Es ist schon über ein Jahr her, dass Benedikt XVI. im weißen Wintermantel und gestützt auf einen schwarzen Gehstock vor seiner Bleibe im Vatikan stand und die Ehrerbietungen einer Besuchergruppe aus Süddeutschland entgegennahm. Es gab Geschenkkörbe und freundliche Worte. Ein Mann aus der Gruppe sagte, man würde sicher bald auch zum 90. Geburtstag gratulieren. Benedikt XVI. lehnte dankend und mit einem Schmunzeln ab: „Na, lieber ned“, sagte der emeritierte Papst mit hörbar bayerischem Einschlag. Seine Antwort war kein Affront, sie klang schlicht nach Lebensmüdigkeit. Nun ist es doch so weit. Am Ostersonntag wird Benedikt XVI. 90 Jahre alt. An diesem Hochfest zieht ein Ex-Papst besser wenig Aufmerksamkeit auf sich. Erst einen Tag später wird Joseph Ratzinger eine mittelgroße Feier abhalten. 30 bayerische Gebirgsschützen machen ihre Aufwartung, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und seine Ehefrau sowie ein paar andere Ehrengäste haben sich angekündigt. Die rund 50 Gratulanten werden auf einen sehr alten Mann treffen, der im Kopf noch hellwach ist, aber kaum noch gehen kann. Wenn er sich nicht auf seinen Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein
oder einen Gehstock stützt, dann nimmt er schon seit geraumer Zeit die Dienste eines Rollators in Anspruch. Diesem Alterungsprozess steht eine ganz andere Entwicklung gegenüber, deren Tragweite sich erst jetzt langsam erschließt. Die päpstliche Ko-Existenz Oberflächlich betrachtet herrscht im Vatikan fast Routine angesichts der zwei Männer in Weiß, die im Schatten des Petersdoms relativ umtriebig ihr Tagwerk verrichten. Papst Franziskus ist der Chef, daran zweifeln nicht einmal mehr seine hartnäckigsten Gegner. Bergoglio und Ratzinger begegnen sich regelmäßig, was nicht heißen muss, dass sie in allem einer Meinung sind. Es kann gut sein, dass Franziskus seinem Vorgänger auch am Sonntag persönlich gratulieren wird. Sie schreiben sich Briefe, der Kontakt ist rege. Die päpstliche Ko-Existenz sei etwa so, wie den Großvater im eigenen Haus zu haben, sagte Franziskus zu Beginn seines Pontifikats. Eine harmlose Bemerkung, die auch insofern zutrifft, als dass Großväter manchmal ziemlich platzergreifend sein können. Die…