Auch Riesen haben es manchmal nicht leicht. Gerhard Ludwig Müller ist zwei Meter groß, er überragt seine Gesprächspartner um mindestens einen Kopf. Dass er sein Gegenüber von oben herab behandeln würde, kann man allerdings nicht behaupten. Im Gegenteil, derzeit kommt es häufiger vor, dass der Präfekt der Glaubenskongregation lächelt, obwohl ihm gar nicht danach zu Mute ist. Menschen, die täglich mit ihm zu tun haben, behaupten, Müller habe es in Rom gerade ausgesprochen schwer.
Der Grund ist eine tiefe Kluft zwischen der Agenda des Papstes und den Überzeugungen eines Mannes, der dieses Programm eigentlich gestalten sollte. Wenn man so will, führt der 68-Jährige unter Franziskus das Dasein eines Tropfen Wassers in einer Teflon-Pfanne, er wird ständig abgestoßen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass im Vatikan über Müllers Ablösung spekuliert wird. Der Papst aus Argentinien und der Kardinal aus Mainz-Finthen passen einfach nicht zusammen.
Zu Beginn der Amtszeit von Franziskus hätte Müllers Abberufung noch wie ein Affront gegen Benedikt XVI. gewirkt. Ratzinger hatte den ehemaligen Bischof von Regensburg sieben Monate vor seinem Rücktritt noch rasch als Präfekt der Glaubenskongregation installiert, als Garantie für theologische Kontinuität. Inzwischen sind mehr als drei Jahre vergangen. Die Stimmen, die eine Wachablösung an einer der wichtigsten Schaltstellen in der Kurie für überfällig und folgerichtig halten, mehren sich.
Streit um Amoris Laetitia
Der Moment, in dem auch den Kritikern des Papstes bewusst wurde, dass es Zeit ist für den Wechsel, war die Präsentation des nachsynodalen Schreibens Amoris Laetitia im April. Die Exhortation ist die Antwort von Franziskus auf die Diskussionen bei den beiden Bischofssynoden in den vergangenen Jahren zum Thema Ehe, Sex und Familie. Bergoglio schlägt darin einen neuen, versöhnlichen Ton an, insbesondere im Hinblick auf das umstrittenste katholische Thema der vergangenen Jahre, die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Seit Amoris Laetitia ist der Zugang für die Wiederverheirateten zur Kommunion de facto geebnet. Für Traditionalisten kommt das einem Super-Gau gleich, weil in ihren Augen damit das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe aus den Angeln gehoben ist.
Nicht etwa der Präfekt der Glaubenskongregation stellte das bisher folgenreichste Schreiben von Franziskus der Presse vor. Angesichts der dutzendfach manifestierten Opposition Müllers gegen die Zulassung der Wiederverheirateten zu den Sakramenten wäre dies auch undenkbar gewesen. Im Namen des Papstes schwärmte der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn über Liebe und Familie und unterfütterte die Ausführungen Bergoglios mit theologischen Argumenten. Als der Papst anschließend zu unklaren Formulierungen befragt wurde, verwies er mehrmals lobend auf Schönborn und dessen enthusiastischen Vortrag. Der Wiener Kardinal, selbst Mitglied der Glaubenskongregation und viel gepriesener Moderator der deutschen Sprachgruppe bei der letzten Synode, sei „ein großer Theologe“, sagte Franziskus.
Wie eine Wachablösung
Die Präsentation von Amoris Laetitia kam einer Wachablösung gleich. Nun stand der 71-jährige Österreicher, der auch als aussichtsreicher Kandidat im nächsten Konklave gilt, als von höchster Stelle autorisierter Interpret der Theologie Bergoglios da. Müller, der als Präfekt der Glaubenskongregation eigentlich der theologische Kompass des Papstes sein sollte, war definitiv von der Bildfläche verschwunden und hatte, wenn nicht seinen Nachfolger, dann zumindest sein Alter Ego präsentiert bekommen. Ein ebenso einflussreicher wie konservativer Insider im Vatikan hält die Auswechslung Müllers durch Schönborn für „nicht unangebracht“. Es hört sich so an, als sei es im Interesse der gesamten Institution, dass dieser Knoten bald gelöst wird.
Plausibel klingen die Spekulationen um Schönborn als Müller-Nachfolger auch deshalb, weil es sich bei ihm nicht nur um einen der Verfasser des Katechismus der katholischen Kirche handelt, sondern auch um einen treuen Schüler Josef Ratzingers. Wer Franziskus die Auswechslung Müllers durch Schönborn als klaren Bruch mit seinem Vorgänger auslegen wollte, fehlen die Argumente.
