Zurück nach Afrika

25. Juni 2018, Mainpost - Eine Migrationsgeschichte: Hunderttausende afrikanische Immigranten wollen nach Europa. Karounga Camara ging den entgegengesetzten Weg.

Die Wende im Leben von Karounga Camara begann in der Mailänder U-Bahn. Camara fuhr zur Arbeit, er war damals Nachtwächter in einem Studentenwohnheim. Ein Italiener sprach ihn an, die beiden gerieten ins Gespräch. Der Satz des Mannes, der in Camaras Kopf hängen geblieben ist, lautete: „Passen Sie auf, dass Sie nicht auch in Ihrer Heimat zum Einwanderer werden.“ Die Worte, die keineswegs unfreundlich gemeint waren, ließen Camara nicht mehr los. Sie waren der Anstoß für seine Rückkehr aus Italien in den Senegal.

Es sind keine einfachen Zeiten für Einwanderer in Europa, schon gar nicht in Italien. Dort hat gerade eine Regierung ihre Arbeit aufgenommen, die ein gnadenloses Durchgreifen gegen Migranten zu ihrem Markenzeichen machen will. Erst vor Tagen versagte Innenminister Matteo Salvini einem mit Flüchtlingen vollgestopften Schiff die Landung. Auch Deutschland will Immigranten schon an der Grenze zurückschicken. Das vermeintliche Paradies Europa zeigt sich seit Jahren immer abweisender. Auch diese bittere Einsicht hat Camara zum Nachdenken gebracht.

Die Rückkehr wagen

Camara hat sich für die Rückkehr entschieden. Es war eine Lebensentscheidung, aber auch eine strategische Überlegung. „Wo ist mein Platz in der Welt?“, fragte sich der Senegalese. Im reichen, aber sehr mit sich selbst beschäftigten Europa? Oder im Senegal. Dort ist der Wettlauf ausländischer Investoren wie auf dem gesamten Kontinent in vollem Gange. China, Indien, aber auch europäische Länder und Firmen investieren. Deshalb machte der Satz des Italieners in der U-Bahn solchen Eindruck auf Camara. Ein zweites Mal fremd sein und zu spät kommen, das wollte Camara nicht. Über seine Rückkehr hat er ein Buch geschrieben. „Die Rückkehr wagen“, heißt seine Biografie, die gerade auf Italienisch erschienen ist.

Sechs Jahre lebte Camara in Mailand. Seit 2015 ist er zurück in seiner Heimat. „Zurückzukehren ist schwieriger, als aufzubrechen“, sagt Camara. Wer es nach Europa geschafft hat, der gilt trotz aller Widrigkeiten in der Heimat als Held und ist eine finanzielle Garantie für die Angehörigen. Wer diesen Status aufgibt, wird schnell als Versager wahrgenommen. „Deshalb ist die Rückkehr ein Wagnis“, sagt Camara.
Als seine Mutter im Jahr 2011 starb, entschied er endgültig, dass seine Zukunft bei seiner Frau und seinen beiden Kindern im Senegal sein soll. Er ging in sich, versuchte die Fragen des Lebens zu beantworten, die Fragen nach dem Glücklichsein, nach Zwängen und nach Machbarkeit. Dann entwarf er einen Plan.

Selbstvertrauen finden

Ein Seminar bei einem Mentalcoach half ihm, Selbstvertrauen zu finden und auf das Wesentliche zu fokussieren. Camara, der als Mathematiklehrer im Senegal gearbeitet hatte, bildete sich außerdem als Unternehmer fort. Er studierte nachts, im Studentenwohnheim. Drei Jahre lang bereitete er seine Rückkehr minutiös vor. Heute führt er zusammen mit seinem Bruder eine kleine Firma, die in Zusammenarbeit mit italienischen Partnern Backwaren aus Italien in den Senegal exportiert. Die katholische Hilfsorganisation LVIA spendete zwei Fahrzeuge. „Wir sind noch nicht reich, aber halten uns über Wasser“, sagt der Unternehmer.

Offenbar gibt es immer mehr Landsleute, die es der Familie Camara gleichtun wollen. Allein in der Region Thies, aus der Camara stammt, wurden 500 Anträge auf Unterstützung an die Hilfsorganisation gestellt, aber nur 30 konnten bewilligt werden. Camara ist einer der Vorreiter der Bewegung, ein Pionier unter den Rückkehrern. In Zusammenarbeit mit der örtlichen Handelskammer in Thies bietet der 45-Jährige heute Ausbildungskurse und Motivationsseminare für ehemalige Auswanderer an. Denn Camara ist sich sicher, dass die Rückkehr nach Afrika vor allem eine Frage des Bewusstseins ist.

Eine Frage des Bewusstseins

Der Unternehmer erklärt es so: Erst sei da die Illusion eines Lebens ohne Sorgen in Europa. Den „Mut der Ahnungslosen“, nennt Camara das. Dann folgen die Desillusion und die Angst, als jemand abgestempelt zu werden, der es nicht geschafft hat. Viele Afrikaner hätten nicht nur den Glauben an sich selbst, sondern auch an ihren Kontinent verloren. „Sie meinen, Afrika biete keine Möglichkeiten, sie verherrlichen den Westen.“
Umgekehrt entdeckt die Welt gerade die Wachstumsmöglichkeiten Afrikas, das Bruttoinlandsprodukt Senegals wächst derzeit um sieben Prozent. Die heimischen Auswanderer drohen ein zweites Mal zu spät zu kommen. „Alle drängen nach Afrika und verleiben sich die Reichtümer des Kontinents ein, warum machen wir das eigentlich nicht?“, sagt Camara.

Für ihn ist die Rückkehr keine Kapitulation vor Fremdenangst und einer Politik der Abschreckung, sondern das Gebot der Stunde. „Wir müssen jetzt über unser Leben entscheiden und nicht warten, bis es zu spät ist“, sagt Camara. Viele Länder Afrikas böten Chancen, „die Afrikaner müssen das wissen!“ Der Unternehmer meint, Förderprogramme für Rückkehrer, wie sie die Bundesrepublik oder auch die EU anbieten, gingen in die richtige Richtung. Die Rückkehrer könnten zuhause außerdem einen klareren Blick auf die Realität bewirken. „Wer zurück kommt, wird den anderen erklären, dass Europa auch nicht das El Dorado ist.“

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