Palmrüssler

Süddeutsche Zeitung, 6.5.2010 Roms Opernhaus kämpft seit Jahren gegen seinen schlechten Ruf

Es hilft, sich einmal die geographische Lage des Teatro dell’Opera in Rom anzusehen. Das klotzige, einem Ministerium gleichende Gebäude liegt auf dem Viminal-Hügel, einen Steinwurf entfernt vom Innenministerium. Den Platz vor dem Opernhaus schmücken vier stattliche Palmen, die anscheinend noch nicht vom Palmrüssler befallen sind, dem Insekt, das im Rest Italiens derzeit die Pflanzen dahinrafft.

Von hier muss man nur die Via Nazionale überqueren, um zum Quirinal zu gelangen. Dort hat Staatspräsident Giorgio Napolitano jenes Regierungsdekret unterschrieben, gegen das Opern und Musiktheater in Italien nun Sturm laufen. Von Napolitanos Amtspalast ist es wieder nur ein paar Schritte hinunter zum Marsfeld, wo die Römer einst ihre Truppenübungen abhielten und heute die Mitglieder des Kabinetts von Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Dekretieren von Gesetzen wetteifern.

Hier hat Kulturminister Sandro Bondi aus Sicht der Opernwelt eine Art Palmrüssler des Musiktheaters, das Dekret mit harten Einsparungen für die Opernhäuser entwerfen lassen. Heute – das Dekret ist längst in Kraft und muss vom Parlament nur noch abgesegnet werden – trifft Bondi Gewerkschaftsvertreter zur nachträglichen Diskussion.

Loris Grossi, Posaunist und Gewerkschaftsmann des römischen Opernorchesters, wird nicht dabei sein. Er sagt: „An der Oper haben wir lange unter Leuten gelitten, die aus politischen Gründen nominiert wurden und nicht, weil sie gute Manager sind.“ Das solle man bedenken, wenn man das römische Opernhaus mit einem Theater wie der Mailänder Scala vergleiche und sich fragt, warum die Hauptstadt-Oper in der allgemeinen Wahrnehmung eine jämmerliche Figur abgibt. „International unbedeutend“ urteilte unlängst die Zeitung La Stampa .

Gerade übt ein Tubist, als sich Grossi – kariertes Hemd, Halbglatze, Schnauzbart – auf einem Stuhl im samtroten Atrium des Opernhauses niederlässt und zu erläutern beginnt, warum er und seine Kollegen „frustriert und verzweifelt“ seien. Grossi spielt seit 31 Jahren hier. Er weiß, dass dieses Haus eine seltsame Insel und ein Spielball der Mächtigen in der Stadt des politischen Palazzo ist.

Es ist nicht leicht, ein paar zusammenhängende Sätze mit ihm auszutauschen, denn jeden Augenblick kommen Kollegen mit fragendem Blick und wollen wissen, wie die Protestaktion am Abend vor sich gehen soll. Nachdem am 30. April der „Don Quichotte“ einem Streik zum Opfer gefallen ist, hat sich Grossi eine Art Happening ausgedacht, um endlich gehört zu werden in einer Stadt, die sehr sensibel auf tosenden Verkehr, Fußballchöre und das Rumoren der Palazzi reagiert – aber nicht auf die Klänge des eigenen Opernhauses. Also haben die römischen Musikmitarbeiter eine Aktion vorbereitet, bei der die Bürger ins offene Opernhaus kommen sollen, wo musiziert, gesungen und getanzt wird. Das Barockensemble des Santa Cecilia-Orchesters wird auch vorbei kommen und sich solidarisch zeigen.

Der Kollegin am Lift hat Grossi gerade noch gesteckt, dass die Freiheits-Hymne „Va, Pensiero“ aus dem „Nabucco“ für die improvisierte Veranstaltung hoch im Kurs steht. Zwischen den Stücken wollen Grossi und die Seinen mit den Römern und gerne auch mit ein paar Journalisten ins Gespräch kommen, um mit den „Lügen der Regierung“ aufzuräumen. „Es stimmt einfach nicht, dass wir nur 16 Stunden pro Woche arbeiten, mit 45 in Pension gehen und 70 000 Euro im Jahr verdienen.“ Das behaupte Bondi, aber damit müsse nun endlich Schluss sein.

Was Grossi vor allem stört, ist, dass es keine Diskussion gab: „Man kann doch ein Theater nicht per Dekret führen.“ In jedem normalen Land gäbe es zuvor eine Diskussion und dann eine Entscheidung, in Italien aber sei das umgekehrt. „Die Regierung sagt es zwar nicht so, aber es ist offensichtlich, was sie denkt: dass die Musiktheater unnütz sind und die Musik keine soziale Funktion hat.“

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