Ärzte können heute so gut wie jeden Körperteil verpflanzen. Seit Jahrzehnten sind Herz-, Nieren-, Lungen-, und Knochenmarktransplantationen möglich. Eines der letzten Tabus der Medizin ist die Kopftransplantation. Technisch scheinbar unmöglich und ethisch fragwürdig. Wer fühlt sich bei einem aus zwei Körpern zusammengesetzten Wesen nicht an den Frankenstein-Mythos erinnert?
Es gibt jedoch einen Mann, der dieses futuristische Szenario Wirklichkeit werden lassen will. Der italienische Neurochirurg Sergio Canavero will noch in diesem Jahr unbedingt den Beweis führen, dass eine Kopftransplantation technisch möglich ist. Der 51-Jährige hat bis vor zwei Jahren als Neurochirurg im Universitätsklinikum von Turin gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ausschließlich seinem aberwitzigen Plan. „Als die Brüder Wright das erste Flugzeug konstruierten, wurden sie auch als verrückt bezeichnet“, entgegnet Canavero seinen Kritikern.
Medizinisches Himmelfahrtskommando
Der medizinische Sinn seines Himmelfahrtskommandos leuchtet ein. Schwere Krankheiten, insbesondere Lähmungen, aber etwa auch Krebs oder Diabetes, könnten so besiegt werden. In Wirklichkeit ist die Kopftransplantation nämlich der Austausch eines kranken Körpers durch einen gesunden. Der funktionsfähige Kopf des Empfängers würde auf den gesunden Körper eines hirntoten Menschen gesetzt, des Spenders. Damit hören die Gewissheiten aber auch schon auf. Es sei denn, man heißt Sergio Canavero.
Zuletzt stellte der Arzt sein Projekt auf einem Kongress im November in Glasgow vor. Den „Rockstar der Neurochirurgie“, nennt ihn der italienische Wissenschaftsjournalist Edoardo Rosati, mit dem Canavero ein Buch über sein Projekt geschrieben hat. Canavero ist exzentrisch, bezeichnet sich selbst als Einzelgänger, betreibt japanischen Kampfsport, spricht angeblich acht Sprachen und soll eines seiner raren Interviews sogar auf Chinesisch gegeben haben. „Er ist ein hochgebildeter Nerd“, behauptet Rosati.
Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Canavero mit der Kopftransplantation, in renommierten Zeitschriften beschrieb der Italiener seinen verwegenen Plan. Danach würde in einem eigens einzurichtenden Operationszentrum mit bis zu 150, im Turnus arbeitenden Chirurgen, zunächst der zu versetzende Kopf auf bis zu zwölf Grad herunter gekühlt und dann vom gelähmten Körper abgeschnitten. Der entscheidende und medizinisch umstrittenste Schritt ist die notwendige Durchtrennung der Rückenmarksnerven des Empfängers und ihre Zusammenführung mit denen des fremden, gesunden Körpers.
Viele Unbekannte
1970 gelang in den USA die Kopftransplantation bei einem Affen, der anschließend jedoch gelähmt blieb und nach 36 Stunden starb. Canavero behauptet, er habe die Lösung: ein von Spezialisten angefertigtes, extrem scharfes Messer zur glatten Durchtrennung der Nervenfasern sowie Polyethylenglykol als Klebstoff. Die Fachwelt ist skeptisch, aber der Italiener hat bereits ein Basisteam aus Ärzten in China, Südkorea und den USA beisammen, die seiner Idee folgen. „Die Wissenschaft interessiert sich für ihn, weil die Reparatur von zerstörten Nervenfasern ein großer Fortschritt wäre, etwa zur Heilung von Querschnittsgelähmten“, behauptet Rosati.
Diese Aussicht ist Canaveros Trumpf, die Unbekannten sind zahlreich. Welche Überlebenschancen hätte der Patient mit neuem Körper? Sind die Operation und die unkalkulierbaren Folgen einem Menschen zumutbar? Was, wenn das neue Wesen Kinder bekommt?
Einen Patienten hat Canavero immerhin schon. Der an einer unheilbaren Form des Muskelschwunds erkrankte Russe Valeri Spiridonov will der erste Mensch mit einem neuen Körper sein. Ob Spiridonov wirklich der erste sein wird, ist allerdings ungewiss. Bis zuletzt behauptete Canavero, die Operation solle noch vor Weihnachten 2017 in China über die Bühne gehen, mit chinesischen Patienten. Inzwischen hofft er, berichtet sein Vertrauter Edoardo Rosati, seinen Traum in Europa zu verwirklichen. Wo genau, weiß er wohl nicht einmal selbst. Auch die Finanzierung der etwa 15 Millionen Euro teuren Operation ist alles andere als gesichert. Canavero klopfte bei den US-Mäzenen Bill Gates und Marc Zuckerberg an, bislang ohne Erfolg.