Badische Zeitung, 22.12.2016 - Der Berlin-Attentäters Anis Amri saß jahrelang auf Sizilien im Gefängnis.

In Belpasso am Fuß des Vulkans Etna erinnern sie sich bis heute an Anis Amri, den mutmaßlichen Attentäter von Berlin. „Anis?“, sagt eine Mitarbeiterin des Instituts Giovanna Romeo Sava am Telefon. „Natürlich, der Tunesier. Er war groß, ganz hübsch, aber auch ziemlich verschlossen.“ Auch an den Brand, den der junge Nordafrikaner im Herbst 2011 in der sizilianischen Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge gelegt haben soll, erinnert sich die Angestellte der katholischen Stiftung. Aber man solle doch bitte nicht ihren Namen nennen. Die Sache ist lange her, ganz genau erinnere sie sich nicht mehr. Komplikationen welcher Art auch immer wolle sie vermeiden. Die Kleinstadt Belpasso bei Catania war nur eine der zahllosen Stationen von Anis Amri auf dem Weg von seiner Heimat Tunesien bis nach Berlin, wo er vergangenen Montag zwölf Menschen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz getötet haben soll. 64 261 Immigranten erreichten im Jahr 2011 Italien über das Mittelmeer, einer von ihnen war Amri. Der arabische Frühling hatte das Ende des Regimes von Zine el-Abidine Ben Ali besiegelt, Tausende Tunesier verließen ihre Heimat. Doch offenbar hatte Amri ganz andere Gründe zur Flucht. Wie der

Radiosender Tunisie Mosaique berichtete, sei der damals 19-Jährige in seiner Heimat wegen eines bewaffneten Raubüberfalls zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Der Strafe entzog sich Amri anscheinend mit der Flucht nach Italien im Februar 2011. Wie der Großteil der Bootsflüchtlinge landete auch der Tunesier auf der Insel Lampedusa. Dokumente trug er nicht bei sich. Obwohl längst volljährig, gab sich Amri als Minderjähriger aus und wurde deshalb zwei Monate später in eine entsprechende Einrichtung gebracht. Im Institut Sava von Belpasso besuchte Amri nach Angaben der italienischen Tageszeitung La Stampa die Schule, soll sich aber bereits als gewalttätiger Hitzkopf hervorgetan haben. „In der Schule sorgt er für ein Klima des Schreckens“, schreibt La Stampa. Polizeilich bekannt ist der junge Mann in Italien zu diesem Zeitpunkt bereits wegen Delikten wie Unterschlagung oder Nötigung. Am 23. Oktober 2011 nehmen ihn die Carabinieri fest. In der Nacht zuvor hatte Amri zusammen mit vier Landsleuten einen der…

Rheinische Post, 17.12.2016 - Franziskus wird am Samstag 80 Jahre alt. Der Papst hat neue Freiheiten in der katholischen Kirche geschaffen. Weniger klar ist, ob seine Kirche diese Freiheiten auch nutzen will.

Nicht einmal an seinem 80. Geburtstag wird Franziskus sich den Luxus erlauben, ein bisschen länger unter der warmen Decke zu liegen. Auch am Samstag wird sich Jorge Bergoglio noch vor fünf Uhr Früh aus seinem massiven Holzbett schälen und beten. Er wird später an seinem Tisch in der Mensa des vatikanischen Gästehauses Santa Marta frühstücken. Der Papst trinkt morgens Kaffee mit Magermilch, er isst Marmeladebrot und seit seiner Zeit in Buenos Aires auch Ricotta-Frischkäse. Was er weniger mag, sind die unterwürfigen Ehrerweisungen, die sein Hofstaat ihm zu seinem runden Geburtstag zukommen lassen wird. Um 8 Uhr versammeln sich die in Rom ansässigen Kardinäle in der Paulinischen Kappelle im Apostolischen Palast, um mit dem Papst an dessen Ehrentag die Messe zu feiern. Wer Franziskus kennt, der weiß, dass ihm die informelle Routine bei den Morgenmessen in der Kapelle von Santa Marta lieber wäre. Aber auch ein Papst hat nicht immer die Wahl. Zugänglicher Dorfpfarrer Nach bald vier Jahren im Amt wirkt Franziskus immer noch wie der zugängliche Dorfpfarrer, der die Ehrfurcht vor der Macht und das schwerfällige Protokoll mit kleinen Gesten oder sogar Witzen durchbricht.

