Bis zum 23. Dezember waren Luca Scatà und Christian Movio zwei durchschnittliche italienische Streifenpolizisten. Als sie am frühen Morgen im Mailänder Vorort Sesto San Giovanni den damals meist gesuchten Verbrecher Europas bei einer Routinekontrolle stellten und erschossen, änderte sich ihr Leben schlagartig. Der 36-jährige Movio, der durch einen Schuss Amris an der Schulter verletzt wurde und der 29-jährige Scatà, der anschließend den tödlichen Schuss auf Anis Amri abgegeben hatte, wurden in der öffentlichen Wahrnehmung zu beispielhaften Staatsdienern, die voller Professionalität einen hochgefährlichen und bewaffneten Kriminellen ausgeschaltet hatten. Vor allem in Deutschland, aber auch in Italien atmeten viele Menschen auf.
Eine der ersten Reaktionen stammte von der Berliner Polizei. Die Kollegen hatten hilflos miterleben müssen, wie der Tunesier einen Sattelzug in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin gesteuert hatte, zwölf Menschen tötete, Dutzende teilweise schwer verletzte und anschließend im Nichts verschwand. „Grazie“, schrieben die deutschen Beamten auf Twitter und wünschten dem verletzten italienischen Kollegen gute Besserung. Die italienische Presse überschlug sich in ihren Titeln. Auch die „Welt“ schrieb von „Europas Helden“, der „Daily Telegraph“ rühmte „Italys heroes“, Italiens Helden. Die Rollen zwischen Gut und Böse waren klar verteilt.
Keine Vorbilder
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Scatà und Movio kaum als Vorbilder taugen. Beide waren zufällig an den in einer europaweit ausgeschriebenen Fahndung 24-jährigen Attentäter geraten, der bei der Personenkontrolle vor dem Bahnhof von Sesto San Giovanni seine Waffe zog. Wie die Bild-Zeitung berichtetem hatte die deutsche Bundesregierung offenbar erwogen, die beiden italienischen Polizisten auszuzeichnen. Als dann Details über ihr Privatleben zum Vorschein kamen, sah man von einer Ehrung lieber ab. Ihren inzwischen nicht mehr einsehbaren Facebook-Profilen zufolge sind Movio und Scatà erklärte Sympathisanten der neofaschistischen Szene.
Der aus dem Friaul stammende Norditaliener Movio hatte in seinem Profil mehrere ausländerfeindliche Einträge gemacht. Im August 2014 postete er das Bild einer Coca-Cola-Flasche mit der Aufschrift „Adolf“ und darunter eine Fotomontage von Adolf Hitler mit dem Schriftzug „Thanks Bro“ (Danke Bruder). Der Sizilianer Scatà wurde noch expliziter. Im November 2015 veröffentlichte er ein Foto von sich selbst, das ihn lachend mit ausgestrecktem rechtem Arm zeigt, dem Hitler-Gruß. Mehrfach erschienen auf seinem Profil auch Elogen auf den faschistischen Diktator Benito Mussolini und Hinweise darauf, dass es am 25. April, dem Jahrestag der Befreiung Italiens vom Nazi-Faschismus, nichts zu feiern gebe. Die Facebook-Profile waren bereits am 23. Dezember nicht mehr zugänglich. Dies sei zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Polizisten geschehen, sagte der Mailänder Polizeichef.
Zu viel Lob
Umso problematischer wirken heute die Worte, mit denen Italiens Innenminister Marco Minniti die beiden Beamten nach der Tötung Amris lobte. Minniti nannte Movio und Scatà „außerordentliche Personen“, dank derer die Italiener ein „noch glücklicheres Weihnachtsfest feiern“ könnten. Dass das Innenministerium die Personalien der beiden Polizisten überhaupt veröffentlichte, war bereits kurz nach der Ergreifung Amris in Mailand Gegenstand von Diskussionen. In einer internen Mitteilung warnte Italiens Polizeichef Franco Gabrielli vor Vergeltungsakten der islamistischen Szene. Anfang Februar schließlich wurden Movio und Scatà versetzt, ihre neuen Arbeitsplätze allerdings geheim gehalten. Auch zum Schutz der Familien seien Maßnahmen ergriffen worden, hieß es. Vom Bild der beiden unbescholtenen Streifenpolizisten, die zu Helden wurden, ist nicht mehr viel übrig geblieben.