ZEIT online, 7.10.2015 Gibt es eine liberale Verschwörung? Bischöfe, die sich mehr Einfluss der Ortskirchen wünschten, trafen sich in den 1990er-Jahren regelmäßig in der Schweiz. Bei der Familiensynode könnten sich ihre Pläne endlich erfüllen.

Die Kontroverse bei der Familiensynode im Vatikan hat eine idyllische Vorgeschichte. Auf halbem Weg zwischen Ulm und Konstanz liegt das malerische Zisterzienserkloster Heiligkreuztal. In den ersten Januartagen des Jahres 1996 versammelten sich hier sieben bedeutende Vertreter der katholischen Kirche. Sie waren unzufrieden mit dem Kurs der Kirche. Eingeladen hatte der damalige Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper. Organisiert wurde das Treffen, das anschließend über zehn Jahre hinweg Anfang Januar in der nordöstlichen Schweiz stattfand, von Ivo Fürer. Der damalige Bischof von Sankt Gallen war zugleich Sekretär des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). Fürer wollte ein informelles Forum schaffen, in dem sich gleichgesinnte katholische Vordenker frei über ihre Vorstellung von Kirche austauschen konnten. Sie ahnten zwar noch nichts davon, aber diese Männer bereiteten den Boden für das Pontifikat von Jorge Mario Bergoglio. Und sie nahmen die Grundfragen der aktuellen Bischofssynode vorweg. Zum ersten Treffen in Heiligkreuztal kam neben Fürer und Kasper auch der damalige Erzbischof von Mailand, Carlo Maria Kardinal Martini. Der streitbare Jesuit wurde zum spirituellen Vater der Tafelrunde, außerdem waren der niederländische

Bischof von Helsinki, Paul Verschuren, dabei, Bischof Jean Vilnet aus Lille, der Bischof von Graz-Seckau, Johann Weber, sowie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, Bischof von Mainz. »Wir redeten damals wie Freunde untereinander«, erzählt der heute 85 Jahre alte Fürer. »Jeder konnte frei sagen, was er denkt. Wir hatten kein Protokoll und keine Tagesordnung.« Die Themen der vertraulichen Gespräche lagen auf der Hand. Papst Johannes Paul II. war stets auf Reisen und überließ die Kirchenführung weitgehend Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano sowie dem Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger. Die autoritäre und zentralistische Kirchenführung wurde aus der Sicht der reformorientierten Prälaten vom Duo Ratzinger-Sodano personifiziert. Was Fürer, Martini, Kasper, Lehmann und die anderen forderten, war eine Gemeinschaft, die den Ortskirchen mehr Freiheit lässt, echte Kollegialität ermöglicht und den als arrogant und maßregelnd empfundenen römischen Zentralismus in die Schranken weist. Um diesen Dualismus dreht sich auch die Kernfrage der Familiensynode:…

Christ&Welt/Die ZEIT 1.10.2015 Am Sonntag beginnt die Bischofssynode zum Thema Familie. Es geht nicht nur um die Ehe, es geht ums Ganze. Kardinal Robert Sarah aus Guinea hat sich an die Spitze der Konservativen gesetzt. Den europäischen Reformern wirft er »Neokolonialismus« vor. Was treibt ihn an?

Um zu verstehen, was diesen Mann antreibt, muss man mit ihm eine Zeitreise zurück in die Siebzigerjahre machen. Robert Sarah hat gerade sein Theologiestudium in Jerusalem beendet, als er zum Pfarrer einer Kleinstadt an der Atlantikküste seines afrikanischen Heimatlandes Guinea ernannt wird. Rom und der Vatikan sind eine Ewigkeit entfernt. Sarah ist noch nicht einmal 30 Jahre alt. Mit einem Koffer auf dem Kopf, in dem die Utensilien zum Feiern der Messe stecken, wandert er zu Fuß durch das Land. Christen sind in Guinea eine Minderheit, das kommunistische Regime hat den katholischen Erzbischof in ein Lager gesteckt. Zwischen Atheisten und Muslimen, verfolgt von den Schergen des Regimes, verkündet Sarah die Wahrheit. An diesem Sonntag beginnt im Vatikan die ordentliche Bischofssynode zum Thema Familie. Wieder einmal geht es um Wahrheit, wie eigentlich immer im Leben von Robert Sarah. Auch diesmal steht viel auf dem Spiel, vielleicht sogar die Richtung, in die sich die gesamte katholische Kirche bewegt. Der 70 Jahre alte Sarah ist längst zum

einflussreichen Kardinal aufgestiegen, seit 2001 wirkt er an der Kurie, im vergangenen Jahr ernannte ihn Franziskus zum Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst. Aber Sarahs Haltung ist immer noch die des barfuß durch die afrikanische Diaspora stakenden Missionars. Alle Sätze, die nun so aufsehenerregend klingen, erklären sich aus dieser Erfahrung. Sarah sagt: »Ich bin sicher, dass das Rot meiner Kardinalswürde tatsächlich der Widerschein des Blutes vom Leiden der Missionare ist, die bis ans Ende Afrikas kamen, um in meinem Dorf das Evangelium zu verkünden.« Blut und Wahrheit, das sind im Leben dieses Geistlichen entscheidende Parameter, mit denen man in Westeuropa heutzutage Schwierigkeiten hat. Robert Sarah entstammt dem Eingeborenenvolk der Coniagui, das im Niemandsland an der Grenze zum Senegal lebte. Seine Eltern wurden zum katholischen Glauben bekehrt und tauften ihren einzigen Sohn. Der geriet in jungen Jahren mehrmals in Lebensgefahr, weil er Christ ist. Mit 34 Jahren wurde er zum jüngsten katholischen Bischof überhaupt geweiht. Dieser gebildete…