Ein Heer von Fliegen surrt durch die stickige Luft. Aus den geborstenen Rohren plätschert Wasser. Ein junger Mann wringt ein T-Shirt über dem gelblich gewordenen Waschbecken aus. In der einzigen Toilette, die Hunderte Menschen gemeinsam benutzen, riecht es streng nach Urin.
Palazzo Salaam, Palast des Friedens, oder Hotel Africa nennen die Bewohner diesen Klotz am südlichen Stadtrand Roms. Palast der Schande wurde er auch getauft, dieser Name trifft die Verhältnisse schon eher. Etwa 800 Männer, Frauen und Kinder, allesamt Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisengebieten am Horn von Afrika haben hier Zuflucht gefunden, eingepfercht zwischen dem Lärm der nahen Stadtautobahn und dem Trubel eines Einkaufszentrums.
Alle sind sie aus Ländern wie Sudan, Somalia, Eritrea oder Äthiopien geflohen. In Hoffnung auf Frieden. Gelandet sind sie in Verhältnissen, wie man sie keinem Menschen wünscht. „Das hier ist ein Hundeleben, aber eigentlich geht es den meisten Hunden besser als uns“, sagt Biraddin Abdalla. Er ist 28 Jahre alt und nach einer lebensgefährlichen Odyssee aus Darfur über Libyen und das Mittelmeer nach Italien gekommen.
Wolldecken sollen Privatsphäre schaffen
Einst wandelten Literaturstudenten auf den Gängen des Palazzos. Dann zog die Universität aus und die Flüchtlinge besetzten die acht Stockwerke des verlassenen Hochhauses. Vor sieben Jahren war das. Jetzt liegen hier überall Glasscherben, stinkender Müll, zerbrochene Fenster und Flaschen. Stromkabel sind aus den Wänden gerissen, die Matratzen aus Schaumgummi haben Löcher. Mit Gipswänden und von den Decken hängenden Wolldecken haben einige versucht, sich so etwas wie Privatsphäre zu schaffen. Viele, vor allem junge Männer, blicken teilnahmslos ins Nichts. Sie haben glasige Augen. Manche reagieren auf Fragen, als seien sie betäubt. Vor einigen Wochen, mitten in der Sommerhitze, wurde den Flüchtlingen das Wasser abgedreht, für drei Tage. „Wir sind aus Darfur geflohen, weil dort Krieg herrscht. Aber hier sind wir in einem kalten Krieg gelandet“, sagt Abdalla. Damit meint er die Zustände, in denen die meisten politischen Flüchtlinge in Italien leben. Abdalla gehört zu einem achtköpfigen Komitee, das die Ordnung im Palazzo mühsam aufrechtzuerhalten sucht.
Die Situation der politischen Flüchtlinge ist bekannt, auch in Deutschland. Gerichte in Freiburg, Karlsruhe, Augsburg, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Magdeburg und Lüneburg haben Abschiebungen nach Italien gestoppt. Zuletzt urteilte das Verwaltungsgericht Stuttgart Mitte Juli, dass eine palästinensische Familie nicht zurück nach Italien transportiert werden darf, weil ihr dort Obdachlosigkeit und Armut drohten.
Das sogenannte Dublin-II-Abkommen sieht vor, dass Flüchtlinge in dem Staat Schutz finden müssen, in dem sie erstmals europäisches Territorium betreten haben. Weil die meisten Flüchtlinge über das Mittelmeer auf den Kontinent gelangen, sind vor allem Griechenland und Italien von dieser Regelung betroffen – und offensichtlich überfordert.
Maximal sechs Monate finden Asylbewerber in den Aufnahmezentren, zum Beispiel auf der Insel Lampedusa vor Sizilien, aber auch auf dem Festland provisorischen Unterschlupf. Und dann? „Dann werden wir rausgeworfen, auf die Straße“, sagt Abdalla. Italien ist durchaus großzügig, wenn es um die Anerkennung des Flüchtlingsstatus geht. Doch ansonsten tut der Staat fast nichts für die Emigranten.
