Ein Mann fürs Grobe

Tageswoche, 2.8.2015 Rom, sagen manche, ist heute gefährlicher als Palermo. Der sizilianische Anti-Mafia-Staatsanwalt Alfonso Sabella soll deshalb die von Korruption und Verbrechen zersetzte italienische Hauptstadt auf Vordermann bringen. Eine unmögliche Aufgabe?

Mit Pistole aufs Kapitol: Ex-Staatsanwalt Alfonso Sabella (Foto: Max Intrisano)

Mit Pistole aufs Kapitol: Ex-Staatsanwalt Alfonso Sabella (Foto: Max Intrisano)

Man weiß nicht, ob das nun ein beruhigendes oder ein beunruhigendes Zeichen ist, dass im römischen Kapitol jetzt auch Waffen zum Alltag gehören. Alfonso Sabella wurde neulich dabei ertappt, wie er mit wehendem Jackett und einer Pistole im Gurt in sein Büro eilte. „Wenn ich das Gefühl habe, heute ist kein guter Tag, dann nehme ich meine Waffe mit“, sagt der sizilianische Ex-Staatsanwalt. Auch darüber kann man streiten: Was hat es zu bedeuten, dass in der Verwaltung der italienischen Hauptstadt inzwischen Mafia-Jäger unabdinglich sind?

Seit Dezember 2014 ist Sabella Assesor für Legalität der Stadt Rom. Er sitzt in seinem Büro im Palast der Senatoren und raucht Kette. Neben der Zigarettenschachtel liegt eine Maxi-Packung mit Kopfwehtabletten. Es ist drückend heiß in der Stadt und Sabellas Aufgabe herkulisch. Der 52-Jährige soll die korrupte und insgesamt 50 000 Mitarbeiter umfassende Verwaltung der Stadt Rom zu einer nach rechtsstaatlichen Maßstäben funktionierenden Verwaltung umbauen. Davon kann heute nicht die Rede sein. „Die Verwaltung Roms ist seit Jahrzehnten von Korruption geprägt“, sagt Sabella.

Von seiner Vergangenheit als Antimafia-Staatsanwalt zeugen zehn an die Wand genagelte Ehrenplaketten. Unter anderem bedankt sich hier die Antimafia-Einheit von Palermo für die Zusammenarbeit. Über Hundert Mafiosi hat Sabella als Staatsanwalt gejagt und einsperren lassen, darunter Bosse wie Giovanni Brusca und Leoluca Bagarella. Jetzt soll der Sizilianer die Hauptstadt säubern, sie hat es nötig. Die Mafia, sagen Leute, die sich mit der Materie auskennen, sei heute in Rom mehr zu fürchten als in Palermo.

Aufräumen auf dem römischen Kapitol (Foto: Max Intrisano)

Das römischen Kapitol, Sitz der „seit Jahrzehnten von Korruption geprägten“ Stadtverwaltung. (Foto: Max Intrisano)

Der Anruf von Bürgermeister Ignazio Marino kam nicht zufällig kurz vor Weihnachten. In Rom war Tage zuvor ein Mafia-Netzwerk aufgeflogen, bei dem die Fäden der Organisierten Kriminalität in der Stadt zusammen liefen und das Unternehmer, Funktionäre der Verwaltung und Politiker auf seiner Gehaltsliste hatte. „Mafia Capitale“, wie die Staatsanwaltschaft das römische Netzwerk bezeichnete, bestätigte, was viele längst ahnten. Die öffentliche Verwaltung und weite Teile des Geschäftslebens der Hauptstadt sind von Korruption und Verbrechen zersetzt. Das eine war die Arbeit der Justiz, die bis heute zu knapp 80 Verhaftungen geführt hat. Aber ebenso wichtig ist es, die Stadtverwaltung von innen her zu säubern.

Eigentlich dürfte es mein Amt gar nicht geben“, sagt der Assessor für Legalität. „Das ist ja etwa so wie ein Assessorat für gute Manieren.“ Aber an diesen Manieren fehlt es seit Jahrzehnten in Rom.

