Die Gabe der katholischen Kirche zur großen Inszenierung blitzt sogar bei Pressekonferenzen im Vatikan auf. Der Lichtkegel im Saal fällt auf das überdimensionale päpstliche Wappen mit Krone und Schlüsseln. Die mausgraue Wand im Hintergrund wirkt plötzlich samten und erhaben. Dann steht Christoph Schönborn da, groß und nicht zu übersehen, Kardinal, Erzbischof von Wien und der Mann der Stunde im Vatikan. Es ist kein Zufall, dass hier alles auf ihn zuläuft, dass er in der Mitte zu sitzen kommt, das Wappen des Papstes genau über seinem Haupt. Die Weltpresse ist zur Vorstellung des päpstlichen Schreibens Amoris Laetitia versammelt. Der Pressesprecher seiner Heiligkeit ist auf die Bühne getreten, hinter ihm der Generalsekretär der Bischofssynode, dann noch ein Bischof mit fahlem Gesicht und zwei brave Eheleute. Als Letzter hat der Kardinal die Bühne betreten, im vollen Ornat. Alle Augen richten sich auf ihn. "Buongiorno", sagt er leise und nickt den ungeduldigen Gesichtern im Plenum zu. Wie die Orgelpfeifen sammeln sich die Herrschaften links und rechts um Schönborn, den mild lächelnden Erzbischof von Wien. Eigentlich hat er gar kein offizielles Mandat, um das bahnbrechende
Dokument von Papst Franziskus zu Ehe, Familie und Sexualität vorzustellen. Aber die Leute im Presseamt haben gewusst, dass sie keinen geeigneteren Mann für diesen Anlass finden konnten. Der Österreicher steht im Zentrum, er ist der Kern dieser Veranstaltung, unübersehbar selbst dann, als er sitzt. Die Kette seines Brustkreuzes wird die Journalisten zwei Stunden lang anglitzern. Und seit Franziskus am Abend des 13. März 2013 vom Konklave zum Papst gewählt wurde, erscheint auch Schönborn vielen in einem ganz neuen Licht. Nach seinem Vortrag werden die Spindoktoren von Franziskus im Plenum Beifall klatschen, aber auch eigentlich zur Nüchternheit verpflichtete Agenturjournalisten. Herkunft aus zerrütteten Verhältnissen "Bellissimo", wunderschön, sei dieser Text, sagt der Kardinal mehrmals über Amoris Laetitia, und man glaubt ihm diese Begeisterung aufs Wort. Hat der Papst die Lehre der Kirche im Hinblick auf Ehe und Sexualität verändert? "Das sehe ich nicht", sagt Schönborn. "Aber gewiss gibt…