Tageswoche, 4.3.2017 - Was ist eigentlich mit der Mafia los? Die Clans haben sich in der Gesellschaft eingenistet und sind unsichtbarer geworden.

Die Liste der meist gesuchten Verbrecher Italiens ist alles andere als lang. Sechs Männer listet das Innenministerium auf. Der einzige klingende Name ist der von Matteo Messina Denaro, dem seit 1993 flüchtigen Mafiaboss aus Castelvetrano auf Sizilien. Messina Denaro ist so etwas wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, als die italienische Polizei noch einen Superboss nach dem anderen jagte und verhaftete. Superboss, gibt es so etwas heute überhaupt noch in Italien? Und warum ist es in den vergangenen Jahren so ruhig um die Mafia geworden? „Es ist heute schwierig die Mafia zu sehen, weil sie dem Rest so ähnlich geworden ist“, schrieb kürzlich der italienische Bestseller-Autor Roberto Saviano in einem Beitrag für die Tageszeitung La Repubblica. Der 37-jährige Neapolitaner lebt seit der Veröffentlichung seines Buches „Gomorrha“ im Jahr 2006 unter Polizeischutz. Saviano berichtete damals über die Hintergründe zu einem Großprozess gegen die Camorra im Hinterland Neapels, die aber längst in ganz Italien Geschäfte machte. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Mafia war enorm. Im Wirtschaftsleben eingenistet Staatsanwälte

verhafteten in den folgenden Jahren zahlreiche Camorra-Bosse. Mit Bernardo Provenzano (2006) und Salvatore Lo Piccolo (2007) hatte der Staat zuvor auch die letzten berüchtigten Verbrecher der Cosa Nostra auf Sizilien festgesetzt. „Früher war die Mafia Synonym für Armut und Zerfall“, schreibt Saviano. Das ist in einigen Gegenden Italiens immer noch so. Aber längst haben sich die Clans im Wirtschaftsleben, in der öffentlichen Verwaltung und in den Finanzmärkten eingenistet. Die Mafia macht nicht mehr mit eklatanten Gewalttaten von sich Reden. Zu denken ist etwa an die Serie von Attentaten der Cosa Nostra in den 1990er Jahren oder dem sechsfachen 'Ndrangheta-Mord 2007 in Duisburg. Heute ist es ihre Fähigkeit zur Anpassung, die die Mafia nicht nur unsichtbar, sondern auch so gefährlich macht. „Die Unsichtbarkeit der Mafia ist ihr natürlicher Zustand“, behauptet der Journalist Giacomo Di Girolamo. Die sizilianischen Mafiakriege des vergangenen Jahrhunderts, die ganze Hollywood-Produktionen inspirierten, hätten einen falschen Eindruck erweckt. „Es ist ein…

Augsburger Allgemeine, 4.3.2017 - In der laufenden Legislaturperiode haben schon 373 Parlamentarier in Italien die Fraktion gewechselt.

Luigi Compagna ist keine echte Größe im italienischen Politikbetrieb. Der 68-Jährige Senator aus Neapel hält jedoch einen eindrucksvollen Primat. In der laufenden Legislaturperiode hat Compagna bereits sechs mal die Fraktion gewechselt. Das ist unerreichter Rekord unter den Volksvertretern in Abgeordnetenhaus und Senat, die ebenfalls nicht gerade zimperlich in ihren migratorischen Neigungen sind. Nach Angaben des Vereins Openpolis gab es seit den Parlamentswahlen vor vier Jahren bereits 447 Fraktionswechsel, so viele wie noch nie. Insgesamt haben 373 Parlamentarier in Rom die Fraktion gewechselt, einige von ihnen, wie Compagna, taten sich dabei mehrfach hervor. 39,3 Prozent aller Volksvertreter im italienischen Parlament sind nicht mehr in der Fraktion, der sie ursprünglich angehörten. Das hat nicht nur starke politische Auswirkungen, sondern verschlechtert zusätzlich das schon arg lädierte Bild, das die Italiener von ihren Politikern haben. Als „Wendehälse“ oder „Opportunisten“ sind die Fraktionswechsler in den Medien verschrien. An Aktualität hat das Phänomen, das landesweit als trasformismo bekannt ist, dieser Tage wieder gewonnen durch die Spaltung der größten an der Regierung beteiligten Partei im Land,

