Im Namen eines neuen Geistes

Badische Zeitung, 3.11.2017 - Der Kurs des Papstes führt zu Verunsicherung und Bewunderung

„Gutes Mittagessen und auf Wiedersehen!“ So unpäpstlich wie immer verabschiedete Papst Franziskus auch an Allerheiligen die Schaulustigen und Gläubigen auf dem Petersplatz. Der Elan des 80-Jährigen scheint ungebrochen, der Mann des Volkes winkt den Massen zu, empfängt pausenlos Gäste und reist beinahe ununterbrochen durch die Welt. Seine nächsten Ziele sind Myanmar und Bangladesch, im Januar stehen Chile und Peru auf dem Programm. Doch der Eindruck vom rastlosen Pontifex täuscht. Vertraute sagen über Papst Franziskus, er stoße immer häufiger an seine physischen Grenzen. „Manchmal pfeift er aus dem letzten Loch“, urteilt ein Kirchenmann, der Bergoglio oft aus nächster Nähe sieht.

Dabei bräuchte Franziskus derzeit besonders viel Energie. Die katholische Kirche im Jahr 2017 gibt ein desolates Bild ab. Die Veränderungen kommen nur mit größter Mühe voran. Die Finanzreformen des Papstes treten auf der Stelle. Das Sekretariat für Wirtschaft, das als neue Kontrollstelle im Vatikan konzipiert war, ist seit Sommer ohne Führung. Der verantwortliche Kardinal, George Pell, muss sich in seiner Heimat Australien einem Prozess wegen Kindesmissbrauch stellen, der vatikanische Rechnungsprüfer Libero Milone wurde unter mysteriösen Umständen entlassen. Machtkämpfe und Korruption sind weiter an der Tagesordnung. Zudem werden ideologische Grabenkämpfe ausgetragen, nicht nur in der Kirchenführung, sondern längst auch unter den Gläubigen.

Erst vor Wochen gingen die Kritiker des Papstes aufs Ganze: Mit einer „brüderlichen Korrektur“ wollen sie Papst Franziskus zur Umkehr bewegen. Der Papst verbreite Irrlehren, die so nicht hingenommen werden könnten. Der rechte Glaube sei in Gefahr. Es handelt sich um Katholizismus unter verkehrten Vorzeichen, denn noch nie fühlten sich Priester, Theologen und Laien bemüßigt, das Lehramt des Papstes zu korrigieren und ihn der Häresie zu bezichtigen. Die ursprünglich 62 Unterzeichner, unter ihnen Figuren aus dem traditionalistischen Spektrum wie der ehemalige Chef der Vatikanbank Ettore Gotti Tedeschi, der Chef der umstritten Piusbruderschaft, Bernard Fellay oder der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach, behaupten, Franziskus sei eine Gefahr für den katholischen Glauben.

Zuvor hatten vier pensionierte, aber einflussreiche Kardinäle, darunter der inzwischen verstorbene ehemalige Kölner Erzbischof Joachim Meisner, öffentlich das Lehramt von Franziskus angezweifelt. Weil viele Gläubige trotz dieser Kritik Hoffnungen in den Papst legen, starteten auch seine Befürworter eine Aktion. Auf Initiative des Wiener Theologen Paul Zulehner und des Prager Religionsphilosophen Tomas Halik unterzeichneten inzwischen knapp 38 000 Menschen einen solidarischen Aufruf für Franziskus und bestärken ihn, auf seinem Weg weiter zu gehen. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen der österreichische Amazonas-Bischof Erwin Kräutler, der deutsche Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse oder der ehemalige italienische Europaminister Rocco Buttiglione. Die beiden Lager streiten unversöhnlich um den richtigen Kurs der katholischen Kirche.

Kern der Auseinandersetzung ist das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia vom März 2016, in dem Franziskus seine Schlussfolgerungen aus den beiden Familiensynoden 2014 und 2015 zieht. Franziskus signalisiert darin Entgegenkommen bei der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Für Traditionalisten handelt es sich dabei um einen Tabubruch, weil das Dogma der Unauflöslichkeit der Ehe so aus den Angeln gehoben und die Scheidung auf katholisch akzeptiert werde. Die Befürworter halten einen weniger gnadenlosen Umgang mit Sündern für richtig.

Amoris Laetitia ist aber nicht der einzige theologische Stein des Anstoßes. Die Papstkritiker erkennen einen generellen Angriff auf katholische Gewissheiten. So vermuten sie, der Papst wolle mit der klammheimlichen Einrichtung einer vatikanischen Studienkommission zur Enzyklika Humanae Vitae auch das Lehramt von Papst Paul VI. aufweichen, der die künstliche Empfängnisverhütung 1968 verbot. Dass Franziskus im September ein nach Johannes Paul II. benanntes theologisches Forschungsinstitut für Ehe und Familie neu ausrichtete, ist für seine konservativen Kritiker ein weiterer Nachweis für den radikalen Kurswechsel.

Franziskus hat in der Vergangenheit zu verstehen gegeben, dass er weder den Zölibat abschaffen noch Frauen als Priester zulassen werde. Das hinderte ihn aber nicht, umstrittene Maßnahmen auf diesen Gebieten zu ergreifen. Der Erprobung sogenannter viri probati, also des Einsatzes nicht geweihter Priester zu Messfeiern in entlegenen Gegenden, in denen sonst keine Eucharistie gefeiert werden könnte, hält Franziskus dem Vernehmen nach für akzeptabel. Eine Synode der am brasilianischen Amazonas angesiedelten Bischöfe im Jahr 2019 wird diese Frage diskutieren. Möglicherweise wird das Thema auch schon bei der Jugendsynode im kommenden Jahr in Rom berührt, bei der es auch um „Berufung“ geht, also um die Frage, unter welchen Umständen Männer Priester werden. Was weibliche Diakone angeht, hat Franziskus vor über einem Jahr eine Studienkommission eingerichtet, die die Geschichte des Diakonats und das Verbot für Frauen historisch untersuchen soll. Kritiker erkennen darin ein Einfallstor für die Frauenweihe.

Auseinandersetzungen gibt es auch auf dem Gebiet der Liturgie. Franziskus möchte eine volksnahe Messfeier wie vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) vorgeschlagen. Der für Gottesdienste und Sakramentenordnung zuständige Präfekt, der guineische Kardinal Robert Sarah, torpediert diese Ausrichtung hingegen und fordert wie viele Traditionalisten eine zusätzliche Aufwertung der traditionellen Messform. Wie lange sich Sarah noch in seinem Amt halten kann, ist ungewiss. Nach dem Rauswurf von Gerhard Ludwig Müller als Präfekt der Glaubenskongregation zum Ablauf seiner fünfjährigen Amtszeit Ende Juni gilt der Afrikaner als letzter Spitzenvertreter der theologischen Schule von Benedikt XVI. im Vatikan.

Wie es heißt, verfolge auch der emeritierte Papst die Entwicklungen mit Sorge. Die Streitthemen in der Kirche sind seit Jahrzehnten dieselben, Benedikt XVI. erteilte allen Öffnungsversuchen jedoch eine Absage. Bei seinem Nachfolger steht nun Veränderung auf dem Programm.

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