist nicht das, was man sich unter einer Draufgängerin vorstellt. Wie es aber mit verbindlich wirkenden Menschen nicht selten passiert, schleicht sich zuweilen auch ein anarchisches Element in ihr Leben. Bei der scheidenden deutschen Botschafterin am Heiligen Stuhl in Rom wird dieser Aspekt von einer roten Vespa symbolisiert, die sich Schavan zu Beginn ihrer römischen Zeit im Jahr 2014 zulegte. Es bedarf Muts, um sich mit einem Zweirad in den Verkehr der italienischen Hauptstadt zu stürzen. Schavan gibt zu, dass sie eher die ruhigen Gassen bevorzugte und die Vespa auch häufiger ungenutzt stehen blieb. Aber ein leuchtendes Symbol war diese Vespa doch. Für Freiheit und einen Neubeginn, auch wenn er von einer damals 59-Jährigen begangen wurde. Die Vespa wird dieser Tage verkauft; was das für Schavans Bemühungen um Freiheit und Neubeginn bedeutet, ist noch nicht ganz klar. Die ehemalige Bundesbildungsministerin, die 2013 über Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit stolperte, kehrt Ende Juni in ihre Wahlheimat Ulm zurück und will dann im Sommer über ein paar Angebote

entscheiden, die ihr bislang unterbreitet wurden. Einer bereits bestehenden Gastprofessur in Schanghai will sie sich zum Beispiel intensiver widmen, auch ehrenamtlicher Arbeit. Ulm soll jedenfalls die zukünftige Basis sein, aber ohne Vespa. Eine Rückkehr in die Politik schließt Schavan aus. »Diese Art von Dienst ist vorbei«, sagt sie. Für eine Politikerin mit Ambitionen, die sich zuletzt vier Jahre lang als Diplomatin üben durfte, ist das ein bemerkenswerter Satz. Er klingt weniger nach Resignation als nach Realismus. Vor Monaten war die 63-Jährige als Leiterin der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im Gespräch, die Widerstände aus der eigenen Partei waren aber so stark, dass die Kandidatin selbst Abstand von ihrer Kandidatur nahm. Schavan ist die vielleicht engste politische Freundin von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese Freundschaft hat Vorteile, etwa, dass man nach einer Affäre nicht ins politisch Bodenlose fällt, sondern durchaus sanft landet. Bisweilen hat diese Freundschaft aber auch einen hohen Preis. Schavan musste sich anhören,…

25. Juni 2018, Mainpost - Eine Migrationsgeschichte: Hunderttausende afrikanische Immigranten wollen nach Europa. Karounga Camara ging den entgegengesetzten Weg.

Die Wende im Leben von Karounga Camara begann in der Mailänder U-Bahn. Camara fuhr zur Arbeit, er war damals Nachtwächter in einem Studentenwohnheim. Ein Italiener sprach ihn an, die beiden gerieten ins Gespräch. Der Satz des Mannes, der in Camaras Kopf hängen geblieben ist, lautete: „Passen Sie auf, dass Sie nicht auch in Ihrer Heimat zum Einwanderer werden." Die Worte, die keineswegs unfreundlich gemeint waren, ließen Camara nicht mehr los. Sie waren der Anstoß für seine Rückkehr aus Italien in den Senegal. Es sind keine einfachen Zeiten für Einwanderer in Europa, schon gar nicht in Italien. Dort hat gerade eine Regierung ihre Arbeit aufgenommen, die ein gnadenloses Durchgreifen gegen Migranten zu ihrem Markenzeichen machen will. Erst vor Tagen versagte Innenminister Matteo Salvini einem mit Flüchtlingen vollgestopften Schiff die Landung. Auch Deutschland will Immigranten schon an der Grenze zurückschicken. Das vermeintliche Paradies Europa zeigt sich seit Jahren immer abweisender. Auch diese bittere Einsicht hat Camara zum Nachdenken gebracht. Die Rückkehr wagen Camara hat sich für die Rückkehr entschieden. Es war eine Lebensentscheidung, aber

auch eine strategische Überlegung. „Wo ist mein Platz in der Welt?", fragte sich der Senegalese. Im reichen, aber sehr mit sich selbst beschäftigten Europa? Oder im Senegal. Dort ist der Wettlauf ausländischer Investoren wie auf dem gesamten Kontinent in vollem Gange. China, Indien, aber auch europäische Länder und Firmen investieren. Deshalb machte der Satz des Italieners in der U-Bahn solchen Eindruck auf Camara. Ein zweites Mal fremd sein und zu spät kommen, das wollte Camara nicht. Über seine Rückkehr hat er ein Buch geschrieben. „Die Rückkehr wagen", heißt seine Biografie, die gerade auf Italienisch erschienen ist. Sechs Jahre lebte Camara in Mailand. Seit 2015 ist er zurück in seiner Heimat. „Zurückzukehren ist schwieriger, als aufzubrechen", sagt Camara. Wer es nach Europa geschafft hat, der gilt trotz aller Widrigkeiten in der Heimat als Held und ist eine finanzielle Garantie für die Angehörigen. Wer diesen Status aufgibt, wird schnell als…