Um zu verstehen, was diesen Mann antreibt, muss man mit ihm eine Zeitreise zurück in die Siebzigerjahre machen. Robert Sarah hat gerade sein Theologiestudium in Jerusalem beendet, als er zum Pfarrer einer Kleinstadt an der Atlantikküste seines afrikanischen Heimatlandes Guinea ernannt wird. Rom und der Vatikan sind eine Ewigkeit entfernt. Sarah ist noch nicht einmal 30 Jahre alt. Mit einem Koffer auf dem Kopf, in dem die Utensilien zum Feiern der Messe stecken, wandert er zu Fuß durch das Land. Christen sind in Guinea eine Minderheit, das kommunistische Regime hat den katholischen Erzbischof in ein Lager gesteckt. Zwischen Atheisten und Muslimen, verfolgt von den Schergen des Regimes, verkündet Sarah die Wahrheit.
An diesem Sonntag beginnt im Vatikan die ordentliche Bischofssynode zum Thema Familie. Wieder einmal geht es um Wahrheit, wie eigentlich immer im Leben von Robert Sarah. Auch diesmal steht viel auf dem Spiel, vielleicht sogar die Richtung, in die sich die gesamte katholische Kirche bewegt. Der 70 Jahre alte Sarah ist längst zum einflussreichen Kardinal aufgestiegen, seit 2001 wirkt er an der Kurie, im vergangenen Jahr ernannte ihn Franziskus zum Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst.
Aber Sarahs Haltung ist immer noch die des barfuß durch die afrikanische Diaspora stakenden Missionars. Alle Sätze, die nun so aufsehenerregend klingen, erklären sich aus dieser Erfahrung. Sarah sagt: »Ich bin sicher, dass das Rot meiner Kardinalswürde tatsächlich der Widerschein des Blutes vom Leiden der Missionare ist, die bis ans Ende Afrikas kamen, um in meinem Dorf das Evangelium zu verkünden.«
Blut und Wahrheit, das sind im Leben dieses Geistlichen entscheidende Parameter, mit denen man in Westeuropa heutzutage Schwierigkeiten hat. Robert Sarah entstammt dem Eingeborenenvolk der Coniagui, das im Niemandsland an der Grenze zum Senegal lebte. Seine Eltern wurden zum katholischen Glauben bekehrt und tauften ihren einzigen Sohn. Der geriet in jungen Jahren mehrmals in Lebensgefahr, weil er Christ ist. Mit 34 Jahren wurde er zum jüngsten katholischen Bischof überhaupt geweiht.
Dieser gebildete Mann kämpft gegen Widerstände aller Art. Zum Beispiel gegen aus seiner Sicht völlig abwegige Ideen. Die Debatte, wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zuzulassen, gehört dazu oder der Streit um den Umgang mit Homosexuellen.
Für Sarah sind diese Sorgen angesichts in der ganzen Welt verfolgter Christen nicht nur vernachlässigenswert, sondern Ausdruck eines fehlgeleiteten Glaubens. In seinem jüngst auch auf Deutsch erschienenen Interview-Band »Gott oder Nichts« (Fe-Medienverlag) bezeichnet er diese heiß diskutierten Fragen als »eine Obsession gewisser abendländischer Kirchen«, als »Häresie« und »gefährliche Schizophrenie«. In seinem Buch hat Sarah zudem den konservativen Leitsatz für die bevorstehende Bischofssynode formuliert. Er lautet: »Ich möchte feierlich erklären, dass sich die afrikanische Kirche jeder Rebellion gegen die Lehre Jesu und des Lehramts entschlossen widersetzen wird.«
Während Sarah bei manchen Geistlichen als gnadenloser Scharfmacher gilt, hat er mit seinem Buch doch auch einen vor allem im Vatikan und unter konservativen Katholiken offenliegenden Nerv getroffen. Seine Radikalität beruhigt diejenigen, die fürchten, dass die Kirche gerade dabei ist, ihre Seele an den Teufel zu verlieren. Exorzisten hält der Kardinal übrigens für notwendiger denn je.
