Matteo Renzi gibt in diesen Tagen den Krisenmanager. Der italienische Ministerpräsident und Chef der italienischen Sozialdemokraten ist bekannt für seine burschikose Art. Jetzt, nach dem schweren Erdbeben in Mittelitalien mit bislang 291 Toten, wirkt der 41-Jährige Politiker wie in seinem Element. Er trifft den richtigen Ton, er ruft die Bürgermeister der zerstörten Bergdörfer an und meldet sich bei ihnen mit Vornamen. Mit „ich bin’s, Matteo“ habe sich der Premier bei ihm am Telefon vorgestellt, erzählte der Bürgermeister einer der zerstörten Orte.
Renzi versprach den originalgetreuen Wiederaufbau, nachhaltige Prävention, aber er sagte auch, dass erst einmal die Tränen getrocknet werden müssen. Ein Foto zeigt den Ministerpräsidenten, wie er einen Feuerwehrmann, der Erdbebenopfer geborgen hat, innig umarmt. Man muss Renzis Aufrichtigkeit nicht anzweifeln. Doch bekanntlich sind Politiker auch Verkäufer von Gefühlen und Stimmungen. Italien, insbesondere die vom Erdbeben betroffenen Regionen Latium und Marken, sehnt sich derzeit nach Garantien. Renzi bedient diese Sehnsucht auf formidable Weise und könnte vom Ausnahmezustand profitieren.
„Leadership in Gummistiefeln“ wurde dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder einst attestiert, als er nach der Elbeflut im Jahr 2002 Tatkräftigkeit vermittelte und so die verloren geglaubte Bundestagswahl noch knapp gewann. Alles deutet darauf hin, dass auch Renzi die politische Chance eines tragischen Moments erfasst hat.
In gut zwei Monaten steht mit einem Verfassungs-Referendum der bislang kritischste Moment in der Karriere des jungen Ministerpräsidenten bevor. Jahrzehntelang ächzte die italienische Republik unter der Inneffizienz seiner politischen Mechanismen und unter instabilen Verhältnissen. Die mehrfach von beiden Parlamentskammern gebilligte Umwandlung des Senats in eine zweitrangige Kammer soll nun stabile Verhältnisse bringen. Kritiker bemängeln, Regierung und Premierminister verfügten künftig über eine gefährliche Machtfülle.
Der Widerstand gegen die Verfassungsreform wirkte zunächst überschaubar, Renzi zettelte die Volksabstimmung zur nachträglichen Legitimation seiner Reform selbst an. Inzwischen ist der Protest gegen seine Politik nicht zuletzt wegen der anhaltenden Wirtschaftsflaute so groß geworden, dass das Ergebnis der Volksabstimmung keineswegs mehr eindeutig ist. Renzi hatte den Ausgang des Referendums außerdem mit seiner eigenen politischen Zukunft verknüpft. Dass er anschließend darauf bestand, dass es sich bei der Verfassungsreform alleine um eine Sachentscheidung handele, die nichts mit ihm persönlich zu tun habe, nehmen ihm nur noch wenige ab.
Beobachter fürchteten bereits eine erneute EU-Krise nach einer möglichen Referendums-Niederlage Renzis im Herbst, einer Regierungskrise in Rom und einem daraus resultierenden Vertrauensverlust der Märkte. Nach dem Erdbeben in Mittelitalien sind die politischen Karten in Rom nun neu gemischt. Renzi steht in der öffentlichen Meinung plötzlich als zuverlässiger und tatkräftiger Krisenmanager da. Die Versprechungen kosten den Ministerpräsidenten bislang nichts, ihre Einlösung wird erst in Monaten oder Jahren zu überprüfen sein. Dann ist das Verfassungsreferendum aber schon lange passé. Am Ende könnte sogar eine heute zynisch anmutende Hypothese Wirklichkeit werden: Weil in Italien die Erde bebte, spart sich Europa die nächste Krise.