In welchem Moment exakt das Jahr 1 n.T. (nach Totti) begann, ist schwer zu sagen. Vielleicht startete die neue Zeitrechnung für den AS Rom, als der Kapitän am Sonntagabend nach der Partie gegen den CFC Genua bei seiner Ehrenrunde vor der Gegengeraden innehielt, sich auf eine Werbebande stützte und zusammen mit seinen 60 000 Verehrern im römischen Olympiastadion in einen Weinkrampf ausbrach. Vielleicht wurde Francesco Totti sich auch erst bewusst, dass es jetzt vorbei ist, als er vor der Südkurve zum Stehen kam, in der der harte Kern der Roma-Tifosi zuhause ist. Totti legte beide Hände hinter den Kopf, neigte das Haupt und sank erneut in sich zusammen. Selbst vergleichsweise unbeteiligte Beobachter vergossen in diesen Momenten mindestens eine Träne für die größte lebende Identifikationsfigur Roms. Es ist dies der Schlüssel zum Verständnis der Ikone Totti: In einer Stadt, die wie keine andere Metropole auf der Welt von ihrer Vergangenheit zehrt, hat dieser Fußballer den Menschen die Illusion einer immer noch großartigen Gegenwart beschert. „Du warst ein Traum“, titelte der in
Rom ansässige Corriere dello Sport am Dienstag und fasste so das Verdienst Tottis um sein Volk zusammen. In ihm, der 25 Spielzeiten lang ununterbrochen das gelb-rote Dress des Vereins seiner Heimatstadt getragen hat, bündelten sich nicht nur die Sehnsüchte und Projektionen der Römer, sondern auch Frust, Enttäuschungen und Beschränktheiten. Der Fußballer Totti war das Alter Ego der ewigen Stadt, die nun in gewisser Weise ihres weltweit bekannten Botschafters und damit ein Stück weit ihrer eigenen Identität beraubt ist. Ein Großteil der Tifosi trug auf dem Weg zum Stadion weinrote Roma-Trikots mit Tottis Namen und der Nummer 10, nicht wenige von ihnen handsigniert. Noch vor Anpfiff der Partie gegen den CFC Genua drehte ein Propellerflugzeug seine Runden über dem Stadion und zog einen Banner mit der Aufschrift „Grazie capitano“ hinter sich her. Einen Hauch von Tragik steuerte die Tatsache bei, dass der 40 Jahre alte Hauptdarsteller auch am „Totti Day“ (Gazzetta dello Sport)…