ZEIT Online, 17.4.2016 Wiens Erzbischof Christoph Schönborn ist der Kardinal der Stunde in der katholischen Kirche. Tritt er das Erbe von Franziskus an?

Die Gabe der katholischen Kirche zur großen Inszenierung blitzt sogar bei Pressekonferenzen im Vatikan auf. Der Lichtkegel im Saal fällt auf das überdimensionale päpstliche Wappen mit Krone und Schlüsseln. Die mausgraue Wand im Hintergrund wirkt plötzlich samten und erhaben. Dann steht Christoph Schönborn da, groß und nicht zu übersehen, Kardinal, Erzbischof von Wien und der Mann der Stunde im Vatikan. Es ist kein Zufall, dass hier alles auf ihn zuläuft, dass er in der Mitte zu sitzen kommt, das Wappen des Papstes genau über seinem Haupt. Die Weltpresse ist zur Vorstellung des päpstlichen Schreibens Amoris Laetitia versammelt. Der Pressesprecher seiner Heiligkeit ist auf die Bühne getreten, hinter ihm der Generalsekretär der Bischofssynode, dann noch ein Bischof mit fahlem Gesicht und zwei brave Eheleute. Als Letzter hat der Kardinal die Bühne betreten, im vollen Ornat. Alle Augen richten sich auf ihn. "Buongiorno", sagt er leise und nickt den ungeduldigen Gesichtern im Plenum zu. Wie die Orgelpfeifen sammeln sich die Herrschaften links und rechts um Schönborn, den mild lächelnden Erzbischof von Wien. Eigentlich hat er gar kein offizielles Mandat, um das bahnbrechende

Dokument von Papst Franziskus zu Ehe, Familie und Sexualität vorzustellen. Aber die Leute im Presseamt haben gewusst, dass sie keinen geeigneteren Mann für diesen Anlass finden konnten. Der Österreicher steht im Zentrum, er ist der Kern dieser Veranstaltung, unübersehbar selbst dann, als er sitzt. Die Kette seines Brustkreuzes wird die Journalisten zwei Stunden lang anglitzern. Und seit Franziskus am Abend des 13. März 2013 vom Konklave zum Papst gewählt wurde, erscheint auch Schönborn vielen in einem ganz neuen Licht. Nach seinem Vortrag werden die Spindoktoren von Franziskus im Plenum Beifall klatschen, aber auch eigentlich zur Nüchternheit verpflichtete Agenturjournalisten. Herkunft aus zerrütteten Verhältnissen "Bellissimo", wunderschön, sei dieser Text, sagt der Kardinal mehrmals über Amoris Laetitia, und man glaubt ihm diese Begeisterung aufs Wort. Hat der Papst die Lehre der Kirche im Hinblick auf Ehe und Sexualität verändert? "Das sehe ich nicht", sagt Schönborn. "Aber gewiss gibt…

ZEIT Online, 8.4.2016 Papst Franziskus schlägt beim Thema Sex ein neues Kapitel für die katholische Kirche auf. Dem konservativen Flügel ist sein Schreiben Amoris Laetitia ein Dorn im Auge.

Drei Jahre lang hat es gedauert, bis der Papst sein Machtwort zum Thema Ehe und Sexualität vorgelegt hat. Das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie ist ein lehramtlicher, 300 Seiten langer Text, der vordergründig wenig konkret ist und in dieser Beliebigkeit Enttäuschungen hervorrufen wird. Keine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, die aber auch nicht ausgeschlossen wird. Die Frage, die die Grundfesten der katholischen Morallehre trifft, war unter den Bischöfen auf den beiden Synoden der vergangenen Jahre die umstrittenste. Schon gar nicht skizziert der Papst eine Willkommenskultur für Homosexuelle in der Kirche, sondern wiederholt nur bequem das, was der Katechismus zum Thema Homosexualität zu sagen hat. Doch Amoris Laetitia hat es in sich – und das nicht nur wegen der Absätze zu Sexualerziehung, zu "sicherem Sex" oder zu den fast schon erfrischenden Passagen zur Erotik in der Ehe. Es gibt Priester in Rom, die behaupten, sich erstmals nicht mehr zu schämen, wenn der Chef auf dem Stuhl Petri beim Thema Sexualität in die Details geht. Hat sich die katholische Kirche unter Franziskus entkrampft? Nein, aber der Papst