Im Vatikan stehen demnächst verschiedene Nominierungen an, unter anderem die Berufung des Chefs des von Franziskus neu geschaffenen Dikasteriums für Laien, Familie und Leben. Als aussichtsreicher Kandidat gilt einer der engsten Vertrauten von Franziskus, Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga aus Honduras, der bei der Wahl Bergoglios im Konklave 2013 eine Schlüsselrolle hatte und den der Papst als Koordinator für seinen aus neun Kardinälen zusammen gesetzten Reformrat auswählte. Mit Maradiaga begannen auch die Leiden Müllers in Rom. Wenige Monate nach Beginn des Pontifikats warf der Bergoglio-Freund dem Präfekten öffentlich mangelnde Flexibilität vor. Den Stempel des engstirnigen und kaltherzigen, also gänzlich unbarmherzigen Gesetzeshüters wird Müller seither nicht mehr los.
„Müller zählt nichts mehr“
Franziskus stutzte dem Präfekten der Glaubenskongregation in der Folge die Flügel, indem er ihn in die Ausarbeitung seiner wichtigsten Schriften nicht einbezog. Die entscheidenden Dokumente bekommt die Glaubenskongregation, früher der theologische Anker der Päpste, gar nicht mehr zu sehen. Ein konservativer Kommentator wie der Vatikan-Journalist Sandro Magister behauptet deshalb schon länger, Müller zähle unter Franziskus „nichts mehr“. Die umstrittenen Gesetze zur Erleichterung der Ehenichtigkeitsverfahren bekam der Präfekt der Glaubenskongregation erst vorgelegt, als sie bereits erlassen waren. Müller sei deshalb „stinksauer“ gewesen, heißt es aus dem Vatikan. Nach energischen Protesten gegen diese Praxis wurde Amoris Laetitia der Glaubenskongregation vor Veröffentlichung zwar vorgelegt, die seitenweise vorgeschlagenen Änderungen am Text aber ignoriert.
Die Eskalation hatte begonnen, als der frustrierte Kardinal aus Deutschland im März 2015 in einem Interview mit der französischen Zeitung „La Croix“ feststellte, die Aufgabe seiner Behörde sei es, insbesondere ein pastoral geprägtes Pontifikat wie das gegenwärtige „theologisch zu strukturieren“. Der Subtext, dass Franziskus theologische Nachhilfe nötig habe, war kaum zu überhören. Nicht Franziskus selbst maßregelte den leichtsinnigen Sünder, es war sein Vertrauenstheologe und Ghostwriter, der zum Angriff auf Müller blies. Víctor Manuel Fernández, Rektor der katholischen Universität von Buenos Aires und Mitverfasser der wichtigsten Schriften von Franziskus warf dem Deutschen vor, den Papst wie eine Marionette zu behandeln, als „Repräsentanten, oder als einen der stört und der kontrolliert werden muss“. Dass Müller im Gegenzug öffentliche Gedankenspiele von Fernández zur Dezentralisierung der Kurie als „häretisch“ bezeichnete, trug nicht zur Entspannung bei.
Der Brief der 13 Kardinäle
Sollte noch ein Element gefehlt haben, das die Unmöglichkeit einer produktiven Zusammenarbeit zwischen Bergoglio und Müller besiegelte, dann war dies die Unterschrift des Präfekten unter einen ominösen Protestbrief während der letzten Synode. 13 konservativen Kardinäle, unter ihnen Müller, trugen dem Papst darin ihre Sorge über ein abgekartetes Spiels im Hinblick auf den Ausgang der Beratungen vor. Franziskus wies die Kritiker ab und attestierte ihnen eine „konspirative Hermeneutik“. Das Zeug zum Verschwörer hat Müller aber gar nicht. Aus seiner Sicht kämpft er im Namen von Tradition und Wahrheit einen gerechten Kampf gegen diejenigen, die den theologisch unbedarften Papst in die falsche Richtung lotsen. „Ich weiß tausendmal besser, wer der Papst ist und was der Primat bedeutet“, sagte er in der heißen Phase der zweiten Familiensynode an die Adresse seiner Gegner. Das klang nach tiefen persönlichen Verletzungen. Die Rolle des bad guy im Schatten des medialen Super-Stars Franziskus hat Spuren hinterlassen.
Was bleibt, ist die Frage, wohin der renommierte Theologe versetzt werden könnte, ohne gedemütigt zu werden. Der Idee, Müller als Nachfolger von Karl Lehmann, des aus Altersgründen zurückgetretenen Bischofs von Mainz und Wortführer der Liberalen zu installieren, steht das Mitbestimmungsrecht des Domkapitels von Mainz entgegen. Müller ist zwar gebürtiger Mainzer, ob sich die Rheinhessen aber ein so kompliziertes und konservatives Kaliber ins eigene Haus holen wollen, ist fraglich.
Eine andere Variante lautet: Es bleibt alles beim Alten. Müller verharrt als widerspenstiger Querschläger in der zur Bedeutungslosigkeit verdammten Glaubenskongregation. Die theologischen Fäden unter Franziskus werden weiter anderswo gezogen, zum Beispiel in Buenos Aires oder in Wien. Dezentralisierung steht schließlich ganz oben auf der Agenda des Papstes.