Es ist jetzt ein Jahr her, dass Fabio Pisacane ein Niemand war. Ein Niemand, dem im April 2011 der Sportdirektor seines früheren Vereins Ravenna Calcio 50 000 Euro anbot, wenn er mit dem AC Lumezzane, seinem damaligen Klub, absichtlich verlieren würde. Pisacane lehnte ab, zeigte Giorgio Buffone an und trug zur Aufdeckung des italienischen Wettskandals bei. Inzwischen kennt man den 26 Jahre alten Verteidiger im ganzen Land, auch auf den Plätzen der dritten Liga. Beim Auswärtsspiel in Pavia vor ein paar Wochen beschimpfte ihn ein gegnerischer Spieler von der Bank und rief: „Buscetta!“ Pisacane hatte Mühe, ruhig zu bleiben, aber er sagte nichts. Tommaso Buscetta war der bekannteste Kronzeuge der sizilianischen Mafia, ein Massenmörder, der später das System der Cosa Nostra auffliegen ließ.
Täglich gelangen neue Details über das faulige System des Calcio an die Öffentlichkeit. Andrea Masiello, der frühere Kapitän des AS Bari, hat zugegeben, in der vergangenen Saison im Spiel gegen US Lecce absichtlich ein Eigentor erzielt zu haben. Er und seine Komplizen sollen dafür 250 000 Euro von der Wettmafia bekommen haben. Wieder ist die Rede von Serie-A-Vereinen, die in Manipulationen verwickelt sind, neben Bari und Lecce auch der AC Cesena, Udinese Calcio, Chievo Verona, CFC Genua und US Palermo. Spieler wie Masiello, Paolo Gervasoni, Cristiano Doni sind als reuige Betrüger in den Schlagzeilen. Fabio Pisacane wurde bekannt, weil er eine Straftat angezeigt hat. „Das ist doch etwas ganz Normales“, sagt er. „Ich wundere mich, dass meine Anzeige so viel Aufregung verursacht hat.“
Die Aufregung kam allerdings mit Verspätung. Zunächst war alle Aufmerksamkeit auf Simone Farina gerichtet. Auch er ist ein Verteidiger, auch er hatte einen Bestechungsversuch angezeigt. Ein alter Bekannter aus der gemeinsamen Zeit in der Jugendmannschaft des AS Rom hatte ihm 250 000 Euro geboten, damit Farina dafür sorgt, dass sein Verein, der umbrische Zweitligaabsteiger AS Gubbio, im Pokalspiel gegen Cesena mit einer hohen Niederlage ausscheide. Während niemand von Pisacane sprach, der denselben Mut wie Farina bewiesen hatte, wurde der 29 Jahre alte Römer zu einem Symbol für Anstand im Sport.
Niemand kümmerte sich um Pisacane, während Farina wie eine Fackel in der Finsternis herumgereicht wurde, die alle in gutem Licht erscheinen ließ. Nationaltrainer Cesare Prandelli lobte Farina öffentlich und lud ihn zu einem Training mit der Nationalelf ein. Der Präsident des Internationalen Fußball-Verbandes (Fifa), Joseph Blatter, buhlte um Farinas Präsenz bei der Kür des Weltfußballers. Der Regionalkicker kam, stand verloren neben Lionel Messi auf der Bühne und murmelte verlegen ein paar Dankesworte.
Von Pisacane wusste niemand, bis sich der gebürtige Neapolitaner in einem Interview Luft machte. „Vielleicht hat es damit zu tun, dass mein Verhalten nicht zu den Stereotypen von Neapel passt“, sagte er. Von seiner Heimatstadt sei in den Zeitungen schließlich nur die Rede, „wenn es um die Camorra und geklaute Rolex-Uhren geht, und nie, wenn es etwas Positives zu berichten gibt“. Die Provokation zeigte Wirkung, auf Facebook wurde eine Gruppe gegründet, die auch für Pisacane eine Einladung in die Nationalelf forderte. Zu der kam es zwar nie, dafür durfte Pisacane bei der Gala der Spielergewerkschaft neben Farina auf die Bühne. Es gibt ein Foto von dem Abend, als die beiden im Scheinwerferlicht nebeneinanderstehen, silberne Luftschlangen zu ihren Füßen.
Das Leben der beiden unfreiwilligen Helden des Calcio hat sich verändert, jedes auf seine Weise. Die Kleinstadt Gubbio, die mal wegen ihrer Weihnachtskrippen, mal wegen des kommunistischen Bürgermeisters im Gespräch war, hat nun auch für Tifosi in Turin und Neapel einen Namen. Journalisten rufen in der „Pasticceria Italia“ an, in der Farina damals an einem September-Nachmittag im Jahr 2011 das unmoralische Angebot erhielt. Auch der Privatsender Sky kam schon zu TV-Aufnahmen. Simone Farina, der in der Bar jeden Morgen mit Cappuccino und Cornetto frühstückte, wird nicht mehr oft gesichtet.
Eigentlich sollte sein Name nie an die Öffentlichkeit gelangen, das hatte ihm die Staatsanwaltschaft zugesichert. Als schließlich doch ganz Italien von ihm erfuhr, sackte das geordnete Leben seiner Familie in sich zusammen. „Er hat um sein Leben gefürchtet“, verrät ein Bekannter. Die Einladungen zu den Galas, das Ehrenamt als Fifa-Botschafter, die Preisverleihungen, all dies nimmt Farina an. Auch weil die Abende und Aufgaben verhindern, dass er in Vergessenheit gerät. „Jetzt loben uns alle“, sagte seine Frau bei einer Preisverleihung im Januar. „Aber später? Wer schützt uns? Wir haben zwei kleine Kinder, und natürlich wissen wir, was passieren kann.“ Es heißt, die Polizei sei in regelmäßigem Kontakt mit der Familie.
Die Bekanntheit hat auch einen anderen Effekt. Fabio Pisacane profitiert von ihr. „Er war ein Niemand, jetzt wollen ihn alle“, sagt ein Vertrauter. Seit kurzem ist Pisacane Modell für eine Kleidermarke und posiert gut gelaunt im neuen Katalog. „Ich habe keine Angst mehr“, sagt er. Simone Farina macht einen weniger aufgeräumten Eindruck. Als „Antistar“ beschreibt ihn ein Kollege. Farina hat keinen Berater, das macht er lieber selbst zusammen mit seiner Frau. „Ich tue mich immer noch nicht leicht mit der Sache, es ist nicht einfach“, sagt er am Telefon. Sein Anwalt legt ihm nahe, das verabredete Interview abzusagen. Jedes Wort könnte eines zu viel sein. Wichtiger ist jetzt, den verlorenen Stammplatz in der Mannschaft zurückzuerobern. Und den alten Platz im Leben.