Man kann nicht behaupten, dass der Lago d'Iseo in diesen Tagen seine übliche, familiäre Besinnlichkeit verströmt. Der See liegt ja eigentlich im gemütlichen Schatten zwischen Gardasee und Comer See in Norditalien, wo sich entweder Massen süddeutscher Touristen oder der internationale Jet-Set im Windschatten von George Clooney niederlassen. In diesen Tagen aber hat der Iseo-See der Konkurrenz den Rang abgelaufen, weil der bulgarische Künstler Christo 220 000 Plastik-Schwimmwürfel mit orangenem Stoff überziehen lassen hat, auf denen man nun auf insgesamt drei Kilometern über das Wasser laufen kann. „Floating Piers“ nennen sich die ebenso bewunderten wie nicht ganz unumstrittenen Stege, die den Lago d'Iseo für drei Wochen lang in ein fröhliches, aber offenbar teilweise grenzwertiges Delirium versetzt haben. Als der 81 Jahre alte Christo jüngst eine Pressekonferenz zu seinem wundersamen Werk gab, da wurde er auf einmal ganz fürsorglich. Christo wies auf seine rote Nase und empfahl den Besuchern dringend, die Sonnencreme nicht zu vergessen. Der orangefarbene Stoff reflektiere das Licht extrem, er habe das bereits am eigenen Leib
erfahren. Da es sich dem Vernehmen nach bei einer Großzahl der Besucher um hellhäutige Gäste aus dem germanischen Norden handelt, sollte man den Ratschlag des Künstlers wohl nicht unterschätzen. Auf der Facebook-Seite der Veranstalter wurde der Aufruf am Mittwoch sogar erweitert: „Heute ist der bisher heißeste Tag. Tragt einen Hut, bringt einen Schirm und Wasser mit!“ Ältere Menschen und Kinder sollten sich erst nach Sonnenuntergang auf die Stege begeben. Es klang nach Abenteuer. Ein Gefühl der Anspannung bestätigen auch die Veranstalter des noch bis zum 3. Juli andauernden Großereignisses. Hier und da wirken sie sogar überfordert angesichts des unerwarteten Massenansturms in den ersten Tagen. Etwa 55 000 Besucher pro Tag, also bisher knapp 300 000 Menschen sollen sich auf den Pontons getummelt haben, mit zweifellos chaotischen Folgen für die sonst in Geruhsamkeit schwelgende Gegend. Die Veranstalter rechneten mit etwa halb so viel Zuspruch. Die Lokalpresse berichtet von einem seit der Eröffnung am vergangenen…