Badische Zeitung, 9.9.2017 - Lorenza und Paola Mazzetti sind die Adoptivnichten Albert Einsteins. Die 90-jährigen Schwestern glauben, dass deutsche Soldaten ihre Adoptivfamilie aus Rache auslöschten.

Lorenza und Paola Mazzetti. Foto: Produktion

Lorenza und Paola Mazzetti. Foto: Produktion

Die Zwillingsschwestern kauerten auf dem Boden im Schlafzimmer, als sie drei Salven aus dem Maschinengewehr hörten. Die erste galt ihrer Tante und Adoptivmutter Nina. Die zweite ihrer 27-jährigen Cousine Luce, Ninas Tochter. Als Letztes erschossen die Deutschen Luces Schwester Annamaria, gennant Cicì. Sie war 18 Jahre alt. Ein junger Soldat, auch er etwa gleichen Alters, sollte die beiden Mädchen im Schlafzimmer im Obergeschoss der Villa mit entsichertem Gewehr bewachen. „Er begann am ganzen Körper zu zittern. Sein Gesicht war voller Tränen“, erzählt Paola Mazzetti von dem Moment, als die Gewehrsalven das Haus erschütterten. Erst da verstanden die Zwillinge, dass soeben ihre Adoptivfamilie ausgelöscht worden war. Paola und Lorenza Mazzetti sind heute 90 Jahre alt. Den Sommer haben die alten Damen in ihrem Domizil am Bolsena-See bei Viterbo verbracht, 90 Kilometer nördlich ihrer Heimatstadt Rom. An das Massaker in der toskanischen Villa Il Focardo erinnern sie sich in jedem Detail. Es war der 3. August 1944, die Mädchen waren gerade 17 Jahre alt geworden, auch damals war es heiß.

Sie erinnern sich an den Suchtrupp, der plötzlich anrückte, an den blonden Kommandanten mit Brille, an den inszenierten Prozess, der mit dem Tod der drei Frauen endete. Auch, warum sie selbst im Gegensatz zu ihrer Adoptivfamilie mit dem Leben davon kamen, ist den Schwestern klar: Ihr Nachname ist Mazzetti, nicht Einstein. Lorenza stockt, schluckt, bricht Sätze mittendrin ab, wenn sie von damals erzählt. „Ich leide noch heute an den Folgen“, sagt sie. Es ist eine Familientragödie im Zeichen der damaligen Weltpolitik. Lorenza und Paola sind die Adoptivnichten Albert Einsteins, des großen Physikers und Nobelpreisträgers. Einsteins in Italien lebender jüdischer Cousin und enger Freund Robert und seine Frau Nina adoptierten die Schwestern 1934. Ein Jahr zuvor war der berühmte Wissenschaftler in die USA emigriert und profilierte sich dort auch als lautstarker Kritiker des Nazi-Regimes. Seine in Italien verbliebene Familie musste für ihn büßen. Auf Hitlers Befehl. Davon sind die Zwillingsschwestern überzeugt. Ein Martyrium fortwährender…

Christ&Welt/DIE ZEIT, 7.9.2017 - Franziskus und Benedikt XVI. geben sich einig, sind aber theologisch meilenweit voneinander entfernt. Szenen eines Konflikts, der nicht sein darf.

Benedikt XVI. und Franziskus. Ein Herz und eine Seele?

Benedikt XVI. und Franziskus. Ein Herz und eine Seele?

Seit einem Jahr ist ein Satz in der Welt, der mit allen Zweifeln an der harmonischen Koexistenz zweier Päpste im Vatikan aufräumen sollte. „Ja“, sagte der emeritierte Papst Benedikt XVI. in seinem im September 2016 veröffentlichten Interview-Buch „Letzte Gespräche“ auf die Frage, ob er mit der bisherigen Amtszeit von Papst Franziskus zufrieden sei. „Eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht, das ist schon etwas Schönes“, schwärmte der Emeritus über Franziskus. Dass ein Papst über das Wirken seines Nachfolgers spricht, das gab es bis dahin nicht. Der Satz war gewiss aufrichtig, sparte aber jedes Urteil über die Substanz des Pontifikats aus. Es passt kein Blatt zwischen sie, so lautet die offizielle Version vom Zusammenleben der beiden weiß gekleideten Männer im Vatikan. Die Wirklichkeit stellt sich anders dar. Das Narrativ von der Harmonie zwischen Benedikt XVI. und Franziskus ist eines der größeren, derzeit im Umlauf befindlichen Märchen. Der persönliche Umgang der beiden ist davon ausgenommen. Man tauscht Freundlichkeiten aus, Franziskus hat seinen Vorgänger als Großvater im eigenen Haus verniedlicht. Der im direkten Umgang unkomplizierte Jorge Bergoglio versteht sich