Vielleicht wird am Samstag auch die Staatspräsidentin Maltas in den Genuss dieser unpäpstlichen Leichtigkeit kommen, wenn sie am Geburtstag um zehn Uhr zur Audienz im Apostolischen Palast erscheint. Einer von Bergoglios neuesten Kalauern geht so: „Was ist der Unterschied zwischen Terrorismus und dem Protokoll? Mit Terroristen kann man verhandeln!“ Dass der ernsthafte Protokollchef des Papstes, Erzbischof Georg Gänswein, das auch komisch findet, ist zu bezweifeln. Franziskus gibt sich bei seinen Auftritten weiter leutselig, aber auch nachdenklich. In einem kurz vor seinem 80. Geburtstag veröffentlichten Video, das einer seiner engsten Berater, der Jesuitenpater Antonio Spadaro mit seinem Smartphone aufgenommen hat, gesteht Franziskus zum wiederholten Mal, seine Amtszeit könnte bald zu Ende gehen. „Ich habe das Gefühl, mein Pontifikat wird kurz sein, vielleicht vier, fünf Jahre. Vielleicht täusche ich mich auch“, erzählt der Papst. Am 13. März 2013 wurde Bergoglio von den Kardinälen gewählt. Bricht also nun sein…

Weser-Kurier, 13.12.2016 - Der designierte italienische Ministerpräsident hat eine undankbare Aufgabe. Er muss die schweren Fehler seiner Vorgänger beheben.

Außenminister Paolo Gentiloni ist gewiss keine schlechte Wahl als neuer italienischer Ministerpräsident. Der 62-jährige konservative Sozialdemokrat gilt als maßvoll, diplomatisch und seriös, also als jemand, der ein Land in schwieriger Lage mit der nötigen Weitsicht und dem erforderlichen Verantwortungsbewusstsein führen kann. Hürden gibt es zuhauf. Gentiloni muss einen schwierigen Kompromiss für ein neues Wahlrecht finden und vorher möglicherweise die Verstaatlichung der Krisenbank Monte dei Paschi einleiten. Auf der Baustelle würde man sagen: Er muss die Drecksarbeit machen. Diesen Aufgaben waren bisherige Regierungen entweder nicht gewachsen oder sie ließen die Lösung der Probleme absichtlich schleifen. Der bisherige Umgang mit der toskanischen Krisenbank Monte dei Paschi aus Siena war verantwortungslos. Bis zum Jahresende muss der Bank eine Kapitalerhöhung in Höhe von fünf Milliarden Euro gelingen, wenn sie nicht pleite gehen und andere Großbanken mit in die Krise ziehen soll. Mehrere Regierungen vor Gentiloni drückten sich um die unangenehme, aber möglicherweise unvermeidliche Aufgabe der teilweisen Verstaatlichung der Bank. Nach den neuen EU-Richtlinien werden die Gläubiger im Falle der drohenden Insolvenz beteiligt. Monte dei Paschi hat fünf Millionen Kunden, die kein Regierungschef zum Feind haben möchte. Der neue Ministerpräsident kann

