Eike, der Eroberer

Focus, 31.Mai 2024 - Der deutsche Feingeist und Museumschef Eike Schmidt will mithilfe der rechtspopulistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Bürgermeister von Florenz werden. Warum bloß?

Es ist früher Nachmittag auf der Piazza della Signoria im Zentrum von Florenz. Ein Aufpasser weist die hemmungslosen Touristen mit der Trillerpfeife zurecht. Verächtlich scheint Michelangelos David-Statue vor dem Rathaus das Treiben zu betrachten. Ein groß gewachsener grauhaariger Mann fällt auf im Trubel der T-Shirt- und Shorts-Träger, in seinem dunkelblauen Anzug samt Krawatte. Mit mächtigem Schritt kommt Eike Schmidt auf uns zu. Unverkennbar, dass sich da einer auf wichtiger Mission befindet.

Der 56-jährige gebürtige Breisgauer will Bürgermeister von Florenz werden, allein das schon ein Kuriosum. Schmidt, der mit einer Italienerin verheiratet ist und im vergangenen Jahr auch die italienische Staatsbürgerschaft angenommen hat, ist zudem ein Quereinsteiger. Als Kunsthistoriker leitete er bis Dezember die weltberühmte Gemäldegalerie der Uffizien und machte Schlagzeilen über die Stadtgrenzen hinaus.

Schmidt kandidiert bei der Wahl am 8. und 9. Juni mit einer eigenen Bürgerliste, er lässt sich aber von den drei Parteien der in Rom amtierenden Rechts-Koalition Giorgia Melonis unterstützen. Dabei ist Florenz eigentlich eine linke Hochburg, die seit Jahrzehnten von Postkommunisten und Sozialdemokraten regiert wurde. Jetzt tritt der deutsche Kunstmanager im Schlepptau einer Partei an, die aus der Tradition des italienischen Neofaschismus hervorgegangen ist. Auf Stadtbussen prangt sein Porträt neben dem Melonis, darunter das Emblem von deren Partei Fratelli d’Italia: die Flamme in den Nationalfarben Italiens, Symbol der neofaschistischen Vorgängerorganisation MSI.

Die erstaunliche Verbindung eines deutschstämmigen Kunsthistorikers mit der Rechtsaußen-Partei hat taktische Gründe. Denn Meloni und ihre Koalitionspartner von der nationalistischen Lega und der Berlusconi-Partei Forza Italia ahnen, dass der Außenseiter ihnen einen ungeheuerlichen Triumph bescheren könnte, vielleicht mit Folgen für das ganze Land. Und Schmidt, ein Kultur-Abenteurer, dem keine Herausforderung groß genug zu sein scheint, profitiert ebenfalls vom Pakt. Andere würden sich am Bungee-Seil von Brücken stürzen, aber das sei nichts für ihn, sagt er. „Ich habe immer Lust am Ungewöhnlichen gehabt.“

Hinab also in die Niederungen der italie- nischen Lokalpolitik. Florenz, das bedeutet nicht nur weltberühmte Museen, Renaissance-Paläste und Kirchen, sondern auch sechsspurige Ausfallstraßen, lärmende Touristenscharen, Banden-Kriminalität und horrende Mieten. Das treibt ihn um – und eben auch hinein ins Gewühl der Stadt in diesen entscheidenden Tagen vor der Wahl, zum Gespräch mit den Bürgern.

An der Piazza della Libertà, wo die neue Trambahn entsteht, haben sich seine Anhänger versammelt, erbost über die blinde Bauwut des sozialdemokratischen Amtsinhabers. Schmidt begrüßt frustrierte Arbeiter, schüttelt Passanten die Hände, sucht das Gespräch mit Ladenbesitzern. Mit seinen 1,90 Metern überragt er alle, beugt sich vor, hört zu, muntert auf, in exzellentem Italienisch. Der Kandidat verspricht eine Revision des Trambahnprojekts, mit Tunnel vielleicht, bedauert, dass Bäume gefällt wurden, geißelt die konfuse Verkehrspolitik.