Der Unterschied zu früher ist, dass die Folgen der Misswirtschaft inzwischen mit bloßem Auge zu sehen sind. Das reicht von verschmutzten Parks und vermüllten Straßenzügen über den katastrophalen Zustand des öffentlichen Nahverkehrs mit verrottetenden Bussen und zu wilden U-Bahn-Streiks bis zum nicht funktionierenden Service in Behörden. Die Stadt, die nun entdecken musste, in den Händen eines Verbrecher-Syndikats zu sein, die aber die Olympischen Spiele 2024 und ab Dezember das vom Papst ausgerufene „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ ausrichten will, steht vor dem Kollaps.

Viele Römer behaupten trotzdem weiterhin, ihre Stadt sei die schönste der Welt. In Paolo Sorrentinos Oscar-gekröntem Rom-Film „La grande bellezza“ ist die Dekadenz in der Hauptstadt die spürbare Schattenseite ihrer Schönheit. Rom im Jahr 2015, das ist ein am Boden liegender, kranker, aber an manchen Stellen immer noch zauberhaft anzusehender Körper, der zunächst wiederbelebt und dann geheilt werden muss. Alfonso Sabella ist so etwas wie der Internist. Bürgermeister Marino, ein aus Genua stammender Chirurg und Spezialist für Lebentransplantationen, wirkt oft überfordert von seiner Aufgabe, der Stadt ein neues Herz zu implantieren.

Dafür soll Sabella sorgen. Der Sizilianer möge die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen unterstützen, die Vetternwirtschaft vieler Verwaltungsmitarbeiter aufdecken, öffentliche Ausschreibungs- und Vergabeverfahren kontrollieren und neue Regeln für die Verwaltung entwerfen, bat ihn Marino. Manchmal ermittelt der Assessor auch noch selbst. „Neulich sind mir zum Beispiel Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe zu einem Sommerfestival aufgefallen“, sagt Sabella und strahlt. Da habe er die Stadtpolizei hingeschickt und den Vorgang an die Staatsanwaltschaft weiter geleitet. Auf der Homepage der Stadt sind nun alle aktuellen Auftragsverfahren für jeden abrufbar und transparent. Verwaltungsmitarbeiter können per Intranet verdächtige Vorgänge anzeigen. Sabella ließ bereits über 50 irreguläre Vergabeverfahren stoppen und stopft Schlupflöcher. „Wir haben das Krebsgeschwür eingedämmt“, sagt Sabella. Seine für ganz Italien maßgebliche Wette lautet nun, ob es möglich ist, die Korruption maßgeblich zu verringen und der Stadt als Vorbild für das gesamte Land zu neuer Blüte zu verhelfen.

Von „Metastasen im Gewebe der Stadt“ spricht auch Carlo Bonini, ein gebürtiger Römer. Bonini ist investigativer Journalist, er schreibt für La Repubblica. Aber vor allem hat er zusammen mit Giancarlo De Cataldo einen Roman verfasst, der in atemberaubender Weise die Wirklichkeit in Rom vorweggenommen hat. In Suburra, das 2013 erschien, beschreibt Bonini einen aus der rechtsradikalen Szene stammenden Boss namens „Samurai“, den „König von Rom“, der die Mafiaorganisationen der Hauptstadt koordiniert.

Samurai“ besitzt ein japanisches Katana-Schwert, er koordiniert sein kriminelles Netzwerk von einer Tankstelle aus. Als die Carabinieri am 3. Dezember 2014 Massimo Carminati in seinem Smart auf einem Feldweg nahe der Hauptstadt festnehmen, verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit. Carminati, der einäugige Boss, der sein linkes Auge bei einer Schießerei mit der Polizei verlor, hat eine Vergangenheit in der neofaschistischen Terrororganisation Nucleo armati revolutionari (Nar) und besitzt ein japanisches Kampfschwert. Seine Besprechungen hält er entweder an einer Tankstelle im Norden der Stadt oder in einer eleganten Bar ab. Bei ihm laufen alle Fäden der Kriminalität in Rom zusammen.