Es ist verlockend, in Sarah einen Gegenspieler zu Papst Franziskus zu erkennen, dem Papst, der ganz offensichtlich den Charakter der Kirche verändern will. In ihrer Zivilisationskritik, der Anklage gegen die Ausbeutung der Armen, der Rückkehr zur Radikalität des Glaubens und der Verachtung einer sogenannten Gender-Ideologie sind sich die beiden aber durchaus einig. Auch vom Teufel sprechen sie beide. Während der mild erscheinende Pastor Franziskus aber den moralischen Zeigefinger für immer in der Asservatenkammer verstauen will, hält ihn der kompromisslose Missionar Sarah für so notwendig wie nie zuvor. Auch deshalb ist der Kurienkardinal aus Guinea Hoffnungsträger der konservativen Bischöfe bei der Synode. Nicht polternd und schroff wie der umstrittene deutsche Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Sondern stoisch und von beinahe vornehmer Erscheinung. Ein Mann, der Sätze mit dem Seziermesser formuliert.
Es ist noch sehr warm in Rom. Sarah zelebriert den Jubiläumsgottesdienst einer Priesterbruderschaft am Stadtrand. Sein Haupt ist die gesamte Messe über demütig geneigt, er spricht leise. Alles, was aus seinem Mund dringt, ist in einen sanften französischen Akzent getaucht. Mit derselben Zurückhaltung mischt sich der Kardinal anschließend unter die Leute. »Ein wunderbarer Mann«, haucht eine Ordensschwester verliebt in den römischen Abendhimmel. Dann reicht ihm ein junger Priester ein Exemplar seines jüngst erschienenen Buchs. Ob Eminenz wohl eine Widmung schreiben könnte? Eine Ewigkeit lang kritzelt der Kardinal auf das Papier. Heraus kommt ein einziger Satz, über den der Adressat sanft und erfüllt mit seinen Fingern streicht. Wenn es um Wahrheit und Mission geht, das wird an diesem Abend klar, nimmt sich Sarah alle Zeit der Welt.
Für die selbst ernannten Bewahrer der Doktrin ist das eine gute Nachricht. Schließlich ist ihr bisheriger Paladin, der US-amerikanische Kardinal Raymond Leo Burke, diesmal nicht mit von der Partie. Franziskus hat seinen lautstärksten Kritiker abserviert, der sich mit anderen Verteidigern der Lehre aber vor der Synode bei einer Konferenz in Rom Gehör verschaffen will. Auch Sarah tritt kurz vor dem Bischofstreffen auf einem Kongress auf, der »Kardinäle sowie Männer und Frauen mit homosexuellen Tendenzen vereint«, wie die Veranstalter werben. Mit einer Vereinigung ist allerdings vor allem insofern zu rechnen, als Sarah dort seine in »Gott oder Nichts« ausgeführten Aversionen gegen jede Art von Willkommenskultur gegenüber Homosexuellen in der Kirche wiederholen dürfte. Im Buch prangert er die »Propaganda« der »LGBT-Lobbys« an und erkennt in diesem Zusammenhang gar die »Brandzeichen des Teufels«.
Schon im Jahr 2009, als Synoden noch etwas für ein überschaubares Fachpublikum waren, fiel Sarah bei einem Bischofstreffen durch schneidende Formulierungen auf. »Afrika muss sich vor der Ansteckung durch den intellektuellen Zynismus des Westens schützen«, warnte er. Mit dieser Haltung und seiner Kritik an der Ausbeutung des Kontinents durch den Westen wurde Sarah zu einer der Führungsfiguren der katholischen Kirche in Afrika, die schon bei der Synode im vergangenen Herbst eine herausgehobene Rolle spielte. Fragen wie Homosexualität oder eine Aufweichung der katholischen Ehelehre sind für die überwiegende Mehrheit der afrikanischen Katholiken und erst recht für ihre Bischöfe ein Tabu. Weil die Zahl der Katholiken in Afrika im vergangenen Jahrhundert von etwa zwei Millionen Gläubigen auf 200 Millionen hochschnellte, versteht sich die Kirche des Kontinents als dynamischer Wegweiser.
