Cicero, 23.2.2013 Pier Luigi Bersani will italienischer Ministerpräsident werden

La Casta ist der liebste Feind der Italiener. Die Kaste der Politiker, deren Vertreter sich seit Jahrzehnten im politischen Betrieb tummeln, rangiert nach unzähligen Skandalen in der Beliebtheitsskala mutmaßlich noch hinter Leichenbestattern und Steuerfahndern. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nach den Parlamentswahlen am 24. und 25. Februar ausgerechnet ein Vertreter dieser verhassten Spezies der nächste italienische Regierungschef wird. Sein Name: Pier Luigi Bersani. Bersani ist Chef der Partito Democratico (PD), Italiens großer Mitte-links-Partei. Er ist seit mehr als 30 Jahren Berufspolitiker und damit unzweifelhaft ein Vertreter des politisch-bürokratischen Apparats. Was die Anhänger der PD nicht davon abhielt, sich bei der Urwahl im vergangenen Dezember zwischen dem 61 Jahre alten Apparatschik und dem 37 Jahre alten, dynamischen Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, mit 60 Prozent für Bersani als Spitzenkandidaten zu entscheiden. Die jüngsten Umfragen geben ihnen jedenfalls recht: Ihr Mitte-Links-Bündnis kommt derzeit auf bis zu 40 Prozent, Berlusconis Popolo della Libertà auf 17 Prozent und Mario Montis Drei-Parteien-Bündnis auf lediglich 12 Prozent. Das deutliche Votum für Bersani sagt einiges aus über Italien und noch mehr über den

Spitzenkandidaten selbst: Das Bedürfnis der Italiener nach unverbrauchtem Personal ist offenbar weniger groß, als es scheint. Vor allem aber vertrauen die meisten in den Untiefen der italienischen Politik lieber einem erfahrenen Steuermann als unbekannten Matrosen. Kenner der Institutionen Im parteiinternen Wettbewerb punktete Bersani vor allem als vertrauenswürdiger Kenner der Institutionen. Er war Anfang der neunziger Jahre Präsident seiner Heimatregion Emilia-Romagna, später ein eher unauffälliger Abgeordneter im EU-Parlament sowie dreimal Minister, unter anderem für Industrie und wirtschaftliche Entwicklung im Kabinett von Romano Prodi. Bersani gilt als Wirtschaftsfachmann und brachte als Minister die ersten Liberalisierungen in Italien auf den Weg. Ausgerechnet er, der als junger Mann mit der linksradikalen „Avantgarde der Arbeiter“ sympathisierte und Mitglied der Kommunistischen Partei war. In seinem Heimatort Bettola, einer christdemokratischen Enklave der traditionell linken Emilia-Romagna, nannten sie ihn deshalb „das rote Schaf“. Nach dem Philosophiestudium in Bologna und einer Magisterarbeit über Papst Gregor den Großen versuchte sich der…