Eni-Tankstelle am Corso Francia: Mafia-Boss Massimo Carminati hielt auf der Sitzbank im Hintergrund seine Besprechungen ab. Foto: Max Intrisano

Eni-Tankstelle am Corso Francia: Mafia-Boss Massimo Carminati hielt auf der Sitzbank im Hintergrund seine Besprechungen ab. Foto: Max Intrisano

Carminati ist der Garant einer pax mafiosa, eines Mafia-Friedens in der Stadt“, sagt Bonini. Seit Jahren sind die illegalen Aktivitäten etwa der kalabrischen ‚Ndrangheta in Rom bekannt. Sie wäscht in Restaurants und Bars, von denen einige wie das berühmte Café de Paris in der Via Veneto konfisziert wurden, oder mit Hilfe von Glücksspiel-Automaten durch den Drogenhandel verdientes Geld. Auch der seit den 80er Jahren in Rom ansässige und im Kokainhandel aktive Camorra-Boss Michele Senese ist mit Carminati in Kontakt, ebenso wie die Chefs des mächtigen Sinti-Clans der Casamonica in Ost-Rom oder die Mafia-Familien in der Hafenstadt Ostia. Mit den Abkömmlingen des sizilianischen Cosa-Nostra-Clans der Santapaola aus Catania gilt dasselbe Regime. Die alles überragende Bezugsfigur, mit der Strategien, Interessen und die Aufteilung des Territoriums besprochen wird, ist Carminati. Er Cecato, den Einäugigen nennen sie ihn.

In seiner Anhörung vor der Antimafia-Kommission des Parlaments in Rom berichtet der Chefermittler Giuseppe Pignatone von einer „neuartigen und originalen“ Mafia-Struktur in Rom, die nicht mit dem herkömmlichen Mafia-Bild aus Süditalien zu vergleichen sei. „Mafia Capitale ist in gewisser Hinsicht ein Spiegel der römischen Gesellschaft“, behauptet Pignatone. Da trifft es sich, dass die Verbrecher öffentliche Orte für ihre Besprechungen wählen. Zum Beispiel den Außenbereich der Bar Vigna Stelluti im bürgerlichen Norden der Stadt.

An einem heißen Sommertag sitzt an den Plastiktischen im Außenbereich die wohlhabende römische Gesellschaft. Zwei ältere Herren plaudern bei einem Glas Eistee über Steuern. Junge Mädchen kichern über ihre Smartphones gebeugt und schlecken an ihrem Eis. Blondierte Signoras mit gefüllten Lippen kommen vorbei. Immer wieder tauchen kahl rasierte Männer mit Sonnenbrillen, Polo-Hemden und Turnschuhen auf, Carminati-Stil. Unweit der Bar ist mit schwarzer Farbe ein Hakenkreuz auf die Hauswand gesprüht. „Zona Nera“, steht darunter, schwarze Zone. Schwarz die Farbe der Faschisten. Die Ermittler wussten um den Treffpunkt und verminten die Bar mit Wanzen und Kameras. So kamen sie der Hauptstadt-Mafia auf die Schliche.

Hundert Meter weiter am Corso Francia liegt die Tankstelle der Firma Eni, die bis vor kurzem von einem Freund Carminatis geführt wurde. Auch er sitzt jetzt in Haft. Motorino-Fahrer betanken hier ihre Gefährte, Tankwarte gehen den Kunden zur Hand, in der Hitze riecht es nach Abgasen und Benzin. Vor dem Kassenhaus steht eine Holzbank, daneben ein Mülleimer. Hier, an diesem Ort städtischer Normalität, saß der „Einäugige“ und empfing Gesprächspartner, um Probleme zu lösen. Die Themen: Drogenhandel, einzutreibende Schulden, Waffentransporte oder Schmiergelder. Die römische Mafia, so sagt ein Ermittler, vermeidet gewaltsame Auseinandersetzungen auf offener Straße oder Schutzgeldforderungen wie im Süden. „Sie hat verstanden, dass es viel einfacher ist, sich den Staat zu kaufen.“

Als der ehemalige Neofaschist Gianni Alemanno im Jahr 2008 zum Bürgermeister gewählt wird, reiben sich die alten Kameraden die Hände. Alemanno, gegen den ebenfalls wegen Bildung einer mafiösen Vereinigung ermittelt wird, besetzt wichtige Ämter, darunter die Vorstände der Verkehrsbetriebe und des städtischen Müllkonsortiums mit Ex-Faschisten. Das politische Netzwerk aus den 70er Jahren wird zur Basis eines kriminellen Geschäftsmodells. „Wenn du die Kuh melken willst, musst du sie füttern“, sagt Carminatis Kompagnon Salvatore Buzzi, auch er in Haft.

