Ende der Sternstunde?

Badische Zeitung, 1.2.2017 - Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi versagt bisher. Ihrer Partei schadet das offenbar nicht.

Sie ist die erste Frau im Amt des Bürgermeisters von Rom. Sie ist das jüngste Stadtoberhaupt in der Geschichte der italienischen Hauptstadt. Und sie galt vielen als das sympathische, unverbrauchte Gesicht, das eine neue Ära in Italien einleiten würde. Virginia Raggi, 38 Jahre alt, Patentanwältin und Galionsfigur der europaskeptischen 5-Sterne-Bewegung. Statt Stillstand, Chaos und Vetternwirtschaft versprach die junge Politikerin Bewegung, Ehrlichkeit und Transparenz. Die Machtübernahme in Rom durch die systemkritischen „Grillini“ war der Testfall für Italien.

Inzwischen sind sieben Monate vergangen. Virginia Raggi sieht bei ihren öffentlichen Auftritten nicht nur todmüde aus, sie kämpft auch um ihre politische Existenz. Das liegt zum Einen an den extrem schwierigen Verhältnissen in einer Stadt, der jahrzehntelang als Spielball politischer Interessen von den jeweils Herrschenden übel mitgespielt wurde. Rom soll etwa unter einem Schuldenberg von mindestens 13 Milliarden Euro ächzen, wie hoch das Minus ist, weiß keiner genau. Der Spielraum der Stadtverwaltung ist begrenzt.

Staatsanwälte ermitteln

Doch statt eines sichtbaren Neubeginns provozierte die Bürgermeisterin zusätzliches politisches Chaos. Sogar die römische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie. Die Vorwürfe lauten auf Amtsmissbrauch und Falschaussage. Es wirkt so, als gebe es keinen Ausweg aus der römischen, ja aus der italienischen Misere. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi, auch außerhalb Italiens lange eine Identifikationsfigur, trat im Dezember zurück, weil die Italiener die von ihm angestoßene Verfassungsreform mehrheitlich ablehnten. Scheitert mit Raggi die nächste Hoffnungsträgerin in Italien?

Die Probleme der Bürgermeisterin begannen mit der Amtsübernahme. Die 5-Sterne-Bewegung ist ein buntes, auch populistisches Sammelbecken für Unzufriedene aller Couleur, das gegenseitige Misstrauen der Aktivisten ist deshalb besonders ausgeprägt. Diese Skepsis bekam auch Raggi zu spüren. Gleichsam zur Aufsicht wurden ihr einige Mitglieder der Stadtregierung vom Chef der 5-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, diktiert. Grillo ist der allmächtige „Garant“ des „Movimento 5 Stelle“, er hat stets das letzte Wort in der Partei, die sich ihrer Basis- und Netzdemokratie rühmt.

Raggi hingegen igelte sich auf dem Kapitol, dem Sitz der Stadtverwaltung, regelrecht ein und traf wichtige Entscheidungen mit einem eisernen Kern von nur drei Mitarbeitern. Das führte zu Spannungen. Im September traten aus Protest gegen die Amtsführung die Kabinettschefin, der Haushaltsreferent sowie die Spitzen von Verkehrsbetrieben und Müllentsorgungsgesellschaft zurück. Wegen strafrechtlicher Ermittlungen musste später auch Raggis Umweltreferentin gehen. Statt Aufbruchstimmung herrschte Chaos.

Gewiefte Funktionäre

Der Bürgermeisterin wurde dann ihre enge Verbindung zu Personalreferent Raffaele Marra zum Verhängnis, einem ihrer drei Vertrauten. Die Staatsanwaltschaft ließ Marra Mitte Dezember wegen des Verdachts auf Korruption festnehmen, er sitzt bis auf Weiters im Gefängnis. Marra ist eine typische Figur der italienischen Verwaltung, die ein Dilemma der italienischen Politik sichtbar macht: Während sich die Politiker abwechseln, verharrt eine Riege gewiefter Funktionäre an den Hebeln der Macht.

Marra besetzte bereits unter dem neofaschistischen Bürgermeister Gianni Alemanno (2008-2013) wichtige Posten. Als Stadträtin knüpfte Raggi Kontakte zu Marra, der sich als Anhänger der aufkommenden 5-Sterne-Bewegung gerierte und sich die Gunst der späteren Bürgermeisterin erwarb. Ob hinter der Verbindung zu ihrem Personalchef mehr als die Blauäugigkeit einer gutgläubigen Außenseiterin steckt, fragen sich inzwischen auch die Ermittler. Wegen der Beförderung von Marras Bruder zum Chef des Tourismusamts der Stadt samt saftiger Gehaltserhöhung ist die Bürgermeisterin im Visier der Staatsanwaltschaft.

Die Diskrepanz zwischen dem von Raggi angekündigten Wandel und der Wirklichkeit ist offensichtlich. Beppe Grillo, Gründer der 5-Sterne-Bewegung, die bei den Parlamentswahlen im Jahr 2013 auf Anhieb dritte Kraft wurde, passte vor Wochen den Ethik-Code der Bewegung an. Seither ist der Rücktritt von 5-Sterne-Amtsträgern im Fall staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nur noch eine Option, aber kein Muss mehr. Dass die Affäre aber das Vertrauen in die 5-Sterne-Bewegung insgesamt erschüttert hat, ist nicht zu behaupten. Ihr Nimbus als Anti-Establishment-Partei hält an. In Umfragen kommen die „Grillini“ landesweit auf etwa 30 Prozent. Sie haben damit gute Chancen, bei der nächsten Parlamentswahl als Sieger hervorzugehen.

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