Franziskus nimmt das Vaterunser ins Visier

Badische Zeitung, 8.12.2017

Das Vaterunser ist das wichtigste Gebet des Christentums, auch viele Nicht-Gläubige können es auswendig aufsagen. Man sollte meinen, das Gebet sei ein festgezurrter Anker im Sammelsurium des Glaubens. Nun hat Papst Franziskus höchstpersönlich Zweifel am Vaterunser, genauer gesagt an der Übersetzung des christlichen Hauptgebets geäußert und damit eine Debatte befeuert, die an die Grundsätze des katholischen Glaubens und das darin enthaltene Gottesbild geht. Es geht um die vorletzte Vaterunser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“. Franziskus sagte am Mittwoch in einem Interview mit dem Fernsehsender der italienischen Bischofskonferenz TV 2000, die Passage „und führe uns nicht in Versuchung“ sei „keine gute Übersetzung“.

Nicht wenige Katholiken bemängeln, der Papst rüttele spätestens seit der Veröffentlichung seines Apostolischen Schreibens „Amoris Laetitia“ im April 2016 an den Dogmen des Katholizismus. Vier namhafte Kardinäle zweifelten anschließend sogar öffentlich am Lehramt des Papstes. Jetzt nimmt Franziskus offenbar auch das Vaterunser und seine Übersetzung ins Visier. Grund für die Zweifel des Papstes ist die Überlegung, Gott könne eigentlich gar nicht in Versuchung führen. „Derjenige, der uns in Versuchung führt, ist Satan“, sagte Franziskus. Ein Vater lasse einen nicht fallen. „Ein Vater hilft dabei, sofort wieder aufzustehen“, sagte der Papst und wies auf einen Beschluss der französischen Bischofskonferenz hin, die kürzlich das Vaterunser in der betreffenden Passage neu fassen ließ. In katholischen Gottesdiensten in Frankreich wird seit dem ersten Adventssonntag die Formel „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ verwendet.

Müssen Katholiken in Deutschland und Österreich demnächst also ihr Hauptgebet umlernen? Der Vatikan hielt sich am Donnerstag bedeckt. „Bisher handelt es sich um ein Gespräch des Papstes mit einem Journalisten“, hieß es von offizieller Seite. Vatikansprecher Greg Burke sagte dieser Zeitung, bei der Übersetzungskritik des Papstes handelte es sich noch nicht um eine echte Aufforderung zur Abänderung, sondern um eine „Einladung zum Nachdenken“. Offizielle Stellen im Vatikan haben die Änderung der französischen Version des Vaterunser schon länger abgesegnet. Im Jahr 2013 genehmigte die Kongregation für die Gottesdienste die Neuübersetzung. Auch in katholischen Kirchen in Belgien, Benin und Togo ist die neue Version des Vaterunser bereits in Kraft. Die französischsprachigen Bischöfe der Schweiz wollen die Änderung ab Ostern 2018 adaptieren. Von der deutschen Bischofskonferenz gibt es bisher keine offizielle Stellungnahme.

In Deutschland hatten Theologen eine Anpassung an die neue französische Version gefordert. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer hingegen kritisierte die Neuübersetzung des Vaterunser durch die Bischöfe in Frankreich. Es gehe nicht an „Jesus zu korrigieren“, stellte Voderholzer vor einer Woche in einer Mitteilung seines Bistums fest. Die neue Übersetzung verfälsche die Worte Jesu, die Übersetzung „und führe uns nicht in Versuchung“ sei biblisch überliefert. Der Streit kreist um das Problem der richtigen Bibelübersetzung, in diesem Fall um das Verständnis entsprechender Stellen aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium, das auf Alt-Griechisch überliefert ist und später in andere Sprachen übersetzt wurde. Die Evangelisten schrieben der Überlieferung zufolge die Geschichte Jesus auf, der aber Aramäisch sprach.

Wieviel authentischer Jesus also selbst im Neuen Testament steckt, ist nicht unumstritten. Problematisch ist auch, dass das Vaterunser das Gebet ist, das Jesus selbst den Jüngern gelehrt haben soll, es hat programmatischen Charakter. Änderungen an diesem Grundgebet sind in den Augen katholischer Puristen besonders gefährlich. Wie es scheint, zielte Papst Franziskus mit seiner Vaterunser-Kritik auch auf das Leitthema seines Pontifikats, die Barmherzigkeit. In einem kürzlich auf Italienisch erschienenen Interviewbuch („Wenn ihr betet, sagt Vater unser“) erklärt Franziskus, er habe das Vaterunser von seiner Großmutter gelernt. „Sagt „Papa“ und glaubt wirklich, dass Gott der Vater ist, der mich begleitet, der mir vergibt, der mir das Brot gibt, der auf alles achtet, was ich ihn frage…“, sagt der Papst. In dem Interview mit TV 2000 vom Mittwoch erläutert Franziskus außerdem: „Es ist nicht Gott, der mich in Versuchung führt. Ein Vater tut das nicht, ein Vater hilft sofort.“ Inwiefern Franziskus dabei den ursprünglichen Sinn der biblischen Worte im Auge hat, ist unklar. Schließlich gibt es in der Bibel zahlreiche Beispiele, in denen Gott den Menschen harten Prüfungen, also auch Versuchungen unterzieht, etwa im Buch Hiob. Die Kritiker von Franziskus haben also ein Argument mehr, wenn sie die Übereinstimmung zwischen Papst und traditioneller Lehre als ramponiert betrachten.

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