Gentiloni löffelt die Minestrone aus

Weser-Kurier, 13.12.2016 - Der designierte italienische Ministerpräsident hat eine undankbare Aufgabe. Er muss die schweren Fehler seiner Vorgänger beheben.

Außenminister Paolo Gentiloni ist gewiss keine schlechte Wahl als neuer italienischer Ministerpräsident. Der 62-jährige konservative Sozialdemokrat gilt als maßvoll, diplomatisch und seriös, also als jemand, der ein Land in schwieriger Lage mit der nötigen Weitsicht und dem erforderlichen Verantwortungsbewusstsein führen kann. Hürden gibt es zuhauf. Gentiloni muss einen schwierigen Kompromiss für ein neues Wahlrecht finden und vorher möglicherweise die Verstaatlichung der Krisenbank Monte dei Paschi einleiten. Auf der Baustelle würde man sagen: Er muss die Drecksarbeit machen.

Diesen Aufgaben waren bisherige Regierungen entweder nicht gewachsen oder sie ließen die Lösung der Probleme absichtlich schleifen. Der bisherige Umgang mit der toskanischen Krisenbank Monte dei Paschi aus Siena war verantwortungslos. Bis zum Jahresende muss der Bank eine Kapitalerhöhung in Höhe von fünf Milliarden Euro gelingen, wenn sie nicht pleite gehen und andere Großbanken mit in die Krise ziehen soll. Mehrere Regierungen vor Gentiloni drückten sich um die unangenehme, aber möglicherweise unvermeidliche Aufgabe der teilweisen Verstaatlichung der Bank. Nach den neuen EU-Richtlinien werden die Gläubiger im Falle der drohenden Insolvenz beteiligt. Monte dei Paschi hat fünf Millionen Kunden, die kein Regierungschef zum Feind haben möchte. Der neue Ministerpräsident kann sich schon jetzt auf den Unmut der Bankkunden gefasst machen.

Die zweite große Altlast, der Gentiloni ausgeliefert sein wird, ist die Reform des Wahlrechts. An ihrer Unfähigkeit, die demokratischen Spielregeln gemeinsam zu gestalten, zeigt sich seit Jahren die ganze Begrenztheit der italienischen Politik. 2005 verabschiedete die Regierung von Silvio Berlusconi ein Wahlgesetz, das der Initiator selbst als „Schweinerei“ bezeichnete, weil es darauf gemünzt war, der Linken das Regieren unmöglich zu machen. In einem parlamentarischen Kraftakt gelang Ministerpräsident Matteo Renzi 2015 die Reform des Wahlrechts. Renzi wurde für diesen Erfolg gefeiert, er beging dabei aber mehrere Fehler.

Zum ersten unterschätzte er die Stärke der aufstrebenden 5-Sterne-Bewegung um den Komiker Beppe Grillo. Das neue, auf zwei politische Blöcke zugeschnittene Wahlrecht sieht eine Stichwahl vor, die die EU-Skeptiker nach aktuellen Umfragen gewinnen würden. Renzi traf zudem die dramatische Fehlentscheidung, das Referendum über die Verfassungsreform abhalten zu lassen und es auch noch mit seinem politischen Schicksal zu verknüpfen. Jetzt ist der GAU eingetreten. Die Verfassungsreform fiel durch, das neue Wahlgesetz war nur für den Fall der Bestätigung der Reform konzipiert. Für Abgeordnetenhaus und Senat gelten nun grundverschiedene Wahlgesetze, die das Regieren unmöglich machen würden. Aus dieser Zwickmühle wird vermutlich nur ein extremes Verhältniswahlrecht herausführen, das Italien schon früher übel mitgespielt hat. Viele, auch kleine Parteien schlossen sich dabei zu Wahlkoalitionen zusammen, um an der Regierung ihr erpresserisches Potential zu nutzten oder rasch wieder eigene Wege zu gehen und die Exekutive zu stürzen. Auch deshalb ist die Regierung Gentiloni die 64. seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Man darf sich keine Illusionen über die Bedeutung der Berufung des 62-jährigen Römers durch Staatspräsident Sergio Mattarella machen. Gentiloni wird nur wenige Monate im Amt sein, er muss das Land bis zu den nächsten Wahlen steuern. Neuwahlen finden höchstwahrscheinlich nicht erst zum regulären Ablauf der Legislaturperiode im Februar 2018 statt, sondern bereits früher. Das ist nach dem Rücktritt von Premier Matteo Renzi in Folge seiner Niederlage beim Verfassungsreferendum der Wunsch der meisten Parteien.

Aber vor allem ist es auch Renzis Wunsch. Der 41-Jährige hat sich mit dem Referendum grandios verkalkuliert und war gezwungen, seinen für die Niederlage angekündigten Rücktritt auch wahrzumachen. Sonst wäre er gänzlich unglaubwürdig geworden. Doch Renzi ist noch nicht am Ende. Der Noch-Premier bleibt Parteichef des Partito Democratico (PD), der stärksten Partei im Parlament, er war der Regisseur der Nominierung Gentilonis. Sobald das neue Wahlgesetz steht, will Renzi Revanche. Er ist überzeugt, einen guten Teil der Italiener nach wie vor hinter sich zu haben. Für diesen Plan braucht der Noch-Ministerpräsident einen Nachfolger, der seinen Ambitionen nicht im Weg steht, sondern nach getaner Arbeit wieder in das zweite Glied zurück tritt. Renzi fällt diese Haltung sichtbar schwer. Paolo Gentiloni ist für solche pflichtbewusste Zurückhaltung bekannt.

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