Auch ich habe ein Pseudonym in dieser Stadt. Wenn ich mal wieder nach meinem für Italiener unaussprechlichen Namen gefragt werde, dann verwandle ich mich in Giulio Miuller. Miuller wie der Joghurt, sage ich dann. Die meisten Römer erwarten von einem Deutschen nicht so viel Witz, weshalb mir anschließend viele Türen offen stehen. Ob es Johann Philipp Möller damals ähnlich ging? Als solcher stellte sich einst bekanntlich Johann Wolfgang von Goethe vor, als er vor ziemlich genau 230 Jahren in Rom unterwegs war. Der Name Möller diente Goethe allerdings weniger als Türöffner, im Gegenteil. Der weit über Deutschland hinaus bekannte Dichter wollte sich auf diese Weise vor allem vor aufdringlichen Landsleuten schützen. Es ist inzwischen 200 Jahre her, dass der erste Band seiner „Italienischen Reise“ erschien. Entstanden sind die für die Italiensehnsucht der Deutschen so wesentlichen Aufzeichnungen bereits dreißig Jahre früher. Schon vor seiner Ankunft konnte es Goethe kaum erwarten, Italien, aber eigentlich in erster Linie Rom zu betreten. „Ja, ich bin endlich in der Hauptstadt der Welt angelangt“, hält er am Tag seiner Ankunft, am ersten November 1786 fest. Ich glaube, ich hatte bei
meiner Ankunft ein ähnliches Gefühl, wie überhaupt die Stadt Rom ihre Bewohner dazu verleitet, die Realität aus einem verzerrten Blickwinkel wahrzunehmen. Nicht nur führen ja angeblich alle Wege hierher, die Stadt nimmt im Jahr auch etwa 15 Millionen Touristen auf, die alle kommen, um Jahrtausende alte Bauwerke einer untergegangenen, aber zweifellos großen Zivilisation zu bewundern. Die Römer sind sehr stolz auf diese Tatsache. Manche behaupten, dieses auf Ruinen errichtete und eine ungesunde Maßlosigkeit fördernde Selbstbewusstsein sei zum Beispiel der Grund dafür, dass die Stadt es einfach nicht fertig bringt, ihre vor zehn Jahren begonnene dritte U-Bahn-Linie fertigzustellen. Goethe kam als Bildungsbürger nach Rom, als es diese Kategorie noch gar nicht gab. „Befleißigen will ich mich der großen Gegenstände, lernen und mich ausbilden, ehe ich vierzig Jahre alt werde“, schreibt er über seinen Plan, wie er die Stadt für sich zu erobern gedenkt. Ich werde auch…