Meint es Kirche ernst?

Badische Zeitung, 24.1.2017 - Papst Franziskus misst bei der Verfolgung sexuellen Missbrauchs mit zweierlei Maß.

Kein Papst ist mit Missbrauchstätern in der katholischen Kirche so hart ins Gericht gegangen wie Franziskus. Die verbalen Verurteilungen der Täter durch den Papst sind zahlreich und gnadenlos. Franziskus nannte die Pädophile im katholischen Klerus eine „Monstrosität“. Er verglich Missbrauch mit einer „schwarzen Messe“. Bischöfe, die Fälle von Missbrauch durch ihnen untergebene Priester verheimlichen, sollten zurücktreten, forderte der Papst. Er richtete eine Kommission ein, die den Kinderschutz in der Kirche fördern soll. Und er kündigte ein Tribunal an, in dem Bischöfe für Vertuschung zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Es klang wie eine Revolution.

Dass die Realität in der katholischen Kirche weiterhin anders aussieht, hat der italienische Enthüllungsjournalist Emiliano Fittipaldi nun in seinem neuen Buch „Lussuria“ (Unzucht), das an diesem Donnerstag in Italien erscheint, ausführlich dargestellt. Fittipaldi war einer der fünf Angeklagten im sogenannten Vatileaks-II-Prozess wegen der Veröffentlichung von Geheimdokumenten über einen internen Kleinkrieg bei der Neuordnung der Finanzen des Vatikans. Der Journalist wurde im Juli 2016 von einem Vatikangericht freigesprochen. Seine Recherchen gingen weiter.

Erbarmungslos gegenüber Betroffenen

Die Neuordnung der Vatikanfinanzen hatte Franziskus ausgerechnet dem australischen Kardinal George Pell anvertraut. Dessen Verhalten im Missbrauchsskandal der australischen Kirche ist mehr als zweifelhaft. Fittipaldi listet Bekanntes auf: Pells erbarmungsloses Auftreten gegenüber Opfern, seine Nachsichtigkeit mit des Missbrauchs überführten Tätern, den angeblichen Versuch der Bestechung eines Betroffenen und die direkten gegen Pell gerichteten, aber nicht bestätigten Vorwürfe. Pell hat mit 75 Jahren bereits die Pensionsgrenze für Behördenchefs im Vatikan erreicht, aber der Papst hält weiter an ihm fest.

Und er ist nicht der einzige aus der obersten Machtetage im Vatikan. Da wäre etwa Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, der als Bischof in Honduras eine Zeit lang einen von Interpol wegen Kindesmissbrauch gesuchten Priester unterbrachte. Maradiaga ist einer der engsten Vertrauten des Papstes, in einem Interview vor Jahren behauptete der Koordinator des Kardinalsrates, er würde eher ins Gefängnis gehen, als einen seiner Priester zu verraten. Fittipaldis Recherchen belegen: Das größte Problem in der katholischen Kirche im Hinblick auf Missbrauch besteht weiter: Immer noch hat für viele Bischöfe der Schutz der Täter Vorrang vor dem Interesse der Aufklärung der Betroffenen. Das Vatikangericht für vertuschende Bischöfe hat bis heute seine Arbeit nicht aufgenommen.

Nachsicht mit Vertuschern

In einigen Fällen, so Fittipaldi, habe der Papst durchgegriffen. Wenn es um einige seiner engsten Mitarbeiter geht, lege Franziskus andere Maßstäbe an. Er toleriert die Verschleppungen durch den chilenischen Kardinal Francisco Javier Errazuriz im Fall des Serientäters Fernando Karadima. Auch Errazuriz ist Mitglied im Kardinalsrat. Dem französischen und von ihm geschätzten Kardinal Philippe Barbarin sieht er bis heute dessen Tatenlosigkeit gegenüber einem des Missbrauchs überführten Priester nach. Kardinal Godfried Danneels berief er höchstpersönlich zu den Synoden 2014 und 2015, obwohl dem Belgier in Missbrauchsfällen die Interessen der Täter und das Ansehen der Kirche wichtiger schienen als echte Aufklärung.

Die von Fittipaldi aufgeführte Liste der Vertuscher ist lang und wirft vor allem eine Frage auf: Will Franziskus wirklich ein neues Kapitel bei der Bekämpfung des Missbrauchs in der katholischen Kirche aufschlagen oder handelt es sich vor allem um Lippenbekenntnisse? Das Phänomen des Missbrauchs in der Kirche scheint jedenfalls weiterhin äußerst virulent. 1200 Anzeigen seien in den ersten drei Amtsjahren von Franziskus bei der römischen Glaubenskongregation eingegangen. Das seien doppelt so viele wie in den Jahren zwischen 2005 und 2009 unter Benedikt XVI. „Dieser Trend zeigt, dass das Krebsgeschwür keineswegs entfernt worden ist“, schreibt Fittipaldi.

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