Im Zeichen der Ente

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.10.2016 - Ein Fehler von Torwart Gianluigi Buffon prägt das 1:1 im WM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Spanien

Ein Fehler von Torwart Gianluigi Buffon prägt das 1:1 im WM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Spanien

Papera“ ist das italienische Wort für Torwartfehler. Es bedeutet Ente und spielt auf die unbeholfen wirkenden Bewegungen dieses Wasservogels an Land an. So ungeschickt sah am Donnerstagabend auch das lebende italienische Torwartdenkmal Gianluigi Buffon aus, als der Spanier Víctor Machín Pérez genannt Vitolo in der 55. Minute im WM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Spanien auf den Keeper von Juventus Turin zulief. Sergio Busquets hatte einen langen Pass vor den Strafraum gespielt, Buffon lief heraus und verfehlte in komischer Manier den Ball. Vitolo schob zum 1:0 für Spanien ins leere Tor ein. So ist das, wenn Legenden sich selbst entzaubern.

Buffon ist ein Symbol. Im Turiner Juventus Stadium spielte er bereits seine 164. Partie im Italien-Trikot, bis heute ist er eine Art hochmotivierter Dauerbrenner, sowohl im Tor des italienischen Rekordmeisters als auch der Nationalmannschaft. Mit Juventus Turin startete er in diesem Jahr in seine 15. Saison, er hielt dem Club sogar in der Serie B die Treue. Mit der „Squadra azzurra“ ist die WM 2018 das große und letzte Ziel des 38-Jährigen, das er mit seinem Patzer aber selbst gefährdete. Nur der Gruppensieger qualifiziert sich direkt, die besten Gruppenzweiten haben noch eine Chance in den Playoffs. Nach dem 1:1 (0:0) vom Donnerstag vor 38 000 Zuschauern belegt Italien nach zwei Spielen nur Platz 3 in Gruppe G. Am Sonntag gegen Mazedonien ist daher ein Sieg notwendig. „Du auch, Gigi“, höhnte die Gazzetta dello Sport am Freitag über das Missgeschick des Kapitäns.

Alle paar Jahre wartet Buffon mit schweren Fehlern auf. Franz Beckenbauer attestierte dem Torwart in diesem Zusammenhang vor Jahren die Reaktionsschnelle eines Pensionärs. Ansonsten steht der alternde Keeper für den Erfolgshunger und die Unermüdlichkeit der Italiener, die Spanien noch vor drei Monaten im EM-Achtelfinale mit einem fulminanten 2:0-Sieg aus dem Turnier geworfen hatten. Furchtlos und aggressiv war das Team von Antonio Conte damals auf den Gegner losgegangen, am Mittwoch war die nur auf zwei Positionen veränderte Mannschaft sichtbar verunsichert. Einen „Supercatenaccio“ diagnostizierte La Repubblica. „Peinlich“ fand La Stampa den Auftritt in den ersten 60 Minuten, die Gazzetta hatte gar „primitiven Fußball all’italiana“ gesehen.

Unter dem neuen, väterlicher wirkenden Coach Giampiero Ventura, der zuvor den FC Turin trainierte, gingen die Italiener ultradefensiv mit einem Fünfer-Abwehrriegel in die Partie. Von echtem Spielaufbau konnte lange nicht die Rede sein, nach drei Ballkontakten hatte Spanien den Ball mit hartem, vom neuen Nationaltrainer Julen Lopetegui verordneten Pressing zurück erobert. „Mehr Persönlichkeit“, hätte sich Italien-Trainer Ventura von seinen Spielern gewünscht, der sich nach der schwachen Vorstellung über Zweidrittel der Spielzeit auf Kritik gefasst machen muss. Im Vergleich zu Ventura sei Conte, der nach der EM zum FC Chelsea wechselte, „penibler und mehr Motivator“ gewesen, hatte Verteidiger Leonardo Bonucci schon in den Tagen vor der Partie erklärt. Das Spiel zeigte, wie entscheidend die Fähigkeiten eines Trainers angesichts nicht außergewöhnlicher technischer Qualität seiner Spieler sind.

Trotz dieser taktischen Bankrotterklärung, die La Stampa mit einem Rückfall in die 50er Jahre verglich, wahrte Ventura seine Autorität vorübergehend. Die Mannschaft reagierte in der letzten halben Stunde des Spiels, außerdem untermauerte der Coach mit einer disziplinarischen Maßnahme seine Führung. Am Freitag wurde Stürmer Graziano Pellè aus dem Kader ausgeschlossen, weil er bei seiner Auswechslung in der 59. Minute dem Trainer demonstrativ den Handschlag verweigerte. Gegen Mazedonien wird deshalb wohl der Ex-Dortmunder Ciro Immobile (Lazio Rom) auflaufen, dessen Einwechslung zusammen mit der des 22-jährigen Andrea Belotti (FC Turin) das Spiel belebte. „Wir haben angefangen zu spielen, als wir die Angst abgestreift hatten“, sagte Ventura. Belohnt wurde die mutigere Einstellung mit einem Foulelfmeter (82. Minute), den der deutsche Schiedsrichter Felix Brych erst nach Beratung mit seinem Assistenten zugestand und den Daniele De Rossi sicher zum 1:1-Endstand verwandelte.

Als Auslöser für den Gesinnungswandel gegen Ende des Spiels machten die Beteiligten anschließend einerseits die Nachlässigkeit der Spanier aus. Iniesta, Gerad Piqué und Torschütze Vitolo vergaben mehrere Torchancen, ihr gefälliges Kombinationsspiel blieb ohne echten Ertrag. Die gängigere Erklärung lautete, vor allem das Missgeschick ihrer Führungsfigur habe bei den Mitspielern Kräfte freigesetzt. „Nach meinem Fehler haben wir uns von einer Last befreit und den Ausgleich verdient“, analysierte Buffon selbst. Torschütze De Rossi vom AS Rom, einer der letzten verbliebenen Weltmeister im italienischen Team und Buffons Konkurrent in der Serie A, betrieb differenzierte Denkmalpflege: „Es ist in Ordnung, dass auch der größte Torwart aller Zeiten Fehler macht, sonst wäre er ja eine Maschine.“ Es sei aber wünschenswert, so De Rossi, dass sich solche Dinge künftig wieder in Diensten von Juventus Turin zutragen würden.

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