Tod und Leben der Carbonara

Augsburger Allgemeine, 28.4.2016 An der Zubereitung von Spaghetti alla Carbonara scheiden sich die Geister. Zwischen Italienern und Franzosen ist es deshalb zu einem Zerwürfnis gekommen.

Man wusste ja, dass Italiener und Franzosen sich nicht besonders leiden können. Man wusste auch, dass beide Völker es sehr ernst nehmen mit der Kunst des Kochens. Aber dass es darüber wirklich zu einem Krieg kommen musste?

Der jüngste Zusammenstoß der beiden selbstbewussten romanischen Kulturen betrifft nicht etwa Grenzstreitigkeiten am Montblanc oder einen nicht gegebenen Elfmeter beim Fußball. Es geht um die Carbonara, deren Name ja eigentlich schon deutlich macht, wer die Deutungshoheit über diesen Stein des Anstoßes hat. Italien natürlich.

Und doch ist zwischen Turin und Taranto vom „Krieg der Carbonara“ die Rede. Denn selbsternannte Kochkünstler jenseits der Alpen haben sich angemaßt, das berühmte italienische und insbesondere in der Stadt Rom gepflegte Pasta-Rezept neu zu interpretieren und damit die Grundfesten der italienischen Ess-Kultur zum Beben gebracht.

Um zu verstehen, welches Sakrileg die Franzosen von „Demotivateur Food“ begangen haben, muss man sich gar nicht einmal ihr Video im Internet zu Gemüte führen. Selbst angeblich rustikale Gaumen erschaudern angesichts des von Frankreich begangenen Sakrilegs: rohe Schmetterlingsnudeln, roher Speck, rohe Zwiebeln werden lieblos in einen unappetitlichen Teflontopf geworfen, mit Wasser aufgegossen und 15 Minuten lang gekocht.

Sahne verboten

Allein bei dieser Methode des Nudelkochens biegen sich dem Durchschnitts-Italiener die Zehennägel nach oben. Als französische Hände anschließend auch noch Sahne, nicht näher definierten Käse sowie Pfeffer in das undefinierbare Amalgam werfen, scheint das „Carbonara“ genannte Verbrechen perfekt. Auf dem ganz offensichtlich ungenießbaren Produkt im Teller platziert ein dreister Franzose zuletzt auch noch ein Eigelb. Sogar dem normalerweise eher unempfindlichen italienischen Nudelproduzenten Barilla, dessen Farfalle in dem Rezept missbraucht wurden, war das zu viel. „Mon dieu!“, distanzierte sich die Firma von dem anrüchigen Internet-Filmchen. „Wir sind offen für alle kreativen Interpretationen der mythischen Carbonara, aber diese hier geht eindeutig zu weit!“

Die Turiner Tageszeitung La Stampa stellte eine ganze „Serie kulinarischer Fehler“ fest: Einer der schwersten davon die – auch bei deutschen Kantinen- und Hobbyköchen beliebte – Beigabe von Sahne. Die angesehene Zeitung fragte, „wie man in 47 Sekunden einen Mythos der italienischen Küche vernichten“ könne. So lange dauerte der französische Spot, der 1,3 Millionen Mal im Internet geklickt wurde. Und für die Mailänder Zeitung Corriere della Sera bedeutete die Zubereitung nichts weniger als den „Tod der Carbonara“.

Auch in Frankreich beschäftigte sich die Presse mit dem Delikt. Le Parisien formulierte vorsichtig vom „Carbonara-Gate“. Die Amerikaner wollten in der Reihe von kulinarischen Missgriffen einen neuen Trend erkannt haben. Die „One-Pot-Pasta“, also die zusammen mit den Zutaten in einen Topf geworfenen Nudeln, begründeten nichts weniger als eine „Revolution“, befand der Gastro-Kritiker des New Yorker. Nicht nur Spitzenköche könnten nach dieser Methode das erwünschte Ergebnis in der Küche erzielen, sondern jedermann. Wer sonst konnte auf diesen abwegigen Gedanken kommen, möchte man mit italienisch geformtem Küchenchauvinismus entgegnen.