Treffpunkt der Bosse: Im Aussenbereich der Bar Vigna Stelluti besprachen sich Carminati und Co. (Foto: Max Intrisano)

Treffpunkt der Bosse: Im Aussenbereich der Bar Vigna Stelluti besprachen sich Carminati und Co. (Foto: Max Intrisano)

Über die Parteigrenzen hinweg schmiert die Hauptstadt-Mafia über Jahre hinweg Politiker und Funktionäre, die teilweise Monatsgehälter für ihre Dienste erhalten. Haupteinnahmequelle sind öffentliche Ausschreibungen, die dank des korrupten Systems an die von Carminati kontrollierten Firmen und Kooperativen gehen. Die Mafia deckt das gesamte Spektrum öffentlicher Investitionen ab: Immobilien, Müllentsorgung, Pflege der Grünanlagen, Flüchtlingsunterbringung. „Mit Flüchtlingen lässt sich mehr Geld verdienen als mit Drogen“, sagt Buzzi in einem abgehörten Telefonat. Als Alemanno 2013 abgewählt wird, ändet sich wenig. Viele Funktionäre bleiben auf ihren Posten und auch linke Politiker sind illegalen Nebenverdiensten nicht abgeneigt.

Die Römer hätten guten Grund zur Empörung. Kaum etwas funktioniert in der Stadt, Steuergelder werden durch Korruption und ein kriminelles Netzwerk verprasst. Aber die Römer halten still. Nichts kann sie aus der Ruhe bringen. Es kommt weder zu Krawallen noch zu Demonstrationen, nichts. „Mit Resignation und Zynismus hat diese Stadt seit Jahrhunderten jede Art von Fremdherrschaft ertragen“, sagt Carlo Bonini. „Auch deswegen trägt Rom den Beinamen der Ewigen Stadt. Sie erträgt Höhen und Tiefen gleichgültig wie immer.“

Den Römern war die Legalität schon immer scheißegal“, tönt auch Alfonso Sabella. Wenige Tage nach dem Gespräch in seinem Büro erleidet der Assesor für Legalität einen Schwächeanfall, Sanitäter tragen ihn in seinem hellblauen Hemd auf einer Krankenbahre aus dem Kapitol. Sabella braucht einen Herzschrittmacher. Der Internist wird zum Patienten. Bürgermeister Marino hat erste Hilfe geleistet, nachdem der Sizilianer in einer Besprechung mit Gewerkschaftsvertretern auf seinem Stuhl zusammen sackte. „Keine Sorge, die Verbrecher brauchen nicht mit Champagner anzustoßen!“, scherzt Sabella im Krankenhaus mit dem Bürgermeister. Er werde bald zurück kommen.

In sein Büro im Kapitol, mit Blick auf das Forum Romanum. Drei Mitarbeiter warten dort auf ihn, davon zwei Sekretärinnen. Vier weitere säßen noch in einem anderen Büro, sagt Sabella. Zu sehen sind sie nirgends. Es ist kaum vorstellbar, dass der geschwächte Mafia-Jäger mit einem Team von vielleicht acht Leuten eine korrupte Stadtverwaltung aus 50 000 Mitarbeitern heilen kann.

Normalerweise stirbt man, wenn man alleine ist oder in ein zu großes Spiel geraten ist.“ Dieser Satz stammt von Sabellas Vorbild, Staatsanwalt Giovanni Falcone, der 1992 bei Palermo von der Mafia in die Luft gesprengt worden war. Sabella hat den Satz neulich auf seinem Twitter-Profil veröffentlicht und hinzugefügt, er und seine Leute in Rom seien längst in einem zu großen Spiel. Was er damit sagen wolle? „Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, stören diejenigen, die bisher in Ruhe ihre Geschäfte machen konnten.“ Bedroht wie der Bürgermeister, der schon drei Morddrohungen erhalten hat, fühle er sich nicht. „Sie drohen denen, die sie für schwach halten, nicht denen, die stark wirken“, sagt Sabella. Die würden direkt aus dem Weg geräumt.

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