des Partito Democratico (PD). Weil sie schon lange im Dissens mit Stil und politischen Vorstellungen des ehemaligen Parteichefs und Ex-Premierministers Matteo Renzi waren, traten vor Tagen insgesamt 50 Abgeordnete und Senatoren aus dem PD aus und schlossen sich zum Movimento Democratici e Progressisti (MDP) zusammen. Zwölf Fraktionen und sieben Untergruppen gibt es heute im Abgeordnetenhaus, elf Fraktionen und mindestens vier Untergruppen im Senat. Bei der Wahl 2013 existierten gerade einmal vier respektive drei dieser Parteien. Heute blicken nur noch Experten durch. „Im Durchschnitt haben pro Monat neun Volksvertreter die Seiten gewechselt“, schreibt Openpolis. Die Pflicht, der Partei die Treue zu halten, mit der ein Abgeordneter ins Parlament gewählt wurde, ist nirgends festgeschrieben. Das seit 2005 geltende Wahlgesetz sieht die Bildung von Koalitionen vor der Wahl vor. Im Nachhinein brechen die Bündnisse dann oft auseinander, häufige Regierungswechsel sind die Folge. Viele Abgeordnete, die auf festen Listenplätzen einer Partei gewählt wurden, laufen in fremde Lager…

Main-Post, 3.3.2017 - Papst Franziskus versprach Null-Toleranz in der Missbrauchsbekämpfung. Jetzt hat die letzte Betroffene die Vatikan-Kommission zum Kinderschutz verlassen. 

Marie Collins hat das Grauen am eigenen Leib erlebt. Mit 13 Jahren wurde sie bei einem Krankenhausaufenthalt in Dublin von einem Kaplan missbraucht und vergewaltigt. Sie wurde depressiv, erst im Alter von 47 Jahren konnte die Irin über das Geschehene sprechen. Nicht nur unter den Misshandlungen habe sie gelitten, sondern auch darunter, dass die Kirche ihren Peiniger lange schützte. Bevor der Priester 1997 verurteilt wurde, hatte ihn sein Bischof in eine neue Pfarrei versetzt, wo er sich erneut strafbar machte. Diese Erfahrung brachte die Aktivistin mit, als Papst Franziskus sie vor drei Jahren in eine Kinderschutzkommission zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche berief. Am Mittwoch trat die heute 70 Jahre alte Irin als einzige verbliebene Betroffene in dem 17-köpfigen Gremium zurück. „Der Mangel an Kooperation, vor allem durch das Dikasterium, das am engsten mit Missbrauchsfällen befasst ist, war eine Schande“, schrieb Collins in einem Statement. Damit ist die vom Deutschen Gerhard Ludwig Müller geleitete Glaubenskongregation gemeint. Sie hat die Supervision über alle bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in der

Kirche. Collins bemängelte „stetige Rückschläge“ in der Arbeit der Kommission und den „Widerstand einiger Mitglieder der Kurie“. Die Weigerung von Seiten der Kongregation, sämtliche Briefe von Missbrauchs-Betroffenen trotz einer Anordnung des Papstes persönlich zu beantworten, habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Angesichts dieser Tatsachen sei es ihr „unmöglich, die öffentlichen Bekenntnisse über die tiefe Sorge in der Kirche für Missbrauchsopfer zu hören“, schrieb Collins in einem Beitrag für den National Catholic Reporter. Sie wirft der Kirche Doppelmoral vor. Unüberwindbare Hürden Auch von der Kommission erarbeitete Richtlinien für Diözesen zum Kinderschutz seien nicht weitergeleitet worden. Enttäuscht zeigte sich Collins zuvor bereits von der nie wahrgemachten Ankündigung eines Vatikangerichts im Juni 2015, vor dem sich vertuschende Bischöfe verantworten sollten. Die Kommission hatte die Einrichtung empfohlen, der Papst zugestimmt. Auch die neuesten von Franziskus verabschiedeten und seit September geltenden rechtlichen Normen zur Verurteilung vertuschender Bischöfe beruhigten Collins nicht. Es sei unmöglich zu erfahren,…