Freiheit und Bacon

Dabei sollen ausgerechnet US-Bürger eine entscheidende Rolle bei der ursprünglichen Entstehung der echt italienischen Carbonara gespielt haben, die heute als die Spezialität der italienischen Hauptstadt schlechthin gilt. Beim Einmarsch der US-Truppen 1944 in Rom brachten die Amis nicht nur die Freiheit von der Nazibesetzung, sondern führten bei den Römern auch den als Bacon bekannten Speck ein. Die Carbonara wurde so um eine schmackhafte Komponente reicher, denn bis dahin war sie ein eher rudimentäres Mahl, in erster Linie aus frischer Pasta, gereiftem Schafskäse (im römischen Volksmund cacio) und Eiern (uova). Über die Entstehung dieses Klassikers der römischen Küche gibt es selbstverständlich verschiedene Legenden.

Am meisten verbreitet ist die Variante, dass die Köhler (carbonaio) in der Gegend um Rom und bis in die Bergregion Abruzzen hinein nur wenige und gut haltbare Lebensmittel bei ihren tagelangen Exkursionen in Berg und Wald mitnehmen konnten, etwa Eier und Schafskäse (pecorino). Nachdem sie ihre Kohlenmeiler zur Gewinnung von Holzkohle errichtet und entzündet hatten, genehmigte sich der Köhler nicht selten einen Teller Pasta „cacio e uova“. Der Beruf des Köhlers (carbonaio) und später auch die Zugabe von grob gemahlenem schwarzen Pfeffer als symbolischem Kohlenstaub verhalfen der Carbonara zu ihrem Namen.

„Mit der regionalen Küche scherzt man nicht“, sagt mit einem Lächeln der römische Fernsehkoch Max Mariola, zweifellos ein Könner in Sachen Carbonara. Er weist darauf hin, dass die Carbonara eine enge Verwandte der Pasta alla Gricia sowie der Amatriciana sei. Die römische Gricia (von grigia, die graue) entspricht einer Art gepfefferter Carbonara mit Schweinespeck (guanciale) ohne Ei, früher ein beliebtes Mahl bei Schafshirten auf Wanderschaft. „Die Amatriciana entstand, als ein Koch aus dem Städtchen Amatrice Tomaten zum Gricia-Rezept hinzufügte“, sagt Mariola.

Glaubensfragen

Vor allem vor der Zubereitung der Carbonara sind einige Glaubensfragen zu beantworten, ohne dabei dem französischen Frevel anheimfallen zu müssen. Die Art der Pasta will gewählt sein, denkbar sind Spaghetti ebenso wie Rigatoni oder Mezze Maniche. Auf die Beigabe von Sahne stehen zumindest in Italien gefühlt hohe Haftstrafen. Ob der Schweinespeck mit ein wenig Weißwein abzuschrecken ist, Zwiebeln oder gar Knoblauch zum Anbraten zulässig sind, darf von Fall zu Fall entschieden werden.

Max Mariola schreckt mit Weißwein ab, nachdem er den Schweinespeck zusammen mit einigen Zwiebelringen angebraten hat. Für zwei Personen wählt Mariola ein ganzes Ei sowie ein Eigelb, das in einer Schüssel mit dem Schneebesen zu schlagen und anschließend mit einer Mischung aus reichlich frisch geriebenem Parmesan und Pecorino zu einer Creme zu vermischen ist. Die al dente gekochten Spaghetti wälzt er zunächst in der Pfanne mit dem gebratenen Speck, bevor er das Gemisch in die Schüssel mit dem Ei gibt. Niemals Sahne, aber ein wenig aufbewahrtes Nudelwasser können zur Verfeinerung der Creme dienen.

„Buon appetito“, sagt Mariola und gesteht, dass Italien nicht nur über 60 Millionen Fußballtrainer, sondern über ebenso viele Köche verfügt. Der Variantenreichtum der Zubereitungen spreche für die Lebendigkeit einer Küche, sagt er. Aber natürlich gibt es Grenzen, die niemals zu überschreiten sind. Wo der Mann das Kochen gelernt hat? „Ist doch klar, bei meiner Mamma“, sagt er. Über deren Weisheit in der Küche geht bekanntlich nichts, zumindest in Italien.

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