Beim Publikum kommt das bestens an. „Schauen Sie nur, welch ein Desaster!“, ruft eine elegante ältere Dame und weist hinüber zur Baustelle. „Eike steht für Ordnung, Sicherheit und Würde. Dass er ein Deutscher ist, sehe ich positiv. Er wird uns Florentinern unsere Stadt zurückgeben!“

Dass Florenz mit seinen 365 000 Einwohnern nicht mehr in der Hand der Einheimischen ist, dieses Gefühl hat nicht wenige beschlichen angesichts des Ansturms aus aller Welt. Die Signora verweist auf Schmidts Arbeit als Leiter der Uffizien: „Er hat sich Ziele gesetzt und sie erreicht, alle haben ihn gelobt.“

Ordnungssinn im Verwaltungschaos

In den acht Jahren seiner Amtszeit verdoppelte Schmidt den Umsatz. 2023 kamen fünf Millionen Besucher, so viele wie noch nie. Der Deutsche, der seit Jahresbeginn Leiter des Capodimonte-Museums in Neapel ist, hatte mit Law-and-Order-Methoden Erfolg. So verscheuchte er mit von ihm persönlich aufgenommenen Lautsprecheransagen Taschendiebe und Händler, die überteuerte Schwarzmarkttickets vor den Uffizien feilboten. Die Stadt verhängte prompt ein Bußgeld, der Direktor habe illegale Werbung betrieben. Zudem engagierte Schmidt private Sicherheitsleute, die vor dem Museum patrouillierten. Der Bürgermeister fasste das als Affront auf.

So begann der Disput mit der Stadtregierung. „Schmidt hat sich von Beginn an in die Lokalpolitik eingemischt“, sagt Agnese Pini, Chefredakteurin der Lokalzeitung „La Nazione“. „Er spielte sich als eine Art Bürgermeister der historischen Altstadt auf. Das erregte Aufmerksamkeit.“ Statt eines grauen Uffizien-Verwalters hatte Florenz plötzlich einen unkonventionellen Kunstmanager, der Influencer ins Museum holte, Graffiti auf den Außenwänden sofort beseitigen ließ und keinem Konflikt aus dem Weg ging. Nicht nur im Rathaus machte er sich Feinde, auch in den Uffizien kamen seine Methoden nicht durchweg gut an. Schmidt sei ein Selbstdarsteller, der sich auf Kosten anderer profiliere und das Personal schlecht behandelt habe, klagten Mitarbeiter. Einen „ausgezeichneten Verkäufer von Lügen“ nennt ihn eine verbitterte Angestellte.

Schmidt selbst erzählt gerne, die Florentiner hätten ihn zum Ende seiner Amtszeit erst im Scherz, dann aber mit vollem Ernst auf der Straße aufgefordert, als Bürgermeister zu kandidieren. Der Kunsthis- toriker ist bekannt in der Stadt, sogar ein 15-Jähriger will ein Selfie mit ihm. Sein Wahlkampfteam setzt auf Schmidts internationale Anziehungskraft, auf sein nordisches Macher-Image. Für die Florentiner ist der Deutsche die Projektionsfläche einer alten Sehnsucht: der Rückkehr aus der komplizierten Gegenwart in eine glorreiche Vergangenheit. „Firenze magnifica“ lautet der Spruch auf den Wahlplakaten, prächtiges Florenz. Vielleicht müsste es besser heißen: Schmidt magnifico, Eike der Prächtige. Für den Wunschtraum einer modernen Renaissance scheint niemand besser geeignet zu sein als der hochgebildete Kulturmanager.

Die Macht der Sehnsucht

Keine Fantasie ist groß genug. Bei einem Termin im Stadtpark Le Cascine, in dessen Folge sich ein Dutzend älterer Damen aufgeregt um Fotos mit dem Kandidaten drängelt, entwirft der Freiburger die kühne Vision eines Central Parks für Florenz. In einer ersten Phase würde die Sicherheit wiederhergestellt, die Drogendealer verbannt, das Areal von Rangern gesichert. Dann sollen Sport, Kunst und Kultur Einzug halten. „Es wird Konzerte geben, wie in den Parks von New York oder London“, verspricht Schmidt. Schließlich würde die Grünanlage, ausgeweitet bis ins 30 Kilometer entfernte Empoli, zum „größten Park der Toskana“. Die auf diese Weise erschlossenen Medici-Villen im Umland trügen auch zur Entlastung der überlaufenen Innenstadt bei. Magnifico.