menschlich gut mit dem feinsinnigen und zurückhaltenden Bajuwaren aus Marktl am Inn. Dieser taucht zu offiziellen Anlässen nur auf, wenn ihm der Amtsinhaber zuvor grünes Licht gegeben hat. Auch die Veröffentlichung des Interview-Buchs ließ sich Benedikt von Franziskus genehmigen. Artig nimmt der 90-jährige Joseph Ratzinger als Zeichen der Unterwerfung seinen weißen Zucchetto ab und beugt sein Haupt, wenn er dem zehn Jahre jüngeren Amtsinhaber begegnet. Alle Spekulationen, sein Rücktritt vor viereinhalb Jahren habe keine Gültigkeit, hat Benedikt XVI. glaubhaft zurück gewiesen. Und doch haben sich in den vergangenen Monaten Störmeldungen angehäuft, die die angespannte Lage in der katholischen Kirche zusätzlich belasten. Der letzte Anlass zur Aufregung war das Grußwort, das Benedikt XVI. anlässlich des Requiems für Joachim Kardinal Meisner Mitte Juli im Kölner Dom verfasst hatte. Sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein trug den Text teilweise unter Tränen vor. Besondere Aufmerksamkeit rief eine Passage hervor, in…

Generalanzeiger, 6.9.2017 - Für Elisa Vittori und Livia Micozzi brach mit den Erdbeben in Mittelitalien vor einem Jahr eine Welt zusammen. Die Überlebenden von Accumoli sind nun an der Adria untergebracht.

Livia Micozzi und Elisa Vittori vor ihrem neuen Zuhause. Foto: Max Intrisano

Livia Micozzi und Elisa Vittori vor ihrem neuen Zuhause. Foto: Max Intrisano

Darf man Musik machen, wenn gerade die Welt untergegangen ist? Nein, dachte Elisa Vittori zunächst. In der provisorischen Zeltstadt von Accumoli wohnten Leute, die wenige Tage zuvor ihre Familienangehörigen beim Erdbeben verloren hatten und deshalb in tiefer Trauer waren. 299 Menschen starben im August 2016 in Mittelitalien, ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Es galt also, mit Stille Respekt zu zollen, den Opfern von Accumoli und ihren Angehörigen. Die Blaskapelle sollte schweigen. Wäre es zudem nicht dem toten Schlagzeuger Andrea und seinen Verwandten gegenüber respektlos gewesen, einfach ohne ihn weiterzumachen? In der Nacht des 24. August 2016, als der Boden unter Accumoli bebte, erschlug der gerade erst renovierte Kirchturm den Schlagzeuger Andrea, seine Frau und die beiden kleinen Söhne im Schlaf. „Wir dachten, es ist besser zu warten“, sagt Elisa. Sie spielt Klarinette und fing schon als Zehnjährige in der Blaskapelle an. Heute ist sie 18 Jahre alt. An jenem Abend, nur zwei Wochen nach der Apokalypse, als es um Tod, um Pietät und um die Frage

ging, wie viel Leben und Neuanfang möglich sind, befand sich auch Giuseppe Scurci im Zelt. Der Psychologe und seine Kollegen waren am Tag nach der Katastrophe aus Rom nach Accumoli gekommen, um zu helfen. Als er mitbekam, dass Elisa und ihre Musikerkollegen unsicher waren, ob an diesem letzten Abend im Großraumzelt musiziert werden sollte oder nicht, da mischte er sich ein. „Musizieren kann helfen, euch und den anderen“, versicherte er ihnen. Eine Blaskapelle als Symbol des Lebens Die Musiker dachten nach und diskutierten. Als die Menschen im Zelt dann auch noch zu drängeln begannen, dass ein bisschen Spaß vielleicht allen ganz gut tun würde, holten Elisa und die anderen Musiker der Blaskapelle ihre Instrumente hervor. Sie improvisierten, es klang zunächst ein bisschen schräg, aber dann tanzten die Leute sogar. „Das war auch für uns das Zeichen: Es ist nicht vorbei“, erzählt Elisa. „Eine Blaskapelle, die spielt, ist ein Symbol für ein Dorf, das lebt“,…