Das stellte auch der Menschenrechtskommissar des Europarates fest, als er vor Wochen zu einer Visite nach Rom kam und den Palazzo Salaam besichtigte. „Intolerabel“ nannte Nils Muižnieks die Zustände. „Selbst anerkannte Flüchtlinge werden gezwungen, unter erbärmlichen Umständen zu leben“, heißt es in seinem Bericht.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart schrieb in seinem Urteil von einer „unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung“, die Flüchtlingen in Italien drohe. Besetzte Häuser wie den Palazzo Salaam oder provisorische Lager gibt es mehrere in Rom, allein in der Hauptstadt sollen 6000 anerkannte politische Flüchtlinge leben. Zehnmal so viele Menschen wagten 2011 die Überfahrt aus Nordafrika über den Kanal von Sizilien. Wie jedes Jahr nehmen die Transporte im Sommer zu, weil die See dann ruhiger ist. Wenn die Flüchtlinge das italienische Festland erreichen, können sie nach der Schonfrist in den Erstaufnahme-Einrichtungen weder mit Arbeit, Sozialhilfe oder einer Unterkunft rechnen.
Kbrom Tesfamihert trägt ein weißes Unterhemd, er stammt aus Eritrea. Auch er kam mit einer der überfüllten Schaluppen übers Meer auf die Insel Lampedusa. Später zog der frühere Universitätsstudent von Italien in die Schweiz weiter und wurde dort inhaftiert, weil er keine Aufenthaltserlaubnis vorweisen konnte. Nach Wochen im Gefängnis schob man ihn nach Italien ab. „Ich will nach Bern ins Gefängnis zurück“, sagt er. Da hätte sein Tagesablauf zumindest einen Sinn gehabt. „Ich habe dort gearbeitet, mein Tag war geregelt.“
Tesfamihert hat in Rom einen Kurs belegt, in dem ihm ein Zertifikat zur Öffnung eines Restaurantbetriebes ausgestellt wurde. Wenn er zur Gemeindeverwaltung geht, schütteln die Beamten regelmäßig den Kopf. Seine Qualifikation hilft ihm nicht weiter. Also muss sich der 31-Jährige mit Gelegenheitsjobs durchschlagen und träumt vom Gefängnis in der Schweiz.
Sie werden „die Verrückten“ genannt
Die 800 Bewohner des Palazzo Salaam sind auf sich allein gestellt. Nur zweimal in der Woche kommt die Ärztin Donatella D’Angelo mit zwei bis drei Helfern der von ihr gegründeten Freiwilligenorganisation Cittadini del Mondo in das Hochhaus, um den Flüchtlingen bei medizinischen und bürokratischen Fragen zu helfen. D’Angelo und die Helfer werden hier geschätzt, sie sind die einzige Organisation, die den Flüchtlingen zu helfen versucht.
Etwa 300 Frauen und 50 Kinder – darunter auch Neugeborene – leben in den Ruinen, zusammen mit Männern, die jahrelang als Soldaten in den Bürgerkriegen ihrer Heimat kämpften. „I matti“, die Verrückten werden sie hier genannt, einige von ihnen leben auf Matrazen vor dem Gebäude. „Fast alle Männer hier waren Soldaten“, erzählt D’Angelo. Vor einiger Zeit sei eines der Kinder von einem der Ex-Soldaten in einen Kühlschrank gesperrt und gerade noch rechtzeitig entdeckt worden. Bei einem Streit wurde ein Mann lebensgefährlich mit einer Machete am Kopf verletzt.
Neben medizinischer und bürokratischer Hilfe bräuchten die meisten hier auch psychologische Unterstützung. Doch daran ist im Moment kaum zu denken. Palast des Friedens, Hotel Africa – die Namen führen in die Irre. In Wirklichkeit ist der Palazzo Salaam vor allem eine tickende Zeitbombe.