schlägt beim Thema Sex ein neues Kapitel auf. Das Schreiben ist der vorläufige Schlusspunkt eines drei Jahre dauernden Prozesses, in dem sich die katholische Kirche mit Franziskus mühsam auf die Menschen zuzubewegen versucht. Zuerst machte der Papst die Kluft zwischen Lehre und Wirklichkeit mit einer Umfrage unter den Gläubigen in der ganzen Welt sichtbar. Anschließend ließ Franziskus die Bischöfe auf zwei Synoden zum Thema diskutieren, dann forderten die überforderten Hirten ein definitives Wort vom Papst, das dieser nie liefern wollte. Vielfalt statt Einheit Auch im nachsynodalen Schreiben legt sich Franziskus nicht fest. Stattdessen öffnet er seiner Kirche bisher nicht dagewesene Räume. Wenn der Papst feststellt, dass nicht jede Diskussion über die Doktrin einer lehramtlichen Klärung bedarf, bedeutet das eine nur schwer wieder rückgängig zu machende Wende in der Haltung Roms. Galt dem Vatikan bislang die Einheit von Lehre und Seelsorge als höchstes Gut, so hat Franziskus nun…

Augsburger Allgemeine, 25.4.2016 Das Dorf der Filmhelden Don Camillo und Peppone ist von der Mafia unterwandert. Die italienische Regierung ergriff nun eine drastische Maßnahme.

Auf dem schönen Dorfplatz von Brescello ist die Welt noch in Ordnung. Vor der weißen Kirche hebt Don Camillo die Hand zum Gruß, vor dem Rathaus schwenkt Peppone den Hut. Der schlitzohrige Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister, deren Bronzestatuen den Ort in der Emilia-Romagna schmücken, haben tausende Leser und Fernsehzuschauer beglückt. Giovannino Guareschi prägte mit seinen Erzählungen das Bild Italiens in der Nachkriegszeit. Damals kreiste das Leben um Kirche und Arbeit. Heute kommt man selbst in Brescello an der Mafia nicht vorbei. Die italienische Regierung hat nun den Gemeinderat von Brescello aufgelöst. Das nördlich der Stadt Parma gelegene Dorf, in dem sechs „Camillo und Peppone“-Filme gedreht wurden, ist von der ‘Ndrangheta unterwandert – der aus Kalabrien stammenden Mafia. Erfahrungsgemäß sind die Zustände erschreckend, wenn die Exekutive zu so einer drastischen Maßnahme greift. Seit 1991 war dies bei weit über 200 Kommunen in Italien notwendig, vor allem in den südlichen Regionen Kalabrien, Sizilien und Kampanien. In den vergangenen Jahren wurden zudem Gemeinderäte in Ligurien, im Piemont und der Lombardei aufgelöst. Und jetzt eben auch

in Brescello. Illegale Geschäfte in Norditalien Mit der 5600-Einwohner-Gemeinde hat es erstmals eine Kommune in der produktiven Emilia-Romagna getroffen. Damit ist nicht nur das italienische Dorf-Idyll aus den Filmen zerstört. Die Auflösung des Gemeinderats von Brescello und seine demnächst beginnende, 18 Monate dauernde Verwaltung durch drei Kommissare ist ein Weckruf: Selbst im scheinbar intakten italienischen Norden ist längst Misstrauen angebracht. Die Mafia hat auch da ihre Hände im Spiel, wo man sie nicht vermutete. Gleichwohl ist bekannt, dass die ‘Ndrangheta seit Jahrzehnten illegale Geschäfte in der Emilia-Romagna macht. In Brescello sind zahlreiche Mitglieder des Clans Grande Aracri ansässig, unter anderem der wegen Mafia-Zugehörigkeit verurteilte Boss Francesco Grande Aracri. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Operation „Aemilia“ und ein derzeit in der Provinzhauptstadt Reggio Emilia laufender Mega-Prozess gegen 147 Angeklagte werfen ein Schlaglicht auf die Verhältnisse. Neu hingegen scheint die systematische Verquickung der Lokalpolitik, also der heutigen Peppones zu…