Diese Haltung führte bei der Synode 2014 zu Komplikationen, als der von Franziskus geschätzte und auch für das bevorstehende Treffen nominierte deutsche Kardinal Walter Kasper in einem Statement am Rande des Petersplatzes locker formulierte, jede Teilkirche habe ihre eigenen Probleme. Er mische sich nicht in die Probleme der afrikanischen Kirche ein, aber die Afrikaner sollten auch nicht zu sehr sagen, was Katholiken andernorts tun sollten. Die Empörung war groß, Kasper dementierte seine eigentlich harmlosen Worte, obwohl sie bis heute für alle deutlich hörbar auf dem Tonband eines Journalisten aufgezeichnet und veröffentlicht sind.
Sarah sieht die Sache ganz anders. Nicht die Teilkirchen dürfen ihre eigenen Vorstellungen in die Praxis umsetzen, sondern Rom, der Vatikan, das Evangelium gäben exklusiv die Richtung vor. Was zwischen beiden Polen bleibt, ist das Dilemma, um das die katholische Kirche so heftig wie lange nicht mehr ringt: Gilt die selbst beanspruchte, einzige Wahrheit universell, oder können einzelne Bischofskonferenzen diese Wahrheit im Hinblick auf die eigene Wirklichkeit auslegen und die extrem verschiedenen sozialen Bedingungen auf der Welt berücksichtigen? »Ich setze mein Vertrauen auf die Treue von Franziskus«, sagt Sarah sehr vorsichtig in »Gott oder Nichts«. Das Buch ist unter konservativen Kirchenfreunden längst eine Art Manifest.
Die afrikanischen Bischöfe, da sind sich die Beobachter einig, werden gehört werden bei der Synode. Von den rund 250 stimmberechtigten Teilnehmern stammt etwa ein Fünftel allein aus Afrika. Jeder Vorschlag der Synodenväter an Franziskus, der Eingang in das Schlussdokument finden soll, bedarf offiziell einer Zweidrittelmehrheit. Wer diese Mehrheit in strittigen Fragen blockieren will, etwa die Mehrheit der Bischöfe aus den USA, aus Polen oder die meisten Kurienchefs, muss sich mit den Afrikanern einigen. Drei Wochen lang wird vor allem in Kleingruppen diskutiert. Die strittigen Themen sind erst in der letzten Woche dran. Am Ende, das ist der eigentlich beunruhigende Faktor für die Verteidiger der Doktrin, entscheidet Franziskus im Alleingang. Der Papst kann sich an die Empfehlungen der Bischöfe halten, muss das aber nicht tun. Immerhin wäre Franziskus dann aber aus Sicht seiner Gegner entlarvt, wie schon nach seinem jüngsten Motuproprio zur Vereinfachung der Eheannullierungsverfahren. Der bislang folgenreichste Akt dieses Pontifikats kommt für die Kritiker des Papstes der katholischen Scheidung gleich.
Im traditionalistischen Milieu wird nun debattiert, ob sich einige Kardinäle in Verteidigung der katholischen Ehelehre bei der Synode gegen den umstrittenen Gesetzeserlass auflehnen und öffentlich seine Aufhebung fordern sollen. Das Gesetz trete schließlich erst am 8. Dezember in Kraft. Sarah hat sich in diesen Fragen bisher nicht exponiert. Er stellte nur fest: »Niemand, selbst der Papst nicht, kann die Lehre Christi zerstören oder verändern. Niemand, selbst der Papst nicht, kann die Seelsorge der Doktrin entgegensetzen.« Diese Drohungen wirken wie Balsam auf die geschundenen Seelen der Traditionalisten. Längst haben sie einen Kandidaten ausgemacht, der die locker gewordenen Leinen der katholischen Doktrin wieder festzurren könnte, im nächsten Pontifikat. Sein Name ist Robert Sarah.