Die politische Konkurrenz macht sich lustig. „Schmidt kennt die Peripherien der Stadt so gut wie ich Lappland“, spottete Noch-Bürgermeister Dario Nardella. Haupt-Konkurrentin Sara Funaro von den Sozialdemokraten schimpft sichtbar hilflos: „Er ist der Kandidat der Neofaschisten und der Rassisten.“ Die Rechtsparteien sind jedoch nur ein Trittbrett für den im grünen Freiburg sozialisierten Schmidt, Sohn eines Arztes und einer Lehrerin. Er bezeichnet Liberalität und Ökologie als seine ideologischen Grundpfeiler und sich selbst als „antifaschistisch“ und „antirassistisch“. Die Linke weiß: Schmidt, den seine Anhänger nur „Eike“ oder leicht unterwürfig immer noch „Direttore“ nennen, ist schwer zu greifen, ein findiger Kultur-Populist. Zwar kommt er ein bisschen bieder daher, mit Anzug, Doppelkinn und Genießer-Bäuchlein. Aber ergreift er das Wort, ist sein Publikum gebannt.

Schmidt liebt das ironische Bonmot, seine tiefe Stimme ist durchdringend, über den deutschen Akzent sieht das Publikum wohlwollend hinweg, zumindest das konservative. „Ich werde Eike wählen“, sagt Antonio Godoli. Der 70-Jährige ist selbst eine Art Legende in den Uffizien. Als Architekt setzte er unter Schmidt den Umbau der Ausstellungsräume mit Meisterwerken von Michelangelo, Leonardo da Vinci und Botticelli um. „Ich habe immer links gewählt, aber ich habe das Amigo-System in der Stadt satt. Eike ist ein Erneuerer!“

Der Kandidat beteuert: „Florenz liegt mir wirklich am Herzen.“ Schmidt lebt hier seit neun Jahren mit seiner Frau, einer Kunsthistorikerin, er fühlt sich zu Hause. Sogar seine Familiengeschichte ist eng mit der Stadt verbunden. Seine Urgroßmutter mütterlicherseits war US-Amerikanerin, emigrierte mit ihrem deutschen Mann in den 1930er Jahren nach Florenz und kehrte erst nach Kriegsende zurück.

Man fragt sich manchmal, wie Schmidt und die Rechtsparteien es miteinander aushalten. Auf seiner Wahlliste kandidieren Abtrünnige der Sozialdemokraten ebenso wie Ex-Mitglieder der neofaschistischen Vereinigung „Casa Pound“. Schmidts nicht immer überzeugendes Mantra lautet: „Wir dürfen hier nicht über weltanschauliche Themen stolpern, sondern wollen auf lokaler Ebene die Stadt verbessern.“ Er selbst geht davon aus, einige radikale Wähler zu verlieren, aber dafür links zu punkten. „Auch erkennbare linke Leute, ältere Hippies, wollen mir die Hand schütteln.“

Nachdem der Kandidat den ganzen Tag Referate über Sicherheitsfragen, Verkehrspolitik und Rezepte gegen den Massentourismus gehalten hat, brillant kurze Exkurse in die Stadtgeschichte einstreuend, steht noch ein Abendessen bei den Gebirgsjägern an. Darauf ist Schmidt sichtlich nicht besonders erpicht, er würde lieber ins Fußballstadion gehen. Aber das ist jetzt seine Klientel. Er muss sie gewinnen, wenn er siegen will. Laut Umfragen liegt er bei rund 30 Prozent, Tendenz steigend. Sozialdemokratin Funaro kann mit 40 Prozent der Stimmen rechnen. In der Stichwahl, die für die Rechte in Florenz bereits ein riesiger Erfolg wäre, scheint dann alles möglich.

Und wenn es nicht klappt? „Im Fall einer Niederlage werde ich in meine Museumslaufbahn zurückkehren“, sagt Schmidt. Als Chef des Capodimonte-Museums in Neapel hat er sich für den Wahlkampf von Kulturminister Gennaro Sangiuliano beurlauben lassen, zum Unmut der Neapolitaner. Seine Kritiker sind sich sicher, Schmidt habe sich für den Fall der Niederlage einen hohen politischen Posten im Ministerium zusichern lassen. „Ich habe keinen Pakt mit irgendjemandem“, beteuert er jedoch. Er sieht seine Kandidatur mit Abstand, sie ist nur eine Etappe in seiner Karriere. Er sei noch lange nicht auf seiner letzten Station vor dem Ruhestand. „Mal schauen“, sagt er, „was noch für Angebote reinflattern“.

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