sich schon jetzt auf den Unmut der Bankkunden gefasst machen. Die zweite große Altlast, der Gentiloni ausgeliefert sein wird, ist die Reform des Wahlrechts. An ihrer Unfähigkeit, die demokratischen Spielregeln gemeinsam zu gestalten, zeigt sich seit Jahren die ganze Begrenztheit der italienischen Politik. 2005 verabschiedete die Regierung von Silvio Berlusconi ein Wahlgesetz, das der Initiator selbst als „Schweinerei“ bezeichnete, weil es darauf gemünzt war, der Linken das Regieren unmöglich zu machen. In einem parlamentarischen Kraftakt gelang Ministerpräsident Matteo Renzi 2015 die Reform des Wahlrechts. Renzi wurde für diesen Erfolg gefeiert, er beging dabei aber mehrere Fehler. Zum ersten unterschätzte er die Stärke der aufstrebenden 5-Sterne-Bewegung um den Komiker Beppe Grillo. Das neue, auf zwei politische Blöcke zugeschnittene Wahlrecht sieht eine Stichwahl vor, die die EU-Skeptiker nach aktuellen Umfragen gewinnen würden. Renzi traf zudem die dramatische Fehlentscheidung, das Referendum über die Verfassungsreform abhalten…

Mannheimer Morgen, 13.12.2016 - Der designierte Ministerpräsident Paolo Gentiloni muss beweisen, dass Zurückhaltung in der italienischen Politik kein Nachteil ist.

Politiker sind nicht die Spezies, die das italienische Volk in Jubelstürme ausbrechen lässt. Auch der designierte Ministerpräsident Paolo Gentiloni löst bei seinen Landsleuten keine ekstatischen Reaktionen aus. Aber er kann immerhin für sich beanspruchen, nicht zur Kategorie der unbeliebtesten Gestalten im römischen Politikbetrieb zu zählen. Das hängt einerseits damit zusammen, dass viele Italiener Gentiloni gar nicht kennen. Und zweitens damit, dass der 62-Jährige, der seit 2014 als Außenminister amtierte, für seine besonnene Art bekannt ist. Nur eine gute Woche nach dem Rücktritt von Premier Matteo Renzi könnten Gentiloni und seine Regierung bereits an diesem Dienstag von Staatspräsident Sergio Mattarella vereidigt werden. Einen „wunderbaren Kollegen“ hat Bundesaußenminister Frank-Walter-Steinmeier seinen Amtskollegen vor dessen Vereidigung genannt. Das sind Worte, die weit über das normale Maß an Freundlichkeit herausgehen und wohl damit zu tun haben, dass Gentiloni sich nicht nur auf dem internationalen Parkett zu bewegen weiß. Der Politiker spricht Englisch, Französisch und nach einem Kurs beim Goethe-Institut offenbar auch passabel Deutsch. „Er hat die Diplomatie im Blut“, schrieb der Corriere della Sera. Dem künftigen Ministerpräsidenten wird eine Akribie und Bedächtigkeit nachgesagt, die man zuletzt nicht mehr kannte aus Italien. Vorgänger Renzi wurde in Brüssel und Berlin

einerseits für seinen Elan geschätzt, er war aber auch als große Nervensäge verschrien. Beides kann man vom verbindlichen Gentiloni nicht behaupten. Der Römer entstammt einem alten, katholischen Adelsgeschlecht, das immer noch einen ganzen Palazzo in der Nähe des Viminal-Hügels in Rom besitzt. Auch Gentiloni wohnt hier mit seiner Ehefrau und liebt es, zu Fuß durch die Stadt zu flanieren. Ein Großonkel des designierten Ministerpräsidenten vermittelte 1913 den sogenannten Gentiloni-Pakt zwischen Vatikan und Regierung. Anschließend durften auch die italienischen Katholiken an demokratischen Wahlen teilnehmen, Papst Pius IX. hatte ihnen dies verboten. Dass auch der künftige Ministerpräsident einen guten Draht zur Kirche hat, ist bekannt. Gentiloni ist ein gemäßigter Katholik, der vor allem als Referent der Stadt Rom für das Heilige Jahr 2000 Bande in den Vatikan knüpfte. Als Student schloss sich der Adelige der außerparlamentarischen Linken an und engagierte sich später in der…