Wirtschaftswoche, 17.9. 2015 Jedes Jahr veröffentlicht die Regierung in Rom ein Register nicht vollendeter Bauwerke. Ein Einblick in den Schlund, in dem öffentliche Gelder in Italien verschwinden. 

Friedlich liegt das Städtchen Sciacca an der Südküste Siziliens. Wie weiße Schachteln stapeln sich die Häuser der Altstadt über dem Fischer-Hafen. Johann Wolfgang von Goethe und Federico Fellini schwärmten von diesem Idyll. Auch auf heutigen Postkarten sieht es so aus, als könnte man es gut aushalten in dem 40 000-Seelen-Nest. Warum also nicht einen Anziehungspunkt für die ganze Welt schaffen, in diesem Paradies auf Erden?  So dachten es sich Anfang der 70er Jahre eine Handvoll Politiker und Funktionäre unter der Führung des damaligen sizilianischen Assessors Calogero Mannino. Noch heute hat der 76-Jährige einen klingenden Namen in Italien, weil er Statthalter der italienischen Christdemokraten auf Sizilien war und mehrfach Minister wurde. Inzwischen ist Mannino wegen eines angeblich in den 90er Jahren geschlossenen geheimen Pakts zwischen Mafia und italienischem Staat angeklagt. Jahre zuvor wirbelte er für die Unsterblichkeit seines Heimatortes.  Mannino ersann ein Milliardenprojekt, dessen Folgen noch heute unübersehbar sind. Elf Hotels sollten auf dem Gemeindegebiet entstehen, dazu ein Aquarium. Und dann war da noch die Idee, ein Theater mit 1000 Plätzen zu schaffen, das in einem Zug mit den Opernhäusern in den europäischen Metropolen genannt werden sollte. Im Teatro Popolare von Sciacca, das sich wie eine Mischung aus Beton-Ufo und Atom-Meiler in die sizilianische Erde gefräst hat, spielte neulich sogar das

Symphonieorchester Siziliens. Mannino, den sie zuhause nur Lillo nennen, saß in der ersten Reihe. Nach dem Konzert sperrte das Theater wieder zu.  "Öko-Monster" an einem sizilianischen Strand Seit drei Jahren veröffentlicht das italienische Infrastruktur-Ministerium eine Liste der unvollendeten, leerstehenden und öffentlich finanzierten Gebäude. In der jüngsten Version des Katalogs sind 649 über das italienische Territorium verteilte, sündteure, aber nie fertig gestellte Objekte aufgelistet, darunter Straßen, Brücken, Altenheime, Sporthallen, Schwimmbäder und Bahnhöfe. Allein die 35 in der Zuständigkeit des Ministeriums liegenden Objekte haben bisher 1,2 Milliarden Euro verschlungen, 511 Millionen Euro fehlten zur Vervollständigung. Doch bei vielen Werken hat die Vollendung gar keinen Sinn. Weil auch der Abriss zu teuer ist, verunstalten sie bis auf Weiteres die Landschaft. Register der Bausünden Das Bausünden-Register ist der Inbegriff italienischen Planungsversagens und ein Indiz für die tiefgreifenden finanziellen Schwierigkeiten des mit über 2200 Milliarden Euro verschuldeten Staates. Der zuständige Minister…