Es gibt Sonntage, da finden in der Serie A eher gewöhnliche Fußballspiele statt, aber das Gebrüll auf den Straßen von Rom ist dennoch unverhältnismäßig groß. Am vergangenen Wochenende war das etwa der Fall. Am dritten Spieltag traf der AS Rom auf Sampdoria Genua, eigentlich kein Spiel, vor dem die Anhänger schlaflose Nächte zubringen. Als die Partie abgepfiffen wurde, schien es sogar in unaufgeregten Vierteln der Stadt, als habe die heimische Mannschaft mindestens den FC Barcelona in einem epochalen Match besiegt. Dabei lag alles nur an ihm, Francesco Totti.
Totti wird in zwei Wochen 40 Jahre alt. Im Stadio Olimpico hatte er am Sonntag mal wieder einen seiner ganz großen Auftritte. Er, der alternde Kapitän des AS Rom, den Zwölfjährige in der Hauptstadt genauso verehren wie Greise. Zur Untermalung der Unglaublichkeit des Augenblicks listete das römische Lokalblatt Il Messaggero am Dienstag die Historie der schweren Verletzungen des 1976 geborenen Stürmers auf, der nach dieser Diagnose eigentlich seit Jahren im Ruhestand sein müsste: „Zwei schwere Knieverletzungen, ein Stück Eisen seit zehn Jahren im linken Bein, elf Schrauben im linken Knöchel, Bandscheibenleiden, chronische Schmerzen in den Oberschenkeln“. Mit anderen Worten, ein physisches Wrack.
Stattdessen schleppt sich dieses lebendige Denkmal mit übernatürlich wirkender Leichtigkeit Woche für Woche von einer Heldentat zur anderen. Wäre Totti kein Fußballer, sondern Priester, hätte der Vatikan längst ausreichend viele Argumente für eine sofortige Heiligsprechung. Stattdessen erreicht die profane Totti-Verehrung in Rom ungekannte Dimensionen, die etwa in der medialen Aufmerksamkeit gemessen werden kann. Der Corriere dello Sportwidmete dem bekanntesten Fußballer der Stadt auch am Dienstag noch neun Seiten. Was war passiert? Am Sonntag lag der AS Rom zur Halbzeit gegen Genua mit 1:2 zurück. Nach einer 80-minütigen, von einem schweren Unwetter verursachten Spielpause, wechselte Trainer Luciano Spalletti zu Beginn der zweiten Halbzeit Totti ein. Und es wurde Licht.
Totti verwandelte in der 93. Spielminute nicht nur den entscheidenden Foulelfmeter zum 3:2-Endstand für den AS Rom, sein 249. Treffer in der Serie A. Der Kapitän hatte zuvor auch noch die glänzende Vorlage zu Edin Dzekos 2:2-Ausgleich gegeben und drei weitere Torchancen vorbereitet. „Tottifabelhaft“, schrieb der Corriere della Sera am Tag darauf über die mitreißende Vorstellung. 24 Stunden später war der Tenor schon etwas besorgter: „Wird sich der AS Rom jemals abnabeln von Totti?“, fragte der Corriere dello Sport am Dienstag verunsichert. Denn die allwöchentliche Rettung durch die größte römische Identifikations- und Kultfigur der Gegenwart mutet beinahe schon wie ein gewiss fatal endender Klassiker an. Was soll aus der Roma eines Tages ohne Totti werden?
Der alte Star hat zwar seit bald einem Jahr keinen Platz mehr in der Startelf des AS Rom. Trainer Spalletti und die Club-Verantwortlichen sind sich einig, dass der Kapitän nach 602 Spielen in der Serie A nicht mehr 90 Minuten durchspielen, sondern seinen Tribut in der Schlussphase der Partien geben kann. Da liegt der derzeitige Tabellendritte nicht selten zurück, muss alles nach vorne werfen, kraftraubende Sprints zurück an den eigenen Strafraum verlangt in diesen Momenten keiner mehr von Totti. Dass die Mannschaft zum Ende der vergangenen Saison noch den dritten Platz der Serie A erreichte und in den Playoffs zur Qualifikation für die Champions League antreten durfte, war vor allem dem bald 40-Jährigen zu verdanken. Dort scheiterte der AS Rom dann am FC Porto, natürlich ohne Totti.
Eigentlich sollte die vergangene Spielzeit nach knapp 25 Jahren die letzte Saison Tottis beim AS Rom sein, der Vertrag lief aus. Nach einigen Querelen mit Trainer, Management, aber auch mehreren entscheidenden Treffern und Vorlagen erhielt der Kapitän eine weitere Verlängerung um ein Jahr. Jetzt fragt er sich selbst, ob es das gewesen sein wird: „Wenn ich so gut drauf bin, wenn mein Kopf weiter so gut funktioniert, warum soll ich ans Aufhören denken?“, sagte der Protagonist. Bekanntlich haben sie in Rom in vielerlei Hinsicht einen guten Draht zur Ewigkeit. Wie man den wichtigsten Kicker der Stadt unter Missachtung der gnadenlosen Gesetze der Biologie weiterhin in so glänzender Form hält, wäre